Warum wir Blödsinn berichten müssen
Offen gestanden: Manchmal nervt es schon. Es nervt, wieder und wieder all den Unsinn thematisieren zu müssen, der über Impfungen und deren angeblich furchtbare Auswirkungen verbreitet wird. Es nervt und außerdem langweilt es bisweilen, immerhin gäbe es jede Menge spannende und faszinierende Einsichten in die Welt der Wissenschaft zu berichten – von der Vermessung ferner Planetensysteme über neue Ansätze beim Bau umweltschonender Batterien bis zur Entschlüsselung des Kosmos der Proteine und damit der Bausteine allen Lebens.
Dennoch kann man in Wellen durch die sozialen Medien schwappenden Schauergeschichten über Impfungen nicht immer ignorieren, so bizarr sie mitunter auch sein mögen. Kürzlich etwa tauchten wieder einmal Warnungen vor „Blitzkrebs“ durch die Covid-Vakzine auf, eigentlich schon eine gute abgelegene Erfindung, die nun neuerlich aufgewärmt wurde, vermutlich in der Hoffnung, damit Menschen in Panik versetzen zu können, die frühere Wellen dieser Fake News verpasst hatten.
Hilfe, Blitzkrebs!
Auch die von US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy geäußerte Behauptung, wonach die Impfstoffe gegen Masern, Mumps und Röteln Teile von Föten enthalten, ist eigentlich ein alter Hut. Trotzdem wird sie gerade wieder durch Social Media getrieben wie die Sau durchs Dorf – wohl in der Annahme, dass selbst der größte Unsinn durch ständige Wiederholung eine gewisse Glaubwürdigkeit erfährt.
Apropos Kennedy. Vorige Woche fiel eine weitere Desinformationskampagne auf Facebook auf, in der RFK eine zentrale Rolle spielt, obwohl er ausnahmsweise gar nichts dafür kann. Im Kern lautete die Botschaft: Kennedy habe einen Prozess vor dem Obersten Gerichtshof „gegen alle Pharmalobbyisten“ gewonnen. Dem „großartigen und wegweisenden Urteil“ zufolge sei nun entschieden, dass Covid-19-Impfstoffe irreparable Schäden anrichten und gar keine Impfstoffe seien (was immer letzterer Punkt bedeuten soll). Eines der diesbezüglichen Postings wurde rund 3000 Mal geteilt.
Eine derart außergewöhnliche Meldung schreit natürlich förmlich danach, auf ihren Faktengehalt abgeklopft zu werden. Im Posting selbst, in ziemlich windschiefem Deutsch verfasst, findet sich weder ein Link zum Urteil noch sonst eine Quelle. Praktischerweise hat der amerikanische Supreme Court eine reichhaltige Website, auf der aktuelle Entscheide berichtet und kommentiert werden. Von dem beschriebenen Verfahren Kennedys findet sich allerdings weit und breit keine Spur.
Ein komplett erfundener Gerichtsprozess
Das wundert insofern nicht, als es solch ein Verfahren nie gegeben hat. Und das sagt immerhin Kennedy selbst: Es handle sich schlicht um Desinformation, die Geschichte mache immer wieder die Runde, egal, wie oft er deren Wahrheitsgehalt bestreite. Tatsächlich kursiert die Story über den Impf-Prozess vor dem Höchtsgericht in unterschiedlichen Varianten bereits seit 2021. Und es handelt sich, wie unschwer in einer halben Stunde herauszufinden ist, um eine komplette Erfindung – und somit um ziemlich plumpe Fake News, die offenbar dennoch voller Begeisterung und mit heißen Ohren geteilt und weiter verbreitet werden.
Das Problem bei solchen Märchen, so absurd sie sein mögen, ist, dass sie offensichtlich Vorbehalte gegen Impfungen schüren oder schleichend verstärken. Das lässt sich an den aktuellen Masern-Ausbrüchen in den USA ebenso ablesen wie an steigenden Zahlen verschiedener Infektionskrankheiten in Europa, beispielsweise Keuchhusten. Jüngst wurden sogar Rückschläge bei der längst geplanten Ausrottung der Kinderlähmung durch Impflücken in manchen Regionen Europa debattiert – einer Krankheit, deren furchbare Folgen heute nur noch wenige Menschen aus eigener Anschauung kennen.
155 Millionen Menschenleben
Um den Nutzen allein der Impfung gegen Polio vor Augen zu führen, braucht es eigentlich nicht viele Worte. Eine Grafik, die kürzlich das Fachjournal „Nature“ veröffentlichte, zeigt ihn auf einen Blick: Global sanken die Fallzahlen zwischen den 1950er Jahren und der Jahrtausendwende von vier bis sieben Fällen ernsthaft Erkrankter pro 100.000 Einwohner auf praktisch Null. Und die im Kindesalter verabreichten Impfungen gegen Masern, Tetanus, Keuchhusten, Polio und weitere Infektionskrankheiten retteten demnach in den vergangenen 50 Jahren fast 155 Millionen Menschenleben.
Vielleicht können solche Daten wenigstens ein kleines Gegengewicht zu all dem Unsinn schaffen, mit dem die sozialen Medien regelmäßig geflutet werden. Wenigstens versuchen wollen wir es. Auch wenn es schon manchmal nervt.