Gernot Bauer
Gernot Bauer

Schulen im Corona-Lockdown: Gerechtigkeit für Faßmann

Warum es richtig ist, die Schulen offen zu halten.

Drucken

Schriftgröße

Wenn es einen politischen Krampus in den vergangenen 48 Stunden gab, dann war dies weder Kanzler Alexander Schallenberg noch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein und auch keiner der neun Landeshauptleute, die gemeinsam mit der Bundesregierung die Republik in den vierten Lockdown schickten. Nein: Absoluter Buhmann in klassischen und sozialen Medien ist seit Freitagmittag Bildungsminister Heinz Faßmann. Sein Vergehen: Er setzte ein Menschenrecht um, nicht aus. Das Recht auf Bildung ist verankert im Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte; im Artikel 28 der Kinderrechtskonvention; und – in Bezug auf Flüchtlinge – im Artikel 22 der Genfer Flüchtlingskonvention. Dies beweist, welch hohes Gut die Bildung ist. Ein Bildungsminister, der – auch in einer Pandemie – nicht mit äußerstem Einsatz für offene Schulen kämpft, wäre rücktrittsreif.

Natürlich bedeutete die Situation nach dem Beschluss des Lockdowns für Schüler, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer eine Zumutung. Zu widersprüchlich waren die Botschaften. Der Bildungsminister verkündete, in den Schulen würde im Lockdown Unterricht stattfinden, während der Bundeskanzler die Eltern bat, ihre Kinder zu Hause zu lassen. Das Chaos, das sich hoffentlich bald legt, ist auch Folge des Ringens innerhalb der Regierung. Alexander Schallenberg war im Verbund mit türkisen Landeshauptleuten, vor allem jenen in Salzburg und Oberösterreich, die längste Zeit gegen offene Schulen. Gegen diesen Druck von oben musste Heinz Faßmann sein gesamtes politisches Gewicht einbringen. Wie zu hören ist, soll der Minister sogar mit Rücktritt gedroht haben. Gegen Sebastian Kurz konnte sich Faßmann bei früheren Lockdowns nicht durchsetzen, gegen Schallenberg schon.

Die Lage ist diesmal auch eine andere. Lehrer und immer mehr Kinder und Jugendliche sind geimpft. Schülerinnen und Schüler werden dreimal pro Woche getestet. Regelmäßig getestete Kinder und Jugendliche in Schulen sind sicherer als ungetestete Kinder und Jugendliche daheim, die sich vorhersehbar nicht an den Lockdown halten. Sollte ein Punkt erreicht werden, an dem der Schulbesuch eine nicht mehr vertretbare Gefährdung der Gesundheit der Schüler bringt, sind die Schulen zu schließen. Dies müssen die Behörden entscheiden. Doch so weit sind wir noch nicht. Eltern, die sich Sorgen machen, können ihre Kinder dennoch zu Hause lassen.

Gerade bei Kindern und Jugendlichen sind die Kollateralschäden geschlossener Schulen evident. OECD-Studien belegen, dass Lockdowns einen erheblichen Wissensverlust bei Schülerinnen und Schülern bewirken und damit künftige Erwerbschancen vermindern. Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Familien fallen noch weiter zurück.

Schwerer als langfristig schlechtere Karriereaussichten wiegen die kurzfristigen Belastungen eines Lockdowns für die Gesundheit. Die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde warnt eindringlich vor den „weitreichenden Auswirkungen auf das soziale, psychische und geistige Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen“.

Früher wunderten wir uns über die Prioritätensetzung der Politik im Corona-Krisenmanagement. Es gab Phasen, da blieben Handel und Gasthäuser offen, die Schulen aber geschlossen. Dass nun die Bildung mehr zählt als Konsum und Kommerz, ist dem humanistischen Weltbild des Heinz Faßmann zu verdanken. Dafür verdient er nicht Schimpf und Schande, sondern Applaus – und mit ihm alle Lehrerinnen und Lehrer, die in der Pandemie Bemerkenswertes leisten.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.