Sag öfter „Oida!“
Es war einmal, da waren Wissen, Erfahrung, Können und Weisheit Tugenden. Gott sei Dank hat sich das heute geändert. Die Störfaktoren für einen reibungslosen Ablauf in Betrieben, Politik und Gesellschaft sind weitgehend ausgeschaltet.
Wer Wissen sagt, hat schon verloren. In einer Welt, in der es politisch entscheidend ist, dass geistig alle gleich gebaut sind – wegen der Gerechtigkeit und so –, ist Wissen nicht mehr Macht, sondern nur noch peinlich. Wer etwas weiß, ist Besserwisser, der hält den Rest doch nur auf. Und wer was weiß und es nicht sagt, dem kann man nicht trauen. Wer was wissen will, soll gefälligst googeln oder die KI fragen oder noch besser den Chef oder den Papa.
Erfahrung? Hör mir auf! Das brauchen wir erst recht nicht. Erfahrung bedeutete früher einmal, dass man geistig ein wenig herumgekommen ist und dabei gelernt hat, was man wie macht und was besser nicht. Erfahrung ist damit eine permanente Diskriminierung für die Ahnungslosen, die noch dazu viel billiger sind als die Erfahrenen. Wenn die Erfahrenen länger arbeiten sollen, wegen der Rentenkasse und so, müssen sie das endlich auch einmal einsehen und die Klappe halten.
Können? Was ist das? Heute hat jeder und jede das Recht, alles zu können! Anything goes, noch nie gehört? Früher musste man sich vom Tellerwäscher zum Millionär hocharbeiten, heute kauft man sich einen Selfiestick und fertig. Das reicht, schließlich sitzen in Talkshows und Podcasts auch nur mehr Schauspieler und Hilfsphilosophen, die die Welt zwar nicht verstanden haben, sie uns aber trotzdem mit betroffener Miene erklären.
Früher gab es noch Leute, die, wenn man sie nach einem Sachverhalt fragte, der ihnen fremd war, „Tut leid, das weiß ich nicht!“ gesagt haben und ihrer Wege gingen, wissend, dass sie nicht alles wissen können – und vielleicht gerade deshalb selbstbewusst waren. Heute können das nicht mehr viele. Sie sind aufgewachsen in einer Kultur der Alles-und-Nichtswisser. Vor Kurzem ging ein Video auf X um, da sagte eine Mitarbeiterin einer Universität in Norddeutschland mit selbstbewusster Stimme, dass „der Islamismus eben auch zur Vielfalt“ gehöre, weil sie den Unterschied zwischen dem Islam und seinem militanten Terrorflügel nicht kannte. Das Spannende daran war, dass nicht die Frau, sondern die Kollegin, die das kritisierte, vom Publikum attackiert wurde. Wo wäre denn da das Problem? Sind Sie vielleicht intolerant? Ja, das ist das Ergebnis. Der Mut zur Lücke, der in Politik, Kultur und Gesellschaft gepredigt wurde, damit die Faulen und Dummen auch etwas haben, worin sie wühlen können, ist zu einem Riss geworden, der einen Hohlraum bildet. Eine Leere.
Überall wird den Leuten versprochen, es gehe auch so irgendwie. Die „Leichtigkeitslüge“, wie der Autor Holger Noltze einmal diesen Trick genannt hat, ist überall. Sie entlastet, aber sie nützt nichts, weil sie nur schadet. Qualität des Denkens ist die Voraussetzung der Qualität des Handels, der Güter, der Dienstleistungen, der Verwaltung und so weiter. Wem alles wurscht ist, weil er ein „Recht“ darauf hat, der verrät alle, die sich jeden Tag bemühen, damit sie diese Welt nicht ganz verkommen lassen. Das ist nämlich der Sinn und Zweck des Wissens, des Könnens und der Erfahrung. Man kann dies, um ein weiteres Schimpfwort einzuführen, „weise“ nennen. Das stammt vom indischen „vedas“ ab und heißt so viel wie Einsicht und Erkenntnis. Schön wär’s.
Der amerikanische KI-Unternehmer Stephen Klein hat vor Kurzem auf LinkedIn etwas sehr Lebenspraktisches gepostet, in einfacher Sprache, niederschwellig, wie man heute sagt „You can’t get smarter by thinking less“ – also: „Du wirst nicht gescheiter, wenn du weniger denkst.“
Das ist eine harte Weisheit für viele. Und wer das für eine Zumutung hält und „Oida!“ ruft oder ins Netz pinselt, sollte wissen: „Oida“ ist auch, wenn nicht vor allem, das altgriechische Wort für Wissen.