Leitartikel

Ein gefährlicher Kniefall

Rechte und konservative Politiker fordern ein Ende der Sanktionen gegen Russland und übernehmen dabei Putins Argumente. Ein fataler Fehler.

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Wladimir Putin setzt auf den Egoismus des Westens. Wenn die Heizungen in Europa im Winter kalt bleiben, so hofft er, werden auch die letzten Reste von Mitgefühl mit der  ukrainischen Bevölkerung versickern. Ganze Generationen haben sich auf Billiggas aus Russland verlassen und darauf ihren Wohlstand aufgebaut. Es war eine bequeme Lösung, die daraus entstandene Abhängigkeit verdrängte man bis zum 24. Februar 2022 erfolgreich. Putins Kalkül ist simpel: Durch teils existenzbedrohend hohe Energiepreise wird ein in die Enge getriebenes Europa die Ukraine spätestens im Winter unter Druck setzen, Verhandlungen zuzustimmen und auf die Bedingungen des Kreml eingehen.
Diesen Kniefall sollte der Westen besser unterlassen.

Es kommt dem russischen Präsidenten natürlich gelegen, dass die Solidarität mit der Ukraine im Westen zu bröckeln beginnt. In den USA machen rechte Medien Stimmung gegen die Finanz- und Militärhilfen für Kiew; in Deutschland ruft die AfD zu Protesten auf. Die deutsche „Linke“ forderte, wie andere europäische Parteien am linken wie rechten Rand, schon vor Wochen das Ende der Sanktionen und die  Aufnahme von Gesprächen mit Moskau.

Die alte Ordnung scheint dahin, doch über die Konsequenzen dieses Krieges können wir maßgeblich mitbestimmen.

In Österreich bilden rechte und rechtskonservative Politiker die Vorhut der Sanktionen-Gegner. So stellt etwa Oberösterreichs ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer ihre Sinnhaftigkeit infrage. Immerhin hätten sie keinen Frieden gebracht und schadeten obendrein der heimischen Wirtschaft, womöglich sogar mehr als jener Russlands. Seine These widerspricht zwar allen verfügbaren Zahlen, aber wen interessieren in harten Krisenzeiten schon die Fakten?

Es ist richtig, dass ohne die russischen Gaslieferungen ein harter Winter droht. Der Staat wird die Vervielfachung der Energiepreise nicht vollständig abfedern können, hinzu kommt die Rekordinflation. Die Stimmung wird angesichts dieser Attacken auf unseren gewohnten Lebensstandard wohl kippen.

Ein Ende der Sanktionen ist aber nicht die Lösung, im Gegenteil. Die Debatte darüber befeuert Unsicherheiten und lenkt die Ängste der Menschen in falsche Bahnen. Anstatt sie in der Illusion zu wiegen, dass eine Normalisierung der Beziehungen zu Moskau alle Probleme lösen würde, wäre Aufrichtigkeit gefragt. Österreich kann auch nicht im Alleingang auf Putin zugehen, ohne einen schweren Bruch innerhalb der EU zu provozieren. Und ein Ende der Sanktionen würde bloß Moskaus Kriegskassen auffüllen.

Russland wird einem Waffenstillstand nur zustimmen, wenn es im Austausch dafür Lockerungen bei den Sanktionen gibt. Diese wichtige Karte in der heißen Phase des Krieges aus der Hand zu legen, wäre fahrlässig. Damit hätte ein narzisstischer Diktator den Nervenkrieg gewonnen; seine Strategie, den Westen in Geiselhaft zu nehmen, wäre einmal mehr aufgegangen.

Stattdessen sollte die Regierung mit Aufklärungskampagnen arbeiten und aufzeigen, wieso die EU jetzt nicht einknicken darf. Denn eine Niederlage der Ukraine wäre indirekt auch eine für uns, für den Westen, für unser gesamtes Wertesystem.

Langfristig würde ein Ende der Solidarität mit der Ukraine auch dem sozialen Zusammenhalt in Europa schaden. Die Kosten eines Sieges Putins wären enorm hoch. Es gibt gute Gründe dafür, wieso der Westen beispiellos harte Sanktionen beschlossen hat. Russland in seinem Angriff auf einen souveränen Staat gewähren zu lassen, wäre ein fatales Signal in alle Richtungen. Daran hat sich nach einem halben Jahr Krieg nichts geändert.

Gelingt es nicht, eine Mehrheit der Menschen davon zu überzeugen, sind rechte Politiker wie Herbert Kickl die großen Gewinner einer humanitären Katastrophe. Der FPÖ-Chef freut sich bereits über die „Stimmen der Vernunft“ in der ÖVP und fordert eine Volksabstimmung über die Sanktionen. Beim ORF-Sommergespräch forderte ein selbst für seine Verhältnisse auffallend aggressiver Kickl „Verständnis für die andere Seite“ sowie eine „Pufferzone“ in der Ukraine, wie sie auch der Kreml verlangt.

Dass der Parteichef am  rechten Rand Russlands Argumentation übernimmt, ist kein Novum. Die ÖVP aber sollte sich dieser Rhetorik nicht bedienen. Die Konservativen wären gut beraten, ausnahmsweise auf Partei-Paria Othmar Karas zu hören. „Wir haben in dieser Frage vor der Geschichte zu bestehen, nicht vor der nächsten Wahl“, twitterte der Vizepräsident des EU-Parlaments letzte Woche.

Putins Krieg in der Ukraine stellt alles infrage, was uns angeblich so heilig ist. Die alte Ordnung scheint dahin, doch über die Konsequenzen dieses Krieges können wir maßgeblich mitbestimmen. Der Überfall auf die Ukraine ist der Angriff einer Autokratie auf eine Demokratie, mitten in Europa. Der Ursprung unseres Wohlstands ist nicht das russische Gas, sondern unsere Demokratie und unsere Freiheiten. Dieses System attackiert Putin mit Brutalität. Dagegen müssen wir uns wehren.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und gehört zum "Streiten Wir!"-Kernteam.