Franz Schellhorn
Franz Schellhorn

Wien hat Erfolg, wo der Bund versagt

Man muss kein eingefleischter Sozialdemokrat sein, um zu sehen, dass der Wiener Bürgermeister einen ziemlich erfolgreichen Corona-Kurs fährt.

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Franz Schellhorn

Der Direktor des Thinktanks Agenda Austria schreibt regelmäßig Gastkommentare für profil.

Während in Ländern wie Dänemark alle Corona-Beschränkungen vor zwei Monaten aufgehoben wurden, rollt auf Österreich die vierte Infektionswelle zu. Mit voller Wucht. Operationen werden verschoben, in 18 Bezirken gelten Ausreisekontrollen, elf davon in Oberösterreich. Allein dieses Bundesland verzeichnet aktuell so viele Neuinfektionen wie ganz Spanien. Gleichzeitig stapeln sich in den Depots die Impfstoffe. Wie das zu erklären ist? Ganz einfach: Wir sind eben ein sehr eigenartiges Völkchen. Wir schwören auf Bachblüten, schlürfen Granderwasser, glauben an die Heilkraft von Globuli und vertrauen unseren stählernen Abwehrkräften.

Nur impfen lassen wir uns nicht, außer für den Urlaub in den Tropen. Aber nicht, um eine Pandemie in den Griff zu kriegen. Wir sind schließlich mit einem „gesunden“ Misstrauen gegenüber der modernen Medizin zur Welt gekommen. Und zur Not nehmen wir für Pferde gedachte Entwurmungsmittel ein. Statt uns von profitsüchtigen Pharmakonzernen genmanipulierte Impfstoffe samt eingebauter Kontrollchips durch die Adern jagen zu lassen.
Ja, so sind wir. Also manche von uns. Die breite Mehrheit ist eigentlich anders. Sie hat sich impfen lassen, um sich selbst zu schützen und damit der gesamten Bevölkerung die Rückkehr zur Normalität zu ermöglichen. Wir sind viele, aber noch immer zu wenige. Bescheidene 63 Prozent der Bevölkerung sind voll immunisiert. In Dänemark sind es 75, in Spanien 80 und in Portugal 87 Prozent. In diesen Ländern lebt man mit dem Virus recht gut, weil die nötige Durchimpfungsrate erreicht wurde. Das heißt nicht, dass niemand mehr an Corona erkrankt. Die Impfdurchbrüche sind nicht zu übersehen. Der Krankheitsverlauf ist bei Geimpften aber ein deutlich milderer als bei allen, die auf ihre inneren Abwehrkräfte bauen.

Nicht geimpft zu sein, ist in Österreich zu bequem.

Österreich wiederum steuert nach zwei harten Lockdowns mit verheerenden Folgen zielsicher auf die nächste Katastrophe zu. Weshalb jetzt verschärfte Gegenmaßnahmen diskutiert werden – wie „3G“ am Arbeitsplatz. Also geimpft, genesen oder getestet. Und jetzt kommt die politische Führung vieler Bundesländer drauf, dass sie nicht für entsprechende PCR-Testkapazitäten gesorgt hat. Jetzt, im November 2021. Die Bürger eines der teuersten Staatssysteme der Welt werden gerade Zeugen eines Politikversagens der Sonderklasse.

Wien ist die große Ausnahme. Die Gratis-Tests verschlingen zwar Unsummen, funktionieren aber wie am Schnürchen. Einfacher geht es nicht. Auch das Impfmanagement klappt hervorragend, sogar digital. Man muss kein eingefleischter Sozialdemokrat sein, um zu sehen, dass Michael Ludwig einen ziemlich erfolgreichen Kurs fährt. Im ganzen Land gehen die Inzidenzen durch die Decke, in Wien bleiben sie auffallend niedrig.

Das kann sich auch wieder ändern, vor wenigen Wochen war die Situation ja noch umgekehrt. Aber eines kann Michael Ludwig niemand absprechen: Leadership. Er macht nicht das, was die Umfragen „hergeben“. Sondern das, was er für richtig hält. Während führende Politiker aus den Corona-Hotspots abtauchen und sich in öffentlichen Debatten von Beamten vertreten lassen, hat sich der Wiener Bürgermeister schon vor Monaten hingestellt, um eine härtere Gangart zu verkünden. Und das zu einer Zeit, als nahezu das ganze Land die Pandemie für überwunden hielt. Jetzt ist sie mit voller Kraft zurück. Und Wien erhöht erneut den Druck: Zugang zur Gastronomie, Friseuren und Events gibt es nur noch für Geimpfte und Genesene. Gut so.

Es ist höchste Zeit, dass die Regierung ihre Strategie überdenkt. Nicht geimpft zu sein, ist in Österreich einfach zu bequem. Das muss sich ändern. Dabei geht es nicht um die Einführung einer generellen Impfpflicht, die ist mit einem liberalen Rechtsstaat nicht zu vereinbaren.

Jeder Bürger hat die Freiheit, sich nicht impfen zu lassen. Aber niemand hat das Recht, die Folgen seines Tuns auf die Allgemeinheit abzuwälzen. So wie alle Bürger an den Kosten ihrer Rettung beteiligt werden, wenn sie sich trotz Unwetterwarnung in die Berge begeben, sollte jeder freiwillig Ungeimpfte auch einen Selbstbehalt für einen Spitalaufenthalt abführen. Gerne auch einkommensabhängig. Dass Experten geschlossen dagegen auftreten, ist in einem Land, in dem alles „gratis“ zu sein hat, nicht überraschend. Die Argumente sind es schon eher. Etwa, dass als Nächstes Raucher, Übergewichtige oder Extremsportler „dran“ wären. Sie sorgen aber weder für Lockdowns noch für überfüllte Spitäler.

Andere wiederum warnen vor „amerikanischen Verhältnissen“. Das ist nicht ganz ohne Ironie. Haben die „österreichischen Verhältnisse“ ja dazu geführt, dass das Gesundheitssystem erneut an seine Belastungsgrenze kommt, Operationen für Patienten verschoben werden müssen und das ganze Land wieder vor drastischen Einschränkungen steht. Ohne Not. Nur weil ein Teil der Bevölkerung die Freiheit in Anspruch nimmt, es lieber mit der Krankheit zu probieren als mit der Impfung. Verstehe das, wer will.