Irreregulierbar
Vorige Woche lief in der ORF-Sendung Report ein Beitrag über das Handyverbot an Schulen, das seit 1. Mai in Kraft ist. Eine Szene lässt mich seitdem nicht mehr los. Die ärztliche Leiterin einer Therapieeinrichtung erzählt da, wie Kleinkinder in ihrem Wartezimmer versuchen, die Fische im Aquarium mit Daumen und Zeigefinger größer und kleiner zu machen. So, wie man das am Handy oder Tablet macht. Das Bild führt einem dramatisch die Verwundbarkeit des menschlichen Geistes vor Augen.
Ich will hier nicht den Nachweis führen, dass exzessiver Handykonsum für die steigende Zahl von Autismus-Diagnosen und Entwicklungsstörungen bei Kindern verantwortlich ist. Es ist ein junges Phänomen, die Wissenschaft hat gerade erst begonnen, Fragen zu stellen. Zugegeben, es ist unpopulär auf einer derart dürftigen Faktenbasis zu argumentieren. Sogar die FPÖ ist neuerdings versessen darauf, empirische Datensammlung zur Grundlage ihrer politischen Arbeit zu machen. So verstehe ich zumindest die mehr als 800 parlamentarischen Anfragen, die von Freiheitlichen Abgeordneten diese Woche zu allen möglichen Corona-Themen eingebracht wurden.
Ich schweife ab, möglicherweise wirkt sich da bereits mein eigener Handykonsum nachteilig auf die Konzentration aus. Was ich sagen will: Es ist ganz offensichtlich so, dass die digitale Realität unsere gesamte Vorstellung der Wirklichkeit stark beeinflusst. Das ist nicht nur bei Kleinkindern so, deren Wahrnehmung der Welt durcheinandergeraten ist. Im virtuellen Raum nehmen Wahrheit und Lüge selbstverständlich nebeneinander Platz, sind Katzenvideos und Pornografie gleichermaßen niederschwellig erreichbar.
Die gesetzlich verordnete Handypause an den Schulen ist sicher ein Gewinn für Lehrer und Schüler. Sie führt uns aber auch vor Augen, wie eingeschränkt die Möglichkeiten des Gesetzgebers sind, auf den Digitalkonsum Einfluss zu nehmen. Außerhalb von Schulen (und Gefängnissen) sind diese eigentlich inexistent. Unser regulatorischer Werkzeugkasten stammt nun einmal großteils aus dem 20. Jahrhundert („Zwei Wochen Fernsehverbot!").
Die Europäische Union hat 2022 mit dem Digital Services Act einen ersten Schritt getan, zumindest Teile des Online-Universums zu regulieren. Ob das auch nur einen jungen Mann davon abgehalten hat, sich auf TikTok einer Instant-Radikalisierung zu unterziehen? Keine Ahnung. Ich vermute aber, dass wir uns ganz neue Wege zur Regulierung des digitalen Universums überlegen werden müssen.
Oder wir stellen uns auch vor das Aquarium und versuchen die Fische kleiner zu machen.