Jandl

Mona Lisas Röcheln: Zum 100. Geburtstag des Sprachklangkünstlers Ernst Jandl

Er ging mit genuin österreichischer Lust an der Lautmalerei und der Sprachspielerei ans Werk: eine Verneigung vor dem Wiener Radikallyriker Ernst Jandl, anlässlich seines heutigen 100. Geburtstags.

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Es wäre irreführend, den großen Ernst Jandl allein als erstklassigen, in seinem Feld praktisch konkurrenzlosen Dichter zu begreifen. Er war nämlich noch so vieles mehr: Germanist, Gymnasiallehrer, Übersetzer und Sozialdemokrat, vor allem aber ein grandioser Performer, der – im Schafspelz eines Biedermanns – mit anarchischen Lautverschiebungen und Sinnverdrehungen beglückte. Jandls Lesungen waren nie bloß Literaturvorträge, sondern stets auch virtuos vollzogene, gestotterte und geschnaubte, geflüsterte und gebrüllte Solokonzerte an den Außengrenzen des Klangkunstbetriebs.  

 
Ernst Jandl sei auf seine Weise eben auch ein Punk gewesen, gab der von diesem nachhaltig beeinflusste Attwenger-Musiker und -Dichter Markus Binder unlängst zu Protokoll. Und es stimmt: Ein quasi-musikalischer Antiautoritarismus ist das weltanschauliche Zentrum der meist heiter anmutenden, aber in tiefe Abgründe blicken lassenden Jandl-Gedichte: Er schrieb, deklamierte und wetterte gegen die Indoktrinationsredner des Totalitarismus, gegen die salbungsvolle Bigotterie der Religion, gegen Amtsschimmel, Kleingeistesleben und Spießbürgerei. Die anhaltende Popularität seines Schaffens geht auf das Wesen seines Schreibens zurück: Es blieb stets auf beiden Ebenen zugänglich – als spektakuläres, oft ungeheuer unterhaltsames Sprach- und Klangspiel, aber auch als kompromisslos vorangetriebenes künstlerisches Experiment.


Zur Welt gekommen vor genau einem Jahrhundert, am 1. August 1925, verstorben vor 25 Jahren, am 9. Juni 2000, in seiner Geburts- und Wirkungsstätte Wien, machte Ernst Jandl schon in seiner Kindheit praktische Erfahrungen mit der Kunst: Sein Vater, als Bankangestellter angeödet, widmete sich der Malerei und der Zeichnung, seine Mutter infolge einer Erkrankung der Schriftstellerei. Unter ihrem Einfluss verfasste und veröffentlichte Ernst Jandl schon 1937, als Zwölfjähriger, sein erstes Gedicht.

„Laut und Luise“

Neben der visuellen, typografisch komponierten Lyrik, die er später schrieb, nannte Jandl jene Arbeiten, die man vorgetragen hören, nicht leise gelesen haben muss, „Sprechgedichte“. Als körperlichen, bisweilen sogar recht strapaziösen Akt konzipierte er seine Poesie, insofern war Jandl eine Art Hochleistungslyriker, ein Präzisionsarbeiter in der Aktualisierung seiner Literatur. Größere Gedichtbände begann Jandl dennoch erst verhältnismäßig spät zu publizieren, ab den mittleren 1960er-Jahren nämlich. Jenes Buch, mit dem er 1966 berühmt wurde, trägt einen ebenso sinnträchtigen wie einprägsamen Titel: „Laut und Luise“. Seine kongeniale Partnerin, die als Lyrikerin ebenfalls zu Ruhm und Ehre kommen sollte, lebte da längst an seiner Seite: Friederike Mayröcker hatte er 1954 kennengelernt, mit ihr stand er bis zu seinem Tod in engster Verbindung. 

Jandl-Gedichte wie das 1957 entstandene Antikriegsmonument „schtzngrmm“ – ein „Schützengraben“ mit panisch zusammengebissenen Zähnen – haben es sogar in diverse Schullehrpläne geschafft. Und Jandl wusste, wovon er sprach, wenn er sich den Krieg vornahm: 1943 war er, als gerade 18-Jähriger, in Hitlers Krieg gezwungen worden, 1944 an die Westfront verlegt, wo er die Chance nutzte, zu den Amerikanern überzulaufen. Erst 1946 kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft zurück nach Wien. 

Ein Jandl-Hörspiel aus dem Jahr 1970 heißt „Das Röcheln der Mona Lisa“. Es führe, schrieb Jandl, „stufenweise vom Sprechgedicht weg zu einer Dichtung hin, die dem Verstummen vorausgeht.“ Der denkwürdige Titel des Werks spannt europäische Hochkultur und einen medizinischen Ernstfall zusammen. Die „Idealkondition“ für den Vortrag dieses Hörstücks sei, so  Jandl, „die Erkrankung der Sprech- und Atemorgane, beziehungsweise die Störung des Sprechzentrums.“ Denn „Das Röcheln der Mona Lisa“ sei eine „Dichtung der Sprachfetzen, der rasenden wie der zerbrechenden Stimme“. Sie erfasse „Sprache als Körpergeräusch“, verwerfe die „Idee des Konstruktiven“ – und beseitige „das Possierliche aus der Dichtung“. 
Darin liegt die einsame Größe der Jandl’schen Kunst: ihre markante Unlust, sich auf die bürgerlichen Gebote des Guten und Schönen einzulassen. Punk as Punk can.  
 

Stefan Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.