Siobhán Geets: Wann ist eine Frau eine Frau?

Ist es transphob, darauf zu beharren, dass es einen Unterschied zwischen Transfrauen und als Frauen geborenen Menschen gibt?

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Der Evolutionsbiologe und Beststellerautor Richard Dawkins ist über einen seiner Tweets gestolpert – schon wieder, könnte man sagen. Diesmal aber hat ihm die atheistisch-humanistische „American Humanist Association“ den Titel „Humanist des Jahres“ von 1996 entzogen. Was war geschehen?

Am 12. April erinnerte der ehemalige Oxford-Professor an den Dolezal-Skandal. Im Jahr 2015 war Rachel Dolezal, Verbandspräsidentin der einflussreichen US-Bürgerrechtsorganisation „National Association for the Advancement of Colored People“ (Naacp), quasi als Weiße aufgeflogen. Jahrelang hatte sich Dolezal als Schwarze ausgegeben und afroamerikanische Wurzeln erfunden. Doch dann meldeten sich ihre (weißen) Eltern zu Wort: Rachel habe gar keinen schwarzen Vater, ihre Vorfahren hätten deutsche und tschechische Wurzeln. Sie belegten das mit der Geburtsurkunde ihrer Tochter und mit Fotos von ihr als Kind, die ein blondes Mädchen mit Sommersprossen zeigen.

Dawkins hat Dolezal nun mit Transgender verglichen, also Menschen, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren oder sich weder weiblich noch männlich fühlen. Rachel Dolezal sei verunglimpft, weil sie sich als Schwarze identifizierte, schrieb Dawkins. „Einige Männer entscheiden sich dafür, sich als Frauen zu identifizieren, und einige Frauen entscheiden sich dafür, sich als Männer zu identifizieren. Wer leugnet, dass sie buchstäblich das sind, als was sie sich identifizieren, wird verunglimpft.“

Darunter ruft Dawkins dazu auf, diesen Vergleich zu diskutieren. Dabei hat er offenbar vergessen, wie Twitter funktioniert: Eine differenzierte Debatte ist auf der Plattform so gut wie unmöglich.

Diese Erfahrung hatte vor Dawkins auch schon J.K. Rowling machen müssen. Die britische Schriftstellerin und Harry-Potter-Erfinderin hatte es gewagt, auf der Existenz des biologischen Geschlechts zu bestehen: Es gebe einen Unterschied zwischen Frauen und Transfrauen, also als Männer geborenen Menschen, die sich als Frauen identifizieren.

Die Folgen von Rowlings Tweets waren enorm, die Empörung groß. Vor allem junge Leute, die mit der Harry-Potter-Serie großgeworden waren, wollten nichts mehr von Rowling wissen. Auf Twitter kursierte der Hashtag #RIPJKRowling. Die Schriftstellerin wurde für tot erklärt, zumindest in der digitalen Welt. Transgenderaktivisten haben einen eigenen Terminus für Leute wie sie: TERF – Trans Exclusionary Radical Feminists.

Wer darauf besteht, dass nur als Frauen geborene Menschen als Frauen gelten, soll radikal sein?

Die zunehmend aggressiv geführte Debatte wurzelt in der Frage, ob es so etwas wie das biologische Geschlecht überhaupt gibt. Selbstverständlich, sagen die Feministinnen der alten Schule. Doch wer einen Unterschied zwischen biologischen Frauen und Transfrauen macht, gilt im Transgenderaktivismus als transphob, als Feind, den es zu bekämpfen gilt.  
Nur: Sind Leute wie Dawkins und Rowling wirklich die Feinde der Bewegung?

Dawkins hat zur Debatte gestellt, wieso man sich das Geschlecht selbst aussuchen darf, nicht aber die Hauptfarbe. Er ist nicht der Erste, der diesen Vergleich aufbringt. Dolezal selbst hat sich mit der Transfrau Caitlyn Jenner verglichen, die, damals noch als William Bruce Jenner, olympisches Gold im Zehnkampf gewonnen hatte. Auch in den Medien kam die Frage auf, ob man mit der falschen Hautfarbe geboren sein könne. Gelten die Rechte von Trans-Menschen auch für Rachel Dolezal?

Auch sie hatte behauptet, sich immer schon als Schwarze gefühlt zu haben. Doch als weißes Mädchen konnte sie unmöglich die Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, denen Schwarze ausgesetzt sind. Das könnte man auch über Transfrauen sagen. Aber diese Debatte will niemand führen.

Dabei könnte man Dawkins einiges entgegnen. Erstens sind Frauen keine Minderheit. Wer sich als Frau fühlt, soll als Frau leben dürfen. Zudem kann man Transfrauen im Gegensatz zu Dolezal nicht vorwerfen, sich ein historisches und kulturelles Erbe für die eigene Biografie nutzbar zu machen: Für Transfrauen geht es nicht um den Wechsel der Identität im Sinne eines Kampfes gegen Ungerechtigkeiten, sondern darum, dass sie sich im falschen Körper fühlen.

Doch wer darf entscheiden, wie andere gesehen und als was sie definiert werden? Der Staat? Die Biologie? Die Meute auf Twitter? Oder doch jeder selbst? Wer dem gängigen Bild der Geschlechter nicht entspricht, der fällt auf. Trans-Menschen sind Hass und Häme ausgesetzt und müssen um ihre Rechte kämpfen. Die Debatte um die konstruierte Biologie hilft ihnen dabei nicht.

Vielleicht kann man sich darauf einigen, dass es problematisch ist, die komplexe Theorie des Dekonstruktivismus auf Lebensrealitäten und Identitäten anzuwenden. Jeder Mensch soll sein, was er will. Doch jeder Mensch muss auch anderen zubilligen, Unterschiede wahrzunehmen, wo es Unterschiede gibt. Für das Leben der Menschen spielt es eine entscheidende Rolle, ob sie als Frauen „gelesen“ werden oder als Männer, als schwarz oder als weiß. Daran wird auch das Leugnen von Unterschieden nichts ändern.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.