Interview

Alma Zadić: „Beim Koalitionspartner fehlt die Motivation“

Generalstaatsanwaltschaft, Personalmangel in der Justiz und Amtsgeheimnis. Die Baustellen von Justizministerin Alma Zadić sind viele – und groß. Über ausstehende Reformen, die Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner ÖVP und einen unliebsamen Ex-Sektionschef Christian Pilnacek.

Drucken

Schriftgröße

Peter Pilz hat einmal gesagt, Sie sind die konfliktscheuste Person, die er kennt. Stimmt das?
Zadić
Ich habe in den letzten drei Jahren bewiesen, dass ich einiges umsetzen und durchsetzen kann und dass die Ergebnisse für sich sprechen.
Der Streit zwischen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und Oberbehörden war jedenfalls nicht gut moderiert, zog zwei Untersuchungsausschüsse nach sich und hat das Bild der Justiz etwas aus den Fugen geschmissen. Wenn Sie heute retrospektiv eine Sache anders machen könnten, was wäre das?
Zadić
Vor meinem Amtsantritt gab es eskalative Sitzungen, den Vorwurf der Verfahrensbehinderung und der politischen Einflussnahme. Viele dieser Thematiken haben diese zwei U-Ausschüsse nach sich gezogen. Daher habe ich die Dienst- und Fachaufsicht verändert und klare Strukturen geschaffen. Eine der wichtigsten Änderungen war die Aufteilung der Strafrechtssektion in zwei Sektionen: eine für Legistik und eine für Einzelstrafsachen. Wir haben auch Veränderungen im Bereich der Oberstaatsanwaltschaft vorgenommen. Beim heiklen Casinos-Verfahren ist ein Teil an einen Innsbrucker Oberstaatsanwalt übertragen, damit der Vorwurf der Einflussnahme nicht entsteht.
Sie würden nichts anders machen?
Zadić
Die Zusammenarbeit funktioniert jetzt sehr gut. Wir dürfen uns natürlich nicht ausruhen und müssen weiterarbeiten, zum Beispiel weiter Berichtspflichten reduzieren.
Es stimmt, dass es jetzt ruhiger ist, aber das hat damit zu tun, dass Ex-Sektionschef Christian Pilnacek weg ist. Nun wird die Aufhebung seiner Suspendierung wahrscheinlich. Was tun Sie dann?
Zadić
Es laufen Dienstverfahren, es gibt Ermittlungsverfahren, und die möchte ich als Justizministerin nicht kommentieren. Wir werden das abwarten.
Warum darf uns Christian Pilnacek kein Interview geben, aber einen Fachartikel publizieren, wo er rauf und runter die Justiz kommentiert?
Zadić
Er ist derzeit suspendiert, und als Sektionschef, der suspendiert ist, kann er auch nicht für das Justizministerium sprechen.
Aber hat er ja gerade gemacht.
Zadić
Was er als Privatperson macht, obliegt ihm.
Ein bisschen hat man das Gefühl, dass sich die Fachaufsicht zurücklehnt. Der Prozess um Ex-Grünenpolitiker Christoph Chorherr war von Anfang an relativ dünn, Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gewann beide Verfahren, das BVT-Verfahren war nichts. In der Ibiza-Causa warten wir auf Anklagen. Funktioniert die Kontrolle noch?
Zadić
Ja, die Kontrolle funktioniert. Aber man darf sich nie ausruhen, man kann sich immer verbessern. Es gibt zum Beispiel eine Evaluierung von Großverfahren, wie man diese effizienter ausgestalten soll. Das ist letztes Jahr beauftragt worden, der Bericht wird demnächst vorliegen, daraus kann man Schlüsse ziehen. Wir haben die Ressourcen der WKStA aufgestockt, sowohl bei den Staatsanwält:innen als auch bei den Expert:innen.
Reden wir über die Operation Luxor, die gerade zum Justizskandal verkommt. Es zeichnet sich ab, dass die Ermittlungen gegen den angeblichen politischen Islam wohl ziemlich politisch motiviert waren. Was sagen Sie als Politikerin dazu?
Zadić
Es gibt zwei Sachen, die man aus rechtlicher Sicht unterscheiden muss. Einerseits hat das Oberlandesgericht gewisse Ermittlungsmaßnahmen für ungültig erklärt. Es gibt aber weiter Ermittlungen, die laufen. Und es gibt das Thema der Sachverständigen, die für befangen erklärt wurden. Wir haben ein Justizsystem, das auf Staatsanwaltschaft und Gerichtsbarkeit aufbaut, und hier hat die Gerichtsbarkeit ganz klar gesprochen.
Klingt das nicht etwas zynisch? Diese Menschen haben zwei Jahre lang kein Vermögen gehabt, müssen für den Rest ihres Lebens Anwaltskosten zahlen, sind stigmatisiert ist. Ist das noch gerecht?
Zadić
Ermittlungshandlungen müssen effizient laufen, damit es schnell zu Verurteilungen oder Freisprüchen kommt. Es braucht ganz klare Regelungen für Sachverständige. Und man muss über den Kostenersatz für zu Unrecht Beschuldigte nachdenken. Das wird letzten Endes am Finanzminister liegen. Ich freue mich aber, dass die ÖVP – eine Partei, die das Justizministerium über Jahrzehnte geleitet hat – endlich erkennt, dass man in diesem Bereich etwas tun muss.
Läge es nicht in Ihrem Kompetenzbereich, zumindest die Qualität in der Justiz so weit zu steigern, dass es gar nicht erst so weit kommt, dass Menschen entschädigt werden müssen oder so große Kosten für den Staat anfallen?
Zadić
Überall dort, wo es einen Anfangsverdacht gibt, muss die Staatsanwaltschaft ermitteln. Das ist die Pflicht der Staatsanwaltschaft, das steht so im Gesetz. Bei Sachverständigen muss die Qualität gesteigert werden. Und es braucht eine klarere Trennung zwischen Anfangsverdacht und Ermittlungen, um den Rechtsschutz zu stärken.
Als Allheillösung wird der Generalstaatsanwalt genannt. Man hat auch tatsächlich geschafft, dass sich Expertinnen und Experten aller Lager versammeln und sich dann auf eine Lösung einigen. Warum schaffen Sie es nicht, sich hier mit dem Koalitionspartner ÖVP zu einigen? Warum können Sie Karoline Edtstadler nicht überzeugen?
Zadić
Ich glaube, beim Koalitionspartner fehlt die Motivation, etwas zu tun. Es gibt endlich ein Konzept von unterschiedlichsten Expert:innen aus Justiz, Wissenschaft, Praxis und Innenministerium. Das Bundeskanzleramt war mit dem Verfassungsdienst vertreten. Das Konzept würde Fehler der Vergangenheit beseitigen: nämlich dass einer Person zu lange zu viel Macht gegeben wurde, weil nur eine Person an die Spitze der Staatsanwaltschaften gestellt wurde. Die Macht sollte auf mehrere Personen, auf zwei Dreier-Senate aufgeteilt werden. Ich halte das für den wesentlichen Fortschritt, wenn es um die Frage der Unabhängigkeit geht. Es gibt einen breiten Konsens, dass das der richtige Ansatz ist, aber ich habe leider immer wieder den Eindruck, dass sowohl bei Verfassungsministerin Karoline Edtstadler als auch beim ÖVP-Partner die Motivation fehlt. Wenn wir wirklich von der Unabhängigkeit reden, dann sollte man sich endlich ernsthaft an den Verhandlungstisch setzen.
Wie würde der Dreier-Senat genau besetzt werden?
Zadić
Das ist die Hauptfrage des Konzepts. Der Vorschlag dieser Expert:innen ist, dass aus der Justiz heraus ein Dreier-Vorschlag gemacht wird und die Justizministerin den Bestgeeigneten dem Bundespräsidenten vorschlägt. Es gibt auch die Überlegung, wie man das Parlament miteinbezieht. Das sind Sachen, über die man diskutieren kann.
Also kommt der Generalstaatsanwalt noch, oder haben Sie das Projekt innerlich schon beerdigt?
Zadić
Ich bin nach wie vor Feuer und Flamme, und es gibt einen breiten politischen Konsens, auch von nicht den Grünen nahen Expert:innen, die hinter dem Projekt stehen.
Was sagen Sie zur neuen Koalition in Niederösterreich zwischen ÖVP und FPÖ? Sehen Sie da manche Politiker nahe dem Extremismus?
Zadić
Mit Politikern, die Kindern das Recht absprechen, zu Österreich dazuzugehören, obwohl sie hier geboren sind, die Nazi-Liederbücher besingen oder Erdbebenopfer verhöhnen, würde ich keine Koalition eingehen. Ich halte es für gefährlich, dass man dem rechten Rand der Freiheitlichen Partei so eine Bühne bietet. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hat die Aufgabe, ganz genau drauf zu schauen, dass keine Fehler passieren. Das Arbeitsprogramm ist nicht nur rückschrittlich, sondern auch rückwärtsgewandt.

Die Ministerin hat bis zur Wahl noch viel vor.

Sie versuchen jedenfalls neuerdings, migrantische Communities anzusprechen, indem Sie auf Influencer:innen wie Christl Clear setzen. Was kostet das eigentlich?
Zadić
Wir haben vor zwei Jahren durchgesetzt, dass Betroffene von Hass und Hetze im Internet eine kostenlose psychosoziale und juristische Prozessbegleitung zur Verfügung gestellt bekommen – beim Weißen Ring oder Zara. Aber dieses Angebot ist noch nicht bekannt genug, damit es großflächig angenommen wird. 2021 lag es im niedrigen zweistelligen Bereich. Deswegen haben wir letzten Sommer eine Kampagne gestartet und bewusst auf Influencer:innen gesetzt, weil sie auf TikTok und Instagram sehr viele junge Menschen erreichen und gezielt Infos zur Verfügung stellen können. Dabei ist es uns wichtig, alle Menschen in Österreich anzusprechen, auch solche mit Migrationsgeschichte. Für die gesamte Kampagne sind 500.000 Euro vorgesehen.
Ihr eigener Instagram-Auftritt ist eine Mischung aus Posts zu Funktion und Partei. Wer bespielt denn da genau was? Ist das sauber getrennt?
Zadić
Ja, es ist sauber getrennt von mir als Person, ich mache auch viele Sachen selbst. Einer meiner Mitarbeiter macht justizinterne Postings.
Cybercrime ist in aller Munde. Es wurden neue Stellen geschaffen, die nun aber irgendwie verteilt und besetzt werden, weil sich keine qualifizierten Leute finden. Und jetzt?
Zadić
Im Bereich Cybercrime ist in den letzten zehn Jahren zu wenig passiert ist. Die ÖVP hat die Justiz komplett heruntergespart. Inzwischen gibt es zehn Cybercrimekompetenzstellen, bei jeder größeren Staatsanwaltschaft arbeiten speziell geschulte Staatsanwälte. Und wir haben zusätzliche Planstellen bekommen: Zehn zusätzliche Expert:innen werden gerade in einem Forensik-Zentrum in Wien angesiedelt und sollen allen Staatsanwaltschaften zur Verfügung stehen.
Auf Ihrer To-do-Liste steht das Informationsfreiheitsgesetz. Warum hat Ihr Parteikollege und Vizekanzler Werner Kogler das zur Chefsache erklärt?
Zadić
Das ist so nicht richtig. Das Informationsfreiheitsgesetz wurde nicht von mir verhandelt. Aber es stimmt, uns Grünen ist es ein besonderes Anliegen. Werner Kogler ist im Sinne der Transparenz besonders wichtig, die Amtsverschwiegenheit aus der Verfassung zu streichen und ein Recht auf Information hineinzuschreiben. Wir waren als Bundesregierung noch nie so weit. Es gibt Entwürfe, für die Verfassungsministerin Edtstadler zuständig ist. Es gilt, die Blockadehaltung von Ländern und Gemeinden aufzulösen. Da liegt der Ball nicht nur bei der ÖVP, es gibt auch von Rot geführte Länder, die sich dagegen wehren.
Bis Juni soll ein neuer Entwurf vorgelegt werden. Hält dieser Plan?
Zadić
Ich hoffe stark.
Im profil-Interview sagte Österreichs Staranwältin Helene Klaar: „Was das Justizministerium da in seiner Weisheit auskocht, wird, davon abgesehen, furchtbar. Da sitzen Menschen, die zwar nur das Beste wollen, aber was dabei herauskommt, ist einfach nur schrecklich.“ Sie bezeichnet die geplante Kindschaftsrechtsreform als „einen Vernichtungskrieg gegen Frauen“. Das hört man wahrscheinlich eher nicht so gern, oder?
Zadić
Ich halte die Sprache „Vernichtungskrieg gegen die Frauen“ auch angesichts eines Krieges in der Ukraine für absolut unpassend. Das ist eine feministische Reform, die das Kindeswohl in den Mittelpunkt stellt und den Gewaltschutz stärkt. In den letzten zwei Jahren wurden über 110 Gespräche mit Stakeholder:innen geführt, etwa mit Kinderschutz- und Frauenorganisationen. Der Status quo im Unterhalts- und Kindschaftsrecht ist so schlecht, dass ihn niemand beibehalten möchte. Alle wollen eine Änderung, nur gibt es unterschiedliche Ansätze. Fest steht: Der Gewaltbegriff wird auf psychische Gewalt ausgeweitet. Das Konzept der automatischen Doppelresidenz – eine Woche beim Vater, eine bei der Mutter – kommt nicht.
Mit dem Streit in der SPÖ hat der Wahlkampf in Wahrheit schon begonnen, egal wer dort dann Spitzenkandidat:in wird. Die anderen Parteien halten Klausuren, und gehen in die innere Emigration, um an ihren Strategien zu feilen. Politikerfahrene wissen, dass jetzt in diesem Staat wohl nicht mehr so viel weitergehen wird. Was soll denn Ihre letzte Tat als Ministerin sein, was wollen Sie noch unbedingt durchbringen?
Zadić
Mein Ziel ist es, die Generalstaatsanwaltschaft umzusetzen und natürlich die Kindschaftsrechtsreform.
Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.