Leitartikel

Schlammcatchen zur Wählervertreibung

Wie Politik Vertrauen zurückgewinnen kann. Oder es mit Anlauf verspielt – die schlechtere Variante. Denn es schadet nicht, schon jetzt an den Tag nach dem Wahlkampf zu denken.

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Abgebrühte Bösewichte, skrupellose Intriganten, schmutzige Machtspiele, Reihen von Skandalen und Skandälchen: Innenpolitik in Österreich fühlt sich manchmal an wie eine Endlosfolge der zynisch-heimtückischen Politserie „House of Cards“ – von der sich immer mehr Zuseherinnen und Zuseher mit Grauen abwenden. Aus verflixt nachvollziehbaren Gründen. Die ständigen Plot-Twists garantieren zwar Spannung, aber nach den grellen Daueraufregungsjahren mit Ibiza-Video, Chat-Enthüllungen und Korruptionsvorwürfen – garniert mit Corona-Klima-Krieg-Teuerung-Energie-Megakrisen – machen sich Ermüdungserscheinungen im Publikum breit.

Gerade deshalb: Ja, es gibt sie noch, die unerwarteten positiven Nachrichten. Zum Beispiel: Es galt quasi als Naturgesetz, dass die Politikverdrossenheit hierzulande auf immer neue Spitzenwerte klettert und das Vertrauen in die Demokratie ständig bröckelt. Die peniblen Datenfüchse vom Sora-Institut haben erhoben: Das stimmt so nicht. Es geht auch im Politik-Dramolett-Staat Österreich nicht dauernd bergab, die Zufriedenheit mit dem politischen System steigt erstmals seit Jahren wieder leicht – auf niedrigem Niveau, aber immerhin. Im Vorjahr, als immer größere Teile der Bevölkerung immer lauter unter Kosten für Miete, Energie und Lebensmittel stöhnten, galt Politik als ungefähr so beschädigt wie ein überschwemmtes Badezimmer nach einem Wasserrohrbruch. Der absolute Tiefpunkt scheint überwunden, der Polit-Weg führt nicht schnurstracks zur Sehnsucht nach dem „starken Führer“, nicht einmal in Österreich, der „Versuchsstation des Weltuntergangs“ (Copyright Karl Kraus).

Das ist kein Anlass für überbordende Jubelrufe, zeigt aber eindrücklich: Es lohnt sich, um die Zustimmung zu Politik und Demokratie zu kämpfen. Ja, das bedeutet harte und mühsame Arbeit. Die Wut hinauszuplärren und als Zornsammelstelle zu agieren, wie die FPÖ es tut, ist vergleichsweise leicht. Probleme zu benennen, konkrete Lösungen dafür zu verhandeln und sie auch umzusetzen, gestaltet sich als wesentlich komplexer und zeitraubender. Dennoch erwartet sich die Bevölkerung zu Recht genau dieses zähe Bohren harter Bretter von der Politik. Beim Plan für den Ausbau der Kindergärten scheint das, nach Jahrzehnten der leeren Versprechungen, Bundesregierung und Bundesländern gelungen. Auf einem Dashboard können alle nachverfolgen, wie gut (oder schlecht) es um Kinderbetreuung in der eigenen Region bestellt ist – was den Druck auf starrsinnige Lokalpolitiker erhöht. Details wie unzureichende Finanzierung werden zu Recht kritisiert, im Prinzip bedeutet die Offensive für den Kinderbetreuungsnachzügler Österreich aber durchaus einen Fortschritt.

Das Schlammcatchen mit Anlauf in den Untersuchungsausschüssen hingegen nicht. Das wichtigste Kontrollinstrument des Parlaments derart mit Anlauf ins Groteske zu ziehen, ist an Plumpheit schwer zu überbieten. Die ÖVP etwa will allen Ernstes „rot-blaue Sümpfe“ zwischen 2007 und 2019 untersuchen, einer Zeit, in der SPÖ und FPÖ zwar abwechselnd mitregierten, aber nie gemeinsam, sondern jeweils mit der ÖVP. Ernsthafte Erkenntnisse sind nicht zu erwarten, genauso wenig vom SPÖ-FPÖ-U-Ausschuss über die „Bevorzugung von Milliardären“ bei Corona-Hilfsgeldern. Außer der Bestätigung des Vorurteils „überall Gaunerpolitiker“ wird wenig bleiben – auch so kann man das verbliebene Ansehen beschädigen. Und es schwerer machen, nach der nächsten Nationalratswahl Partner für eine Regierungszusammenarbeit zu finden.

Wenn man den Rest der Legislaturperiode noch für einen U-Ausschuss nützen will, scheint die größte Pleite der heimischen Wirtschaftsgeschichte, die milliardenschwere Signa-Insolvenz, ein lohnenderes Betätigungsfeld, inklusive der Frage, wie sehr der vermeintliche Wunderwuzzi René Benko von der Politik hofiert wurde – beileibe nicht nur von den zwei Altkanzlern Alfred Gusenbauer und Sebastian Kurz auf Benkos Payroll. Mit der ehrlichen Aufarbeitung der politischen Komponente zumindest zu beginnen, könnte ein wesentlicher, wenn auch schmerzvoller Beitrag zu mehr Vertrauen in die Politik sein.

Denn eine Bevölkerungsgruppe zeigt sich nach wie vor zutiefst unzufrieden mit Politik und Demokratie: das ärmste Drittel der Bevölkerung. Dort sind mittlerweile drei Viertel überzeugt, dass das politische System überhaupt nicht funktioniert, und sie beklagen bitter, dass Politik vor allem Reichen und Mächtigen dient. Ein Eindruck, der nicht nur durch die Inflation, sondern auch in der Corona-Pandemie verstärkt wurde: Lockdowns zum Beispiel fielen naturgemäß in beengten Wohnungen schwerer als in geräumigen Terrassen-Balkon-Appartements. Insofern schade, dass man von der versprochenen Aufarbeitung der Corona-Zeit und deren Schieflagen schon länger nichts mehr gehört hat. Denn niemand kann Interesse haben, diese Bevölkerungsgruppe kampflos der FPÖ zu überlassen.

Der Tag nach dem bestimmt langen und sicher schmutzigen Wahlkampf kommt bestimmt. Schon jetzt ein paar Gedanken daran zu verwenden, schadet den demokratischen Kräften im Land keineswegs.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin