Morgenpost

Ist das Kunst oder kann das weg?

Eingeschüchterte Opfer, übermächtige Täter in der Kultur: Warum Erniedrigungen, Sexismus und Belästigungen oft hinter dem Vorhang bleiben.

Drucken

Schriftgröße

Bühnen, Rampenlicht und öffentliche Aufmerksamkeit sind Florian Teichtmeisters Metier. Es hier zu beachtlicher Meisterschaft gebracht zu haben, wird dem Schauspieler als Angeklagtem im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts nicht zum Nachteil gereicht haben. „Ganz ruhig, betont demütig“, habe er diese Rolle angelegt, schreibt profil-Kollege Stefan Grissemann.

Verhandelt wurden der Besitz und die Manipulation zehntausender Fotos und Videos, auf denen zu sehen ist, wie Minderjährigen sexuelle Gewalt angetan wird. Teichtmeister zeigte sich geständig und kam am Ende mit zwei Jahren bedingt davon, was bedeutet, dass er weder ins Gefängnis noch in ein forensisch-therapeutisches Zentrum muss, sofern er nicht rückfällig wird. Seine Gefährlichkeit, die ihm gutachterlich attestiert wurde, soll er – auf freiem Fuß - mit psychiatrischer Behandlung, Psychotherapie und Bewährungshilfe in den Griff kriegen. Auch Alkohol und Drogen sind tabu.

Juristen von Rang und Namen halten dieses Urteil für angemessen. Nicht nur Rechtsradikale, die vor dem Landesgericht mit einem Galgen aufmarschierten, sehen es anders. Auch Opfer und Zeugen von sexueller Gewalt, denen es nicht bloß um Verhetzung oder Rache – beides nicht Sinn und Zweck des Strafrechts – geht. Gestern habe ich eine Schauspielerin getroffen, die einen tiefen Einblick in die Theaterszene hat, selbst viel mit angesehen und einiges erlebt hat. Sie schildert unter dem Schutz der Anonymität, warum in Kunst und Kultur Täter so lange unbehelligt bleiben. 

Ich gebe hier wieder: Es beginne bei der Ausbildung. Ballettelevinnen im Volksschulalter und angehende Bühnendarstellerinnen, Musiker und Tänzerinnen würden von allseits angehimmelten Maestros „gebrochen und neu zusammengesetzt“. Schwarze Pädagogik gehe immer noch als hartes Training für jene durch, die es an die Spitze schaffen wollen.  Am Anfang tue das weh, mit den Jahren stumpfe man ab.

Sollte man es später wagen, sich über Bloßstellungen, Obszönitäten oder sexuelle Belästigung zu beschweren, würde man belehrt, „nicht so sensibel“ zu sein, sondern die Zähne zusammenzubeißen, wie es die Großen und Berühmten des Faches vorgemacht hätten. Wer sich diese Lektion nicht zu Herzen nehme, gelte als Schwierige, die nicht mehr zu besetzen sei und stünde am Ende ohne Jobs und ohne die Solidarität der Kollegenschaft da.

Wie geht das weiter? Man vertiefe sich in die Arbeit, trinke, schlucke Tabletten, fange an mitzulachen, wenn andere belästigt oder fertig gemacht werden. Der Nullpunkt verrutsche, das Nicht-Normale werde normal. Theatermacher, Intendanten und Dirigenten maskierten inakzeptables Verhalten mit Ansprüchen an ihre Kunst. Buchstäblich alles dürfe der als Genie daherkommende Narzisst sein, nur nicht gewöhnlich. So werde der Irrsinn zur Methode.

Zeit, den Spieß umzudrehen

Nur selten kommen – wie im Fall Teichtmeister – Polizei und Justiz ins Spiel. Auch das kann die Schauspielerin erklären. Opfer machten so gut wie nie eine Anzeige. Die wenigen Ausnahmefälle scheitern dann an der nächsten Hürde: Statt ordentlich und ernsthaft zu ermitteln, würden Verfahren viel zu schnell eingestellt, wie auch Gewaltschutzeinrichtungen oft und laut beklagen. Was die wenigen Opfer, die es tatsächlich bis in einen Gerichtssaal schaffen, dort über sich ergehen lassen müssen, spottet mitunter jeder Beschreibung. 

„Es ist Zeit, den Spieß umzudrehen“, sagt die Schauspielerin zum Abschluss. Statt sich den Kopf zu zerbrechen, warum Frauen es nicht wagen, Übergriffe zu melden, sollte man sich zur Abwechslung einmal fragen, warum Intendanten und Kulturschaffende, die ein Klima der Angst schaffen, Übergriffe befeuern, Opfer lächerlich machen und ihnen nicht glauben als „so herrlich verrückt“ idealisiert statt zur Rechenschaft gezogen würden.  Die Frage richtet sich an uns alle, die wir Theater, Tanzveranstaltungen, Konzerte und Opernaufführungen besuchen: Ist das Kunst – oder kann das weg?

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges