Morgenpost

Alkohol verlängert Ihr Leben nicht

Warum Sie Ernährungsstudien, die erstaunlichen Gesundheitsnutzen versprechen, mit Skepsis betrachten sollten.

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Reden wir trotz der frühen Stunde kurz über Alkohol. Kürzlich erschien eine Studie, die einen alten und äußerst langlebigen Mythos zertrümmerte. Er lautete: Rotwein verlängert das Leben. Ein Gläschen pro Tag, hieß es, sei der Gesundheit zuträglich, nur größere Mengen bewirkten medizinische Probleme. Nun zeigte eine Metastudie: Offenbar ist nichts dran an dieser schönen Annahme. Für die Neubewertung des angeblich segensreichen Rotwein-Effekts wurden Daten aus drei Jahrzehnten ausgewertet, die von fast fünf Millionen Personen aus mehr als 100 einzelnen Studien stammten. Es handelt sich daher um eine sehr solide Datenbasis, die es bei sorgfältiger statistischer Auswertung erlaubt, belastbare Schlüsse zu ziehen. Im konkreten Fall ist das Fazit wenig spektakulär, dafür aber plausibel: Es gibt keinen Beleg, dass kleine Mengen Alkohol unser Leben verlängern. Allerdings: Ein bisschen Alkohol schadet auch nicht. So weit, so langweilig.

Würde es sich um einen Einzelfall handeln, müssten wir uns nicht weiter mit dem Thema befassen. Tatsächlich jedoch werden wir unablässig mit Ernährungstipps bombardiert, die zweierlei gemeinsam haben: Sie beruhen auf wissenschaftlichen Studien und versprechen gerne fantastischen Nutzen auf Basis simpler Rezepte oder Verhaltensmuster. Ein Dauerbrenner war die mediterrane Diät, die Olivenöl, Fisch und weitere Ingredienzien der Küche in Küstenregionen anpries. Die Evidenz dazu ist jedoch, höflich ausgedrückt, längst nicht mehr einheitlich positiv – und im besten Fall inkonsistent. Eindeutiger lassen sich all die Empfehlungen zu vielen Vitaminpräparaten beurteilen, etwa Vitamin C besonders in hohen Dosen. Effekt: Null.

Die Liste lässt sich nach Belieben fortsetzen: Ob Herzgesundheit, Immunsystem, Übergewicht, sexueller Appetit oder Krebsrisiko – gegen beziehungsweise für alles scheint buchstäblich ein Kraut gewachsen. Nach demselben Muster bekommen wir Bewegungstipps serviert, die ganz genau erklären, wieviele Schritte wir täglich gehen oder wieviele Stockwerke wir erklimmen müssen, um vor Gesundheit zu strotzen. Viele dieser Empfehlungen beruhen auf Studien, deren Aussagekraft sich erst bei näherem Hinsehen als oft äußerst dünn herausstellt – weil zu wenige Personen untersucht wurden oder die Analysekriterien nicht nachvollziehbar sind. Mitunter handelt es sich bloß um Umfragen (merke: eine Umfrage ist keine Studie). Dass man mit etwas Geschick alles herbeirechnen kann, was man möchte, zeigte eine berühmt gewordene „Studie“ vor knapp zehn Jahren. Deren sensationelle Aussage: Schokolade hilft beim Abnehmen! 

Es handelte sich jedoch nicht um ein Missgeschick oder eine Fälschung im eigentlichen Sinn. Vielmehr narrten die Autoren Konsumenten und Medien ganz bewusst, indem sie demonstrierten, dass man Studiendesign und Statistik gezielt dazu missbrauchen kann, um völligen Unsinn zu behaupten. Besonders beliebt ist folgende Methode: Man nehme sehr wenige Studienteilnehmer und möglichst viele Fragestellungen und mische beides gut durch. Heraus kommt ein wirres und nutzloses Chaos von Ergebnissen, von denen immer ein paar rein zufällig signifikant sind – zum Beispiel, dass Schokolade schlank macht.

Wenn Ihnen also wieder einmal eine scheinbar großartige Ernährungsstudie ins Auge springt, die maximalen Benefit bei zugleich wenig Aufwand verspricht – seien Sie bitte skeptisch. Und genießen Sie ein Glas Rotwein, auch wenn Sie deshalb vermutlich nicht länger leben.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft