Chinas Staatspräsident Xi Jinping
Morgenpost

Chinesische Taktik und steirisches Los

Glück muss man haben – oder es erzwingen: Wie in Schladming ein Bürgermeister per Los gewählt wurde und warum eine weltweite Recherche, an der auch profil beteiligt ist, für Wirbel in Peking sorgen könnte.

Drucken

Schriftgröße

Manchmal ist Politik das Bohren harter Bretter, manchmal aber auch nur das Haben von Glück. Bei den Wiener Gemeinderatswahlen hat sich am vergangenen Sonntag die Beharrlichkeit des Bestehenden durchgesetzt (die profil-Berichterstattung dazu finden Sie hier), im weststeirischen Schladming wiederum musste am Montagabend Fortuna eingreifen. Im Rahmen eines kommunalpolitischen Nervenkrimis wurde in der beliebten Tourismusgemeinde ein neuer Bürgermeister gewählt – nach langem Streiten und Taktieren und volle sechs Wochen nach den steirischen Gemeinderatswahlen. Bei der Sitzung im Schladminger „Congress“ brachten die „Liste Schladming“ des bisherigen Bürgermeisters Hermann Trinker und die FPÖ mit der Listenersten Eva Kroismayr-Baier Wahlvorschläge ein, die ÖVP verzichtete kurzfristig überraschend auf einen eigenen Vorschlag. Nach drei ergebnislosen Wahlgängen (mit jeweils Stimmengleichstand) musste laut Paragraph 23 der Steiermärkischen Gemeindeordnung der jüngste Gemeinderat, also Jonas Kraml, in den Lostopf greifen – und zog seinen Listenkollegen Trinker. Habemus Ortschef!

Auf Chinesisch heißt Glück (vereinfacht) Xingfú, aber in Peking verlässt man sich, wenn es um Politisches geht, nicht so gern darauf. Man hilft lieber nach. In einer mehrteiligen Recherche im Verbund mit dem „International Consortium of Investigative Journalists“ (ICIJ) und zahlreichen Medienhäusern auf der ganzen Welt hat profil-Chefreporter Stefan Melichar aufgeschrieben, wie das Regime von Staatspräsident Xi Jinping mit unliebsamen Personen umgeht, die sich gerade nicht auf dem eigenen Staatsgebiet befinden. 

Das führt Melichar etwa zum Fall des chinesischen Geschäftsmannes H., der nach einer von Peking beantragten Interpol-Fahndung („Red Notice“) in Frankreich verhaftet wurde. Einiges spricht dafür, dass die zugrundeliegenden Vorwürfe eher nur ein Vorwand gewesen sein dürften. H. selbst vermutet, er sollte eigentlich dazu bewegt werden, in China gegen einen hochrangigen Ex-Politiker auszusagen. Der chinesische Milliardär und „Alibaba“-Gründer Jack Ma soll H. in einem Anruf in die Auslieferungshaft denn auch dringend zur Kooperation geraten haben: „Wenn du nicht zurückkommst, werden sie dich definitiv vernichten.“ Eine Anfrage der recherchierenden Journalistinnen und Journalisten dazu ließ Ma unbeantwortet.

Es handelt sich um keinen Einzelfall, wie Melichar schreibt: „Schon vor rund einem Jahrzehnt hat Chinas Präsident Xi Jinping damit begonnen, öffentlich eine stärkere internationale Strafverfolgung jener zu fordern, die er als korrupte Staatsbürger im Ausland bezeichnet. Seit damals hat China das Interpol-System jedoch nicht nur genutzt, um Kriminelle ins Visier zu nehmen, sondern auch Geschäftsleute mit politischen Connections, Regimekritiker und Mitglieder verfolgter religiöser Minderheiten.“

Rund 50 Fälle konnten die ICIJ-Reporter untersuchen, sie betrafen regimekritische Geschäftsleute und Politiker, Menschenrechtsaktivisten und Angehörige von Minderheiten. Aber nicht nur durch missbräuchliche Verwendung der internationalen Strafverfolgungsbehörden übt Peking Druck auf Ziele im Ausland aus: Wie Melichar in einem weiteren Teil seiner „China Targets“-Recherchen beschreibt, werden am UNO-Sitz in Genf auch Fake-NGOs eingesetzt, um im chinesischen Interesse Einfluss auszuüben:

„Aktuell verfügen 106 Organisationen aus China, Hongkong, Macau und Taiwan über den begehrten „Konsultativstatus“. Wie die Recherchen im Rahmen des Projekts „China Targets“ zeigen, sind 59 von ihnen jedoch eng mit der chinesischen Regierung oder der kommunistischen Partei Chinas verbunden: Bei 46 dieser Organisationen findet sich Führungspersonal, das auch Positionen im Regierungsapparat oder in der Partei innehat. Zehn der angeblichen NGOs erhalten mehr als die Hälfte ihrer finanziellen Mittel vom chinesischen Staat. 53 von ihnen versichern der kommunistischen Partei auf ihrer Website oder in offiziellen Dokumenten ihre Treue.“

Xi würfelt nicht.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur. Ist seit 2020 Textchef und seit 2025 stellvertretender Chefredakteur dieses Magazins.