Morgenpost

Wissenschaft ist die Lösung, nicht das Problem

Unsere Politik pflegt eine irritierende Abneigung gegenüber dem Expertentum. Das ist ein gefährlicher Fehler.

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Ludwig van Beethoven hatte es nicht leicht. Er litt an Darmproblemen, fortschreitendem Gehörverlust, hatte eine genetische Veranlagung für Lebererkrankungen und war mit Hepatitis-B infiziert. Die beiden letztgenannten Diagnosen belegen eine Studie, die Mitte dieser Woche im Fachjournal „Current Biology“ erschien – unter österreichischer Beteiligung: Der an der Universität Wien forschende Musikwissenschafter John David Wilson steuerte historische Aspekte zu der Arbeit bei, die eindrucksvoll zeigt: Moderne Wissenschaft ist in der Lage, faszinierende Einsichten zu gewinnen, die man kaum für möglich halten würde: Aus ein paar Haarbüscheln eines vor zwei Jahrhunderten verstorbenen Komponisten isolierten die Forschenden Virus-DNA und wiesen dadurch Hepatitis B nach. 

Wenden wir uns jetzt, Verzeihung für den harten Schwenk in aller Frühe, einem wesentlich weniger inspirierenden Thema zu: der österreichischen Innenpolitik. Anfang der Woche löste sich Gecko auf, jenes Expertengremium, das wissenschaftliche Entscheidungsgrundlagen zum Umgang mit der Pandemie erarbeitet hatte. Zuerst hieß es, zwei Mitglieder wollten ihre Funktionen zurücklegen. Tatsächlich hatten sämtliche Wissenschafterinnen und Wissenschafter ihre Gründe, nicht mehr weiterzumachen.

Dass den Ausschlag bloß der Umstand gab, dass die Pandemie vorüber und Expertenrat somit obsolet ist, darf als unwahrscheinlich gelten – nicht zuletzt deshalb, weil sie nicht vorbei ist und es vielleicht nicht wahrscheinlich, aber keineswegs ausgeschlossen ist, dass wieder Virusvarianten in Umlauf gelangen, die wesentlich unangenehmer sind als die aktuellen.

In der Wissenschaft wird der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität hochgehalten, zwischen dem bloß zeitgleichen Auftreten zweier Faktoren und deren ursächlicher Verbindung. Gehen wir also von blanker Korrelation aus, wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass Bundeskanzler Karl Nehammer kurz zuvor behauptet hatte, man sei in den Krisenjahren mitunter zu „expertenhörig“ gewesen (und, mit einem Sturm der Entrüstung konfrontiert, rasch versicherte, er habe es eh nicht so gemeint und Wissenschaft sei natürlich total super). In derselben Rede bezweifelte Nehammer wissenschaftliche Beweise für Untergangsszenarien infolge des Klimawandels – wobei auf wenige Ereignisse der Begriff „Untergang“ so präzise zutrifft, wenn wir etwa an die Flutkatastrophe in Pakistan im Vorjahr denken.

Nächste Korrelation: Gestern wurde in Niederösterreich eine Landesregierung ins Amt gehievt, in deren Arbeitsübereinkommen der Nutzen von Impfungen infrage gestellt und die Absicht formuliert wird, Geschädigten der Covid-Maßnahmen aus der Patsche zu helfen (hier sehen wir eine klassische Umkehr von Ursache und Wirkung: Die Maßnahmen waren die – unausweichlichen, wenngleich nicht immer sinnvollen – Folgen der Zumutung, dass zufällig ein neues Virus entstand, das pandemischen Charakter entfaltete).

Wenn wir ein bisschen zurückblenden, stellen wir fest: Es wimmelt nur so vor Korrelationen. Da stoßen wir auf einen Bundeskanzler, der Klimaschutzmaßnahmen für einen Rückfall in die Steinzeit hält; auf einen Innenminister, der Wissenschaft und Fakten als unterschiedliche Kategorien betrachtet; auf Landeshauptleute, die lieber nicht zuviel auf Experten hören wollen. Zeitgleich zeigen uns Umfragen über die Jahre konsistent: In kaum einem Land ist Wissenschaftsfeindlichkeit so ausgeprägt wie in Österreich, und kaum wo wird der Forschung so wenig praktischer Nutzen zugeschrieben.

Das  ist nicht nur problematisch, sondern gefährlich. Man muss nicht übermäßig visionär veranlagt sein, um zu prognostizieren: Im Vergleich zu den gesellschaftlichen Verwerfungen, die im Hinblick auf nötige Strategien gegen die Konsequenzen des Klimawandels auf uns zukommen, waren die Debatten um Schutzmasken und Covid-Impfungen allenfalls ein Gruß aus der Küche. Wenn wir diesen Umwälzungen gewachsen sein wollen, müssen wir solide wissenschaftliche Erkenntnisse als Entscheidungsgrundlage akzeptieren – und die Belastbarkeit von Evidenz nicht um politischer Showeffekte willen chronisch aushöhlen.

Vielleicht hilft es ja, sich ab und an der Mehrzahl an emotional nicht aufgeladenen, rein faszinierenden Seiten wissenschaftlicher Einsichtsfähigkeit zu widmen – zum Beispiel, indem man staunend zur Kenntnis nimmt, dass man heute aus ein paar Haaren die Krankheitsgeschichte eines vor 200 Jahren verstorbenen Künstlers rekonstruieren kann.

Eine erkenntnisreiche Restwoche wünscht

 

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft