Interview

AMS-Chef Johannes Kopf: „Es bräuchte Willkommenskultur“

Johannes Kopf, Vorstand des Arbeitsmarktservice, hält die 32-Stunden-Woche für ein schlechtes Modell und Prämien für die Kinderbetreuung zu Hause für Unsinn. Die steigende Arbeitslosigkeit bei Geflüchteten bereitet ihm Sorgen, generell ist er für den Arbeitsmarkt optimistisch.

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Wie viele Stunden pro Woche arbeiten Sie?
Kopf
Ich kann es nicht genau sagen. Wenn ich Abendtermine dazurechne, Arbeiten zwischendurch am Wochenende bis zum Nachdenken über die Arbeit in der Früh in der Badewanne, bevor die Kinder aufstehen, dann werde ich wohl oft auf 60 Stunden pro Woche kommen.
Was ist eine gute Arbeitszeit?
Kopf
Das hängt von der Lebenssituation ab, aber wohl eindeutig weniger. Wahrscheinlich eine, die auch die private Familiensituation in vernünftige Balance bringt – und gerade für Jungeltern die Arbeitszeit halbwegs gerecht verteilt. Derzeit arbeiten Mütter Teilzeit, Väter machen Überstunden. Gut wäre, wenn die Frauen mehr Stunden arbeiten, die Männer dafür weniger – und sich beide bei etwa 30 Stunden pro Woche einpendeln. Das funktioniert in den Niederlanden, in Österreich hingegen reduzieren meist Mütter die Arbeitszeit.
 Wäre die 32-Stunden-Woche prinzipiell ein gutes Modell?
Kopf
Von einer gesetzlichen Regelung halte ich nichts. Würde Österreich die Arbeitszeit generell reduzieren, noch dazu bei vollem Lohnausgleich, würde das unsere Wettbewerbsfähigkeit massiv senken. Und es würde den Arbeitskräftemangel verstärken. Im Durchschnitt passiert ohnedies eine Arbeitszeitreduktion. Unternehmen machen das mittlerweile auch, um Arbeitskräfte zu finden: Ich habe vorhin im AMS-Portal nachgeschaut, es werden 6000 Stellen mit 4-Tage-Woche angeboten – wenige mit Lohnausgleich, meistens in der Variante, dass an diesen vier Tagen mehr als neun Stunden gearbeitet wird.

Diese Prämien sind völliger Unsinn. Sie widersprechen der Notwendigkeit am Arbeitsmarkt und der wirtschaftlichen Prosperität. Ich plädiere stattdessen für einen Rechtsanspruch auf ordentliche Ganztageskinderbetreuung.

AMS-Chef Johannes Kopf über Prämien für Familien, wenn Eltern – meist Frauen – ihre Kinder zu Hause betreuen

Zuletzt stieg die Arbeitslosigkeit wieder. Dreht sich die Lage am Arbeitsmarkt gerade, drohen Pleitewellen?
Kopf
Die Prognosen lagen zwar zuletzt oft daneben, aber vorhergesagt wird, dass gegen Jahresende das Wachstum zurückkommt und die Arbeitslosigkeit 2024 wieder sinkt. Aber der Bausektor kriselt und macht uns Sorgen. Die hohen Zinsen, Preissteigerungen und Vorzieheffekte bei Sanierungen während der Pandemie führen zu Auftragseinbrüchen. Am Bausektor steigt die Arbeitslosigkeit am stärksten.
Aber generell werden Unternehmen weiter händeringend Arbeitskräfte suchen?
Kopf
Ja, das bleibt uns. Einfach deshalb, weil jetzt stattfindet, was die Demografie seit Jahrzehnten angekündigt hat. Geburtenstarke Jahrgänge gehen in Pension, die Zahl der Arbeitskräfte sinkt.
 Wie dramatisch ist das?
Kopf
Auch wenn es überraschend klingt: Im internationalen Vergleich nicht so schlimm. Denn die Politik hat vor 35 Jahren in der Verfassung festgeschrieben, dass Frauen fünf Jahre früher in Pension gehen – aber dass zwischen 2024 und 2033 das Frauenpensionsalter schrittweise auf 65 steigt. Ich glaube zwar nicht, dass die Politiker diesen Anstieg damals in die Zeit von Arbeitskräftemangel hineinplanten, aber das passiert ab nächstem Jahr – und bedeutet jedes Jahr 20.000 Frauen zusätzlich am Arbeitsmarkt. Das ist viel. Ich habe mir das erste Mal im Jahr 2011 die Auswirkungen angeschaut und mir damals gedacht: Wenn 2024 so viele zusätzliche Frauen auf unserem Arbeitsmarkt bleiben, wird die Arbeitslosigkeit steigen. Dann möchte ich lieber nicht mehr AMS-Chef sein.
Den Absprung haben Sie verpasst.
Kopf
In der Tat. Allerdings: Der Anstieg des Frauenpensionsalters passiert nun in einer guten Zeit. Nur, Unternehmen müssen sich darauf einstellen. Ich halte momentan viele Vorträge vor großen Firmen zum Thema: Woher Arbeitskräfte nehmen? Viele Unternehmen denken beim zusätzlichen Arbeitskräfteangebot nicht an Frauen zwischen 60 und 65 Jahren und auch nicht an Wiedereinsteigerinnen, die ab nächstem Jahr verstärkt am Markt sein werden, weil sie weniger Pensionierungen ersetzen. Es arbeiten auch zu viele Frauen zu lange Teilzeit, das schlägt sich in Karriereknicks und gigantischen Unterschieden bei Einkommen und Pension nieder. Daher raten wir, möglichst kurz Babypause zu machen und mit möglichst vielen Stunden wiedereinzusteigen.
 In Bundesländern wie Salzburg oder Niederösterreich gibt es aber Prämien, wenn Eltern – meist Frauen – ihre Kinder zu Hause betreuen.
Kopf
Diese Prämien sind völliger Unsinn. Sie widersprechen der Notwendigkeit am Arbeitsmarkt und der wirtschaftlichen Prosperität. Ich plädiere stattdessen für einen Rechtsanspruch auf ordentliche Ganztageskinderbetreuung. Das würde das Tempo beim Ausbau der Kinderbetreuung massiv erhöhen. Die kürzesten Betreuungsangebote gibt es im ländlichen Raum in Westösterreich. Es muss auch ein Ende haben, dass über zehn Prozent der Kindergärten mehr als 51 Tage pro Jahr geschlossen haben. Das geht sich nicht einmal mit zweimal 25 Tagen Urlaub aus.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein Rezept gegen den Arbeitskräftemangel, ein anderes sind Übersiedlungen. Es gibt in Wien hohe Arbeitslosigkeit und in Westösterreich Arbeitskräftemangel.
Kopf
Der täglich zumutbare Anfahrtsweg ist geregelt – rund eine Stunde in eine Fahrtrichtung. Das bedeutet zwei Stunden Fahrzeit pro Tag, wobei jetzt schon Überschreitungen unter bestimmten Umständen möglich sind. Das kann man nicht viel mehr ausdehnen. Die andere Seite sind Jobs in anderen Bundesländern: Das ist Menschen zumutbar, die keine Betreuungspflichten haben – wenn der Arbeitgeber eine Unterkunft zur Verfügung stellt. Das gibt es praktisch nur im Tourismus.
 Dennoch arbeiten kaum Menschen aus Wien in Tirol. Braucht es zusätzliche Anreize wie etwa eine Mobilitätsprämie, wie das IHS-Chef Holger Bonin vorgeschlagen hat?
Kopf
Es gab schon unter Kanzler Werner Faymann die Übersiedlungsbeihilfe. Die haben wir wieder abgeschafft, weil sie nicht funktioniert hat. Der IHS-Chef hat jetzt eine großzügige steuerfreie Mobilitätsprämie bis zu 20.000 Euro vorgeschlagen, die der Arbeitgeber zahlen soll. Ehrlich gesagt, glaub ich nicht, dass das oft passieren würde.
 Wie bringt man dann arbeitslose Köche aus Wien nach Tirol?
Kopf
Wir versuchen das, bringen aber in Relation zum enormen Aufwand wenig zustande. Wir müssten, ähnlich wie in Deutschland, bei den Regionen ansetzen und bei den Verantwortlichen Verständnis dafür schaffen, dass sie dafür mitverantwortlich sind, eine gewisse Willkommenskultur für Arbeitskräfte zu erzeugen. Selbst wenn wir es schaffen, geflüchtete Personen nach Tirol zu vermitteln, wissen die oft nicht, was sie am Wochenende tun sollen. Es braucht Angebote zur sozialen Integration, Kindergartenplätze, Schulplätze, Arbeit für die Partnerin oder den Partner. Dann bleiben die Arbeitskräfte eher. Das weiß ich aus eigener Erfahrung: Ich war einmal ein paar Monate in einer Anwaltskanzlei in Bonn, habe schön gewohnt, aber ich habe kaum wen gekannt. Da war ich sehr dankbar, als mich jemand zum Fußballspielen mitgenommen hat.

Würde das Arbeitslosengeld höher beginnen und schrittweise sinken, wäre die Motivation, Jobs anzunehmen, höher.

AMS-Chef Johannes Kopf

Braucht es auch mehr Druck auf Arbeitslose, einen Job anzunehmen?
Kopf
Das Gesetz ist eigentlich recht streng. Manchmal führen wir arbeitslose Menschen aus Wien in Bussen zu Arbeitgebern nach Salzburg. Und wer nicht mitfährt, bekommt als Sanktion für sechs Wochen das Arbeitslosengeld gesperrt. Das führt dazu, dass wir mit einem Bus 50 Personen nach Salzburg fahren, und am Abend haben wir nicht mehr als zwei oder drei Einstellungen. Warum? Weil Arbeitgeber nur Leute nehmen, die wirklich wollen, und mit Zwang erzeugt man kein Wollen. Aber: Derartige Aktionen führen zumindest immer dazu, dass mehr Menschen Jobs in Wien annehmen. Damit sie im Westen arbeiten, bräuchte es bessere Pakete mit viel Betreuung vor Ort – Willkommenskultur eben.
 Sie plädieren schon lange dafür, das Arbeitslosengeld so zu verändern, dass es anfangs höher ist und dann schrittweise sinkt. Diese Reform ist gescheitert.
Kopf
Sie war nicht mehrheitsfähig in der Regierung. Leider. Ich bin trotzdem überzeugt: Würde das Arbeitslosengeld höher beginnen und schrittweise sinken, wäre die Motivation, Jobs anzunehmen, höher.
 Arbeitsminister Martin Kocher regelt jetzt via Erlass, dass geringfügige Beschäftigung in der Arbeitslosigkeit strenger kontrolliert wird. Wird das wirken?
Kopf
Ich hoffe, denn wir haben die Erfahrung, dass Arbeitgeber etwa arbeitslose Kellner geringfügig beschäftigen – die aber viel mehr arbeiten. Das ist ein klarer Missbrauch, durch die Unternehmen und durch arbeitslose Menschen. Wenn wir mit dem Erlass die Kontrollen intensivieren, kann der Missbrauch leichter aufgedeckt werden.
In der Zuwanderungsmetropole Wien ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch. Hat Österreich die falsche Zuwanderung?
Kopf
Aus strikt arbeitsmarktpolitischer Sicht wären mehr Rot-Weiß-Rot-Karten für Qualifizierte und weniger Vertriebene aus der Ukraine oder Geflüchtete aus anderen Regionen sinnvoll. Aber die strikt arbeitsmarktpolitische Sicht ist zynisch, die humanitären Gründe wiegen ja schwerer. Die Menschen fliehen vor Verfolgung und Krieg, und wir gewähren Schutz. Also sollten wir uns anstrengen, sowohl Geflüchtete als auch Vertriebene zu integrieren. Derzeit gelingt es uns das vor allem bei Ukrainer:innen leider schlecht.
 Sind vor allem Ukrainer arbeitslos?
Kopf
Nein, auch die Zahl der Arbeitslosen aus dem Mittleren Osten, etwa Syrien, steigt stark. Derzeit melden sich schon wieder etwa monatlich 1000 neue asylberechtigte oder subsidiär schutzberechtigte Personen bei uns, das sind 12.000 pro Jahr, das ist eine ganze Menge. Da würden wir wieder ein Extra-Integrationsbudget brauchen, ähnlich jenem, das von der türkis-blauen Regierung damals beendet wurde. Wir geben den Menschen Asyl, also müssen wir ihnen helfen, unabhängig von Sozialhilfe zu werden. In Wien ist mittlerweile jeder fünfte Arbeitslose ein Flüchtling. Richtig ist, die Integration auf den Arbeitsmarkt zu fördern – und zwar quer durch Österreich. In Wien werden nicht alle Geflüchteten Arbeit finden.
 In der Pflege und in Gesundheitsberufen gäbe es großen Bedarf. Ist das eine Chance für Geflüchtete?
Kopf
Gerade Gesundheitsberufe sind sehr reglementiert. Wir haben in Wien mehr als 170 syrische Ärztinnen und Ärzte bei der Nostrifizierung begleitet, das dauert im Durchschnitt drei Jahre, bis sie arbeiten können. Vor allem, weil sie Deutsch auf exzellentem Niveau lernen müssen, um die Ergänzungsprüfungen zu schaffen. In der Pflege ginge es schneller. Aber die vielen Männer unter den Geflüchteten haben den Pflegeberuf selten am Radar.
Warum kann es plötzlich so großen Mangel bei Ärzten und Lehrern geben? War die Pensionierungswelle nicht absehbar?
Kopf
Die Demografie ist nicht so ein Mysterium und relativ gut zu prognostizieren. Aber es gibt Zusatzeffekte: Viele Medizin-Studienplätze sind mit Deutschen belegt, die in Österreich studieren, aber nicht hier praktizieren. Auch in der Pflege muss man vor allem bei den Ausbildungsplätzen ansetzen. Die Regierung hat jetzt ein Pflegestipendium erfunden. An sich eine gute Sache, es löst nur das Problem nicht, weil die Ausbildungsplätze für Pflege ohnedies gefüllt sind. Mit dem Pflegestipendium geben wir Menschen, die ohnehin die Ausbildung machen würden, mehr Geld. Das ist sozial sinnvoll und belohnt das Interesse für den Beruf. Aber damit bekommen wir keine einzige Pflegekraft zusätzlich.
 Was wäre da eine gute Lösung?
Kopf
Bund und Länder müssten in einer gemeinsamen Kraftanstrengung Ausbildungskapazitäten massiv erhöhen.

Damit mache ich mir nicht viele Freunde, aber ich bin seit Jahren der Meinung: Ein Erbfall erscheint mir ein idealer Moment zur Umverteilung.

AMS-Chef Johannes Kopf

 Sind prinzipiell die Steuern und Abgaben auf Arbeit zu hoch?
Kopf
Ein Niedriglohnland kann und will Österreich nicht werden, aber die Steuern und Abgaben sind deutlich über dem EU-Schnitt. Es wäre sinnvoll, die Lohnnebenkosten zu senken. Das würde zusätzlich Beschäftigung schaffen.
Wäre es sinnvoll, im Steuersystem zu verlagern? Etwa Erbschaften zu besteuern und dafür die Arbeitskosten zu senken?
Kopf
Damit mache ich mir nicht viele Freunde, aber ich bin seit Jahren der Meinung: Ein Erbfall erscheint mir ein idealer Moment zur Umverteilung. Ein Gegenargument lautet: Man darf nicht zwei Mal besteuern. Dieses Argument überzeugt mich nicht, weil die Erben ja nichts versteuern und nichts für ihr Erbe geleistet haben. Aus der Erfahrung heraus, dass unser Staat nicht woanders Steuern senkt, wenn er eine neue Steuer einführt, müsste man wohl ein echtes Paket erarbeiten: Eine Erbschaftssteuer mit Freigrenzen und Lösungen für Unternehmensübergaben. Und gleichzeitig müsste ein Weisenrat mit Personen wie Wirtschaftsforscher Christoph Badelt oder Irmgard Griss darüber wachen, dass jeder Euro aus der Erbschaftssteuer für die Senkung der Steuern auf Arbeit verwendet wird. Unter diesen Bedingungen könnten Erbschaftssteuern mehrheitsfähig sein.

Interview: Eva Linsinger

 

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin