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Warum Serbien die Europride absagt

Aleksandar Vučić lenkt damit von einem politischen Erdbeben ab: Er ist dabei, sich politisch mit dem Kosovo zu arrangieren.

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Können Homosexuelle homophobe Politik machen? Ja, Belgrad, sechs Autostünden südlich von Wien, zeigt dieser Tage vor, wie.

Dort regiert mit Ana Brnabić eine offen lesbische Premierministerin. Privat lebt sie mit einer Frau zusammen und hat eine Familie mit ihr gegründet. In ihrer Rolle als Politikerin fällt sie Menschen, die so leben oder leben wollen wie sie, in den Rücken.

Serbien hätte Mitte September die Europride abhalten sollen. Das ist eine paneuropäische Großveranstaltung der LGTBQ-Bewegung, die seit 1992 jeden Sommer in einem anderen europäischen Land organisiert wird. Die englische Abkürzung LGBTQ steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und queer. Serbien wäre das erste Land in Südosteuropa gewesen, das die „Europride“ abhält. Aber plötzlich will man nicht mehr.

Ein Bischof, der sich eine Waffe wünscht

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić, der starke Mann Serbiens, hat die Parade abgesagt. Zur Begründung verwies er auf die vielen Probleme, mit denen Serbien derzeit konfrontiert sei. Als weitere Ausrede führte Vučić Sicherheitsbedenken an. Hier muss man wissen, dass in Serbien zuletzt tausende religiöse Fundamentalisten und Rechte auf die Straße gingen: In schwarze Kutten gekleidete Kleriker, Menschen mit Jesus-Kreuzen in der Hand und ja, auch Männer mit „Z“-Shirts. Das „Z“ ist das Symbol für Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine. Es prangt auf russischen Panzern und dient der Propaganda. Trotz des Ukraine-Kriegs fällt es Serbien schwer, sich vom traditionellen Alliierten Russland zu lösen. Mehr dazu können Sie hier nachlesen.

Zurück zur „Europride“ und der Stimmung im Land. Ein serbisch-orthodoxer Bischof führte eine Prozessionen zur „Erlösung Serbiens“ an. In einer Predigt hat er mit dem Gedanken gespielt, Schwule und Lesben auf der „Europride“ mit einer Waffe zu erschießen. Die orthodoxe Kirche in Serbien schweigt sich dazu aus. Und die Staatsspitze hat jetzt das umgesetzt, was die Fundamentalisten fordern: Keine „Europride“ in Belgrad.

Ein großes Ablenkungsmanöver

Am Ende ist all das nur ein gut kalkuliertes Ablenkungsmanöver von Vučić. Der Präsident hat sich nämlich auf einen Deal mit Brüssel eingelassen und zugesagt, fortan kosovarische Personalausweise an der Grenze anzuerkennen. Warum das eine große Sache ist, können Sie hier im Detail nachlesen.

Die Mehrheit der Serbinnen und Serben sehen den Kosovo als Bestandteil ihres Landes und nicht als unabhängigen Staat. Zwar tut Vučić nach außen hin so, als werde er den Kosovo niemals anerkennen, aber aus diplomatischen Kreisen hört man, dass er durchaus Schritte in diese Richtung setzt. Das würden ihm die schwarzen Kuttenträger mit ihren orthodoxen Ikonen niemals verzeihen. Vučić wäre der historische Verräter, der das „heilige Land“ Kosovo an den Westen verkauft hat.

Um davon abzulenken, braucht Vučić ein polarisierendes Thema, das rechte Nationalisten und religiöse Fundamentalisten gleichermaßen umtreibt. Das ist lupenreiner Populismus, zeigt aber auch, wie geschickt der Präsident Serbiens zwischen Ost und West laviert. Er will sein Land in die EU führen, aber gleichzeitig die Demonstranten mit den Putin-Shirts nicht vergraulen. Er ernennt eine lesbische Premierministerin, verhindert dann aber, dass Menschen wie Sie in Serbien eine Parade abhalten können.

Organisatoren geben nicht auf   

„Der Staat kann Europride nicht absagen – er kann nur versuchen, sie zu verbieten, was ein klarer Verstoß gegen die Verfassung wäre", sagt Marko Mihailović. Der Serbe ist einer der Koordinatoren der „Europride“. Er gibt sich kämpferisch und will nicht aufgeben. Auf profil-Anfrage bestätigt er, dass die Organisatoren die Parade nicht absagen werden. Ana Brnabić, die Premierministerin, hat in einem Interview zwar dazu geraten. Aber diesen Gefallen wolle man ihr nicht machen.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.