Morgenpost

Gewissensbisse

Eine Zeitmaschine wäre hilfreich. Man könnte in die Vergangenheit zurückreisen und anders handeln als man es getan hat.  Der allseits bekannte Thomas Schmid würde vermutlich gern vieles anders gemacht haben. 

Drucken

Schriftgröße

„Kriegst eh alles, was du willst“ hatte Ex-Kanzler Kurz in einem der Chats dem früheren Wegbegleiter und maßlos Fordernden versprochen. Am Ende wurde Schmid sogar Alleinvorstand der staatlichen Beteiligungsgesellschaft ÖBAG. 

Heute wird Schmid erstmals im ÖVP-Korruption-Untersuchungsausschuss auftreten.  Vermutlich wird er entsprechende Reue an den Tag legen und das, was er in stundenlangen Sitzungen gegenüber der Korruptionsstaatsanwaltschaft angab, im Kern auch den Abgeordneten berichten.   Gernot Bauer wird heute auf profil-online darüber berichten.

Sebastian Kurz hatte bereits dieser Tage seinen Auftritt. Allerdings nur virtuell. Der Mitschnitt seines Telefonats mit Schmid zu einem Zeitpunkt, als die Staatsanwaltschaft einer mutmaßlichen Inseratenkorruption im Finanzministerium auf der Spur war, geht aktuell in den sozialen Medien viral. Man hört darauf einen raunzig-beleidigt klingenden Jungen, die Stimme des Ex-Kanzlers: „Ich war die letzten Tage so fertig, irgendwie nicht imstande, mich zu melden. (…) Sag, bei dem, was die uns strafrechtlich vorwerfen - kannst Du Dir das irgendwie erklären? Ich kann seither überhaupt nimmer schlafen, weil ich schon an mir selbst zweifle, und das Gefühl hab‘ - ob ich irgendwas vergessen hab‘? Aber ich hab‘ Dir doch nie einen Auftrag gegeben? Wir haben doch nicht einmal über Inserate oder so was g’redt. Oder? Ich hab‘ Dir doch nie gesagt, Du sollst der Beinschab irgendeinen Auftrag geben. Oder? (…) Oder hab‘ ich schon alles vergessen.“

Ob nun das Audio-File für Kurz im gerichtlichen Verfahren  ein Rohrkrepierer sein wird oder ein gnädiges Indiz  seiner Ahnungslosigkeit, wird dereinst ein Richter oder eine Richterin beurteilen.

Als Staatsbürgerin macht man sich natürlich so seine Gedanken.   Aber was könnte die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek daraus machen? Sie würde zweifellos eine tiefere Wahrheit hervorbringen. Jedenfalls eine andere, als die, die seit geraumer Zeit bei Parlamentsdebatten zu beobachten ist. In der gestrigen Nationalratssitzung gingen Regierung und Opposition zwar noch nicht mit Fäusten aufeinander los, aber man kann sich nicht vorstellen, dass ein gedeihliches, ziviles Miteinander im Parlament noch möglich ist. In diesem Sinn hat die Ära Kurz (sie verdient die Bezeichnung nicht wegen ihrer Dauer, sondern wegen ihrer tiefen Spaltung der Gesellschaft) - Österreich wirklich stark verändert.  

 

Gewissensbisse wären angesagt. Auch bei jenen, die früher einmal von Jörg Haider verführt wurden, tief enttäuscht waren,  sich verzweifelt dem darauffolgenden Heinz-Christian Strache  in die Arme warfen und schließlich dem jungen Sebastian Kurz huldigten.

Der Österreicher, auch die Österreicherin, lässt sich eben gern verführen, am liebsten zur Selbstperformance.  Die Österreicher sind theaternärrisch. Das zeigt der aktuelle Dokumentarfilm von Ruth Beckermann, in dem sie Männer anhand des historischen Porno-Romans „Josefine Mutzenbacher“ über ihre Sexualität und ihre Erfahrungen mit Frauen reden lässt. Man sieht darin Männer, die sich über einen Casting-Aufruf in österreichischen Zeitungen gemeldet haben. Einer nach dem Anderen betritt eine leere Halle, setzt sich auf ein Sofa und performt zum Thema.  Sie machen das mit größter Lust, auch um den Preis,  etwas von sich preiszugeben.  „Ein solcher Film ist nur in der Theaterstadt Wien möglich, stellen Sie sich dasselbe in Deutschland vor“, sagte Ruth Beckermann bei der Premiere vergangene Woche. 

Gewissensbisse sollten auch alle jene plagen, die Elfriede Jelinek in die innere Migration getrieben haben.  Erinnern Sie sich noch an die freiheitlichen Plakate aus dem Jahr 1995, auf denen Jelinek wie ein Freiwild ausgestellt wurde? Die verletzliche Schriftstellerin, die mit ihrer Liebe zur österreichischen Sprache und nestroyschem Witz die Performance des österreichischen Typus auf Korn nimmt,  seine Phrasen und seinen Wortwitz dreht und wendet und in Zusammenhänge stellt, die alles klarer und nüchterner machen, wurde mit dem inszenierten Hass auf sie ziemlich allein gelassen.  Sie wird zu wenig geachtet und geschützt.  Die, die sie lieben, lieben sie insgeheim.

Was immer Jelinek aus dem aktuellen Politik-Theater machen würde, sie machte es Keinem recht. Allen bliebe das Lachen im Halse stecken.  

„Die Sprache von der Leine lassen“ heißt der neue Dokumentarfilm über Elfriede Jelinek, der ab dem 10. November im Kino zu sehen ist. Seit langem schon hat sich die Literaturnobelpreisträgerin aus der Öffentlichkeit verabschiedet. Sie tritt nicht mehr auf. In der Dokumentation ist- neben altem Film-und Fotomaterial- ihre Stimme zu hören. In Gesprächen mit der Regisseurin Claudia Müller im Jahr 2021.

Bei der Viennale-Premiere in Wien wurde ein Text von Jelinek vorgelesen. „Ich habe mich eigentlich vor diesem Film gefürchtet, denn ich nähere mich dem Ende des Lebens, und nun würde eine Filmemacherinn das Buch vom Anfang her aufschlagen, vielleicht wie man einen Ball aufschlägt? Das wusste ich ja nicht. (…) ich hatte Angst, dass mir auf diesem kurzen Weg vor mir die Seiten dieses Buchs ins Gesicht schlagen würden. Man spricht ja von Ohrfeigen, die einem das Leben erteilt. Oder von Mauern, gegen die man rennt. Es war ein Blindflug für mich. Ich hatte mein Leben einer Künstlerin und ihrem Team ausgeliefert, doch was würde mir da zurückkommen? Dann war es ganz anders (…)“.

Mehr über Jelinek und den Film lesen Sie im kommenden profil von Stefan Grissemann.

Gehen Sie ins Kino, gehen Sie in sich und lesen sie heute Bauers Reportage über Schmids Auftritt m Untersuchungsausschuss, rät

Christa Zöchling

Christa   Zöchling

Christa Zöchling