Morgenpost

Klima, Auto und Verbrenner: Otto, lass den Motor laufen

Der Verbrenner soll sterben, fordert die EU. Doch seine Anhänger – etwa ÖVP-Kanzler Nehammer – halten dagegen. Sind E-Fuels eine Spinnerei?

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Nicht viele Bands, die in den 1980-er Jahren auf der musikalischen „neuen, deutschen Welle“ surften, haben bis heute überlebt. „Minisex“, die dem automotiven Vorwärtskommen mit ihrem unbeschwerten Tralala frönten –  „Ich fahre mit dem Auto, alles geht so schnell, rechts der Berg, links die Schlucht, und über mir der Himmel so blau, blau, blau“ – zählen in dieser Hinsicht zu den Ausnahmen.

In nicht mehr allzu ferner Zukunft soll dem guten, alten Otto-Motor die letzte Stunde schlagen. Der Verbrenner verdankt seinen Namen dem deutschen Kaufmann Nicolaus August Otto; zur Serienreife getrieben wurde er in den goldenen Anfangszeiten der Viertakter-Industrie jedoch von famosen Altvorderen wie Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach.

Benzin- und Dieselkarossen

In den Karossen der Zukunft sollen nun nicht mehr Kolben auf und ab rasen - und die Wucht ihrer Schläge auf die Räder übertragen, die Kraft soll aus Strom kommen. Geht es nach der EU neigt sich die glorreiche Ära der Benzin- und Dieselkarossen 2035 zu Ende. Die deutsche Volkswirtschaft brummte in den Nachkriegsjahrzehnten nicht zuletzt dank des Verbrennungsmotors. Österreich zog mit und etablierte sich als Standort für eine robuste Zuliefer-Industrie.

Rund 900 Betriebe sind entweder zur Gänze oder teilweise diesem Sektor zuzurechnen. Jeder der rund 40.000 Jobs in der Fertigung von Motoren, Karosserieteilen, Aufbauten – auch Fahrräder, Motorräder, LKWs und Flugzeugteile zählen dazu – sichert mindestens zwei weitere Arbeitsplätze. Das errechnete eine Studie des Industriewissenschaftlichen Instituts (IWI) vor zwei Jahren.

Noch sind die Verbrenner auf deutschen und österreichischen Straßen in der Überzahl. Doch die Autohersteller fertigen ständig neue elektrische Nachfolgemodelle. Leider geht mit dieser für das Klima guten Nachricht eine schlechte für die heimischen Zulieferer einher: Für die Herstellung von Elektro-Autos werden nämlich weitaus weniger Menschen benötigt, und bisher wesentliche Teile fallen überhaupt weg.

Autoland Österreich

Es wäre nicht bloß naiv, sondern womöglich politischer Selbstmord mit Anlauf, die vielen Arbeitsplätze, die auch hierzulande an der Fahrzeugindustrie hängen, nicht im Auge zu behalten. Das weiß ÖVP-Kanzler Karl Nehammer, der neuerdings nicht müde wird, Österreich als „Autoland“ hochleben zu lassen. Kultur- oder Skination, das war einmal.

Gestern stattete der automotiv fokussierte Kanzler, gemeinsam mit dem oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer (ebenfalls ÖVP), dem BMW Group Werk Steyr einen Besuch ab. An diesem Standort entstehen jene E-Antriebe der nächsten Generation,  an die sich nicht weniger als die Hoffnung knüpft, dass die Klimawende ohne gravierende Jobverluste zu stemmen sein wird. Und heute, einen Tag später, startet im Bundeskanzleramt ein von Nehammer einberufener „Autogipfel“.

Feuer am Dach

Aus Sicht der Umweltschutzorganisation Greenpeace ist Feuer am Dach. Man fordert die ersatzlose Streichung dieses Autogipfels und die Ausrichtung eines Klimaschutz-Gipfels. Tatsächlich wirft Nehammers Aktionismus die Frage auf: Ist das noch ein – mehr oder weniger tauglicher - Versuch, Markt und Klimaschutz auf einen Nenner zu bringen? Oder ist das schlicht rückwärtsgewandter, verantwortungsloser Populismus?

Technologische Erwägungen sind von politischen schwer zu trennen. Die ÖVP versteht sich als Autofahrer-Partei, und steht hier – wie bei den Themen Migration und Corona-Maßnahmen – im Wettbewerb mit der FPÖ. Dass der Verbrenner nicht ins Stottern kommt, wenn wir es nur schaffen, genug E-Fuels, also synthetische Treibstoffe herzustellen, diese Botschaft hören freilich nicht nur PS-verliebte Wählerinnen und Wähler gerne, sondern vor allem die Fahrzeugindustrie. Um ihr weiteres Schicksal soll es bei dem erwähnten Autogipfel vor allem gehen, weshalb auch die Finanzierung von Forschung zu E-Fuels auf der Agenda ganz oben steht.

Zur Erklärung: Das E steht für „Elektro“. Es handelt sich um Kraftstoffe, die aus (ziemlich viel) Strom erzeugt werden. Ob das schlau ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Antwort darauf hängt stark davon ab, wen man fragt. Die Zulieferbetriebe können mit E-Fuels ihre Produktion einfach weiterlaufen lassen wie bisher. Sie bejubeln diese Option naturgemäß. Doch vielen Experten fehlt der Glaube an die künstlichen Treibstoffe. Sie warnen davor, Geld für eine klima- und industriepolitische Sackgasse lockerzumachen. Synthetische Kraftstoffe werden teuer und knapp sein, und sollten bevorzugt in der Luft- und Schifffahrt verfeuert werden, nicht im alltäglichen PKW-Verkehr. Dazu kommt, dass Prognosen zufolge Elektroautos in einigen Jahren weniger kosten als Verbrenner. Was dann?

Wenn die Alten am Verbrenner kleben...

Dann verschiebt Nehammer die Mühen der Klimawende, auf die wir unweigerlich zusteuern, bloß auf die nächste Generation. Sprich, je mehr wir heute noch aufs Gas steigen, umso härter wird für sie die Bremsung. Man könnte es auch so sehen: Gerechtigkeit herzustellen ist eine der edlen Aufgaben der Politik, die Gerechtigkeit zwischen den Generationen gehört auch dazu. Die Klimaaktivist:innen der „Letzten Generation“ kündigten jedenfalls an, sich auf ihre Weise bemerkbar zu machen. Nach dem Motto: Wenn die Alten am Verbrenner kleben, dann kleben sich die Jungen dort an, wo sie am meisten stören. Straßen sind immer eine Option.

Ich wünsche Ihnen einen bewegten Tag,

herzlich

Edith Meinhart

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges