Die Geschichte einer Grenzüberschreitung
Es ist Samstag, der 26. Juli 2025. Das Wetter ist nicht besonders gut, weder in Wien noch in Kärnten. Am Himmel hängt eine dicke, graue Wolkendecke, warm ist es trotzdem. Im ersten Wiener Gemeindebezirk haben die Identitäre Bewegung und Neonazis zur Demonstration gerufen. Für einen Fußweg von rund 15 Minuten brauchen sie drei Stunden. Immer wieder stoßen sie auf antifaschistische Sitzblockaden, die Polizei muss ihnen den Weg freiräumen.
300 Kilometer entfernt, am gleichen Wochenende, gibt es ebenfalls einen Polizeieinsatz. Vor der NS-Gedenkstätte und dem Museum Peršmanhof stehen am Sonntag sieben Polizeifahrzeuge. Über 30 – teils schwer bewaffnete – Polizeikräfte, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und die Bezirkshauptmannschaft sind anwesend. Es folgen Hubschrauber, Drohnen, Polizeihunde. Am Gelände des Peršmanhofs findet zu diesem Zeitpunkt ein antifaschistisches Bildungscamp statt. Der Klub Slowenischer Studierender in Wien (KSŠŠD) hat es organisiert, man will sich mit Themen anlässlich des 80. Gedenkjahres an das Ende des Zweiten Weltkrieges beschäftigen.
Der Veranstaltungsort hat Bedeutung. Der Bergbauernhof war ab 1942 ein wichtiger Stützpunkt der Widerstandsbewegung. Kurz vor Ende des 2. Weltkrieges verübten Angehörige des SS- und Polizeiregiments 13 hier ein Massaker: Elf Personen, alle Angehörige der Familien Sadovnik und Kogoj, wurden erschossen. Heute erinnern ein Museum und eine Gedenkstätte am Peršmanhof an die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen an den Kärntner Slowen:innen.
Begründet wird der Polizeieinsatz am 27. Juli mit angeblichen Verwaltungsübertretungen in den Bereichen Camping und Naturschutz. Es sei illegal gezeltet worden. Ein Organisator sagt gegenüber der Wochenzeitung „Falter“ allerdings, dass eben das von den Eigentümern erlaubt wurde. Laut dem Verein Peršman wurde von Seiten der Einsatzleitung außerdem erklärt, „dass ein antifaschistisches Bildungscamp einen sittenwidrigen Umgang mit der Gedenkstätte darstelle“. Das Museum hält dagegen: „Angesichts dessen, dass das Museum die Ausrichtung der Veranstaltung unterstützt hat und unter den Teilnehmenden und Vortragenden Nachfahren von Widerstandskämpfer:innen und NS-Opfern aus der Region anwesend waren, gilt es diesen Vorwurf nicht nur vehement zurückzuweisen, er stellt außerdem eine massive Grenzüberschreitung dar“.
Verein Peršman-Obmann Markus Gönitzer kritisiert das Vorgehen der Behörden scharf. „Im Erinnerungsjahr 2025 ist ein solches Vorgehen an einem ehemaligen NS-Tatort nicht nur eine schmerzliche Erfahrung für das Museum Peršman, sondern für alle Gedenkstätten und -initiativen unseres Landes. Stellen Sie sich ein solches Vorgehen der Exekutive in einer anderen NS- Gedenkstätte unseres Landes vor? Was sagen diese Ereignisse über die Wertschätzung gegenüber der Kärntner Slowenischen Volksgruppe und ihrer Geschichte aus?“ Bernard Sadovnik, Nachfahre der Familie Sadovnik und Vorsitzender des Volksgruppenbeirates, ergänzt: „So ein massiver Polizeieinsatz genau 80 Jahre nach dem Massaker reißt bei mir als Nachkomme Wunden auf.“ Und: „Der Polizeieinsatz stand in keiner Relation mit den Vorwürfen. Ich fordere eine sofortige lückenlose politische Aufarbeitung dieses skandalösen Vorfalls und seiner Hintergründe.“
Wie die Polizei am Montag gegen Mittag mitteilte, wurden bei dem Einsatz 62 Verwaltungsübertretungen und zwei Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt angezeigt. Rechtsanwalt Rudolf Vouk hat sich bereiterklärt, die Betroffenen zu vertreten. Er will außerdem Anzeige wegen Amtsmissbrauchs erstatten.
Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) hat angekündigt, Museumsleitung, Verfassungsschutz, Bezirkshauptmannschaft und Gemeinde zum Runden Tisch zu laden. Ziel sei eine „lückenlose Aufklärung, wie es zu dieser Situation gekommen ist.“
Volksgruppen-Sprecherin der Grünen, Olga Voglauer, verortet einen „massiv überzogenen Polizei-Großeinsatz“. SPÖ-Sprecherin für Erinnerungskultur, Sabine Schatz, mahnt in einer Aussendung „besondere Sensibilität und Verhältnismäßigkeit“ im Umgang mit Gedenkstätten ein. Die Polizei will den Einsatz nun analysieren.
Es ist der 27. Juli 2025. Das Wetter ist nicht besonders gut, weder in Wien noch in Kärnten. Am Himmel hängt eine dicke, graue Wolkendecke. Während in der Wiener Innenstadt an diesem Wochenende Rechtsextreme ihre Parolen schreien, steht vor einer NS-Gedenkstätte die Polizei.
Korrekturhinweis: Die Demo der Identitären fand am Samstag, dem 26. Juli statt. Der Polizeieinsatz am Peršmanhof einen Tag später, am 27. Juli 2025.