Immer belibt: Die Verwaltungsreform. Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (r.) und ÖVP-Klubobmann Andreas Khol

Amtsgeheimnis: Gesetz des Schweigens

Amtsgeheimnis: Gesetz des Schweigens

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(Anmerkung: Dieser Artikel ist erstmals im März 2003 erschienen)

Andreas Khol verdrehte die Augen zur Decke, wiegte den Kopf hin und her und presste ein "Sehr, sehr schwierig" hervor. Die SPÖ-Verhandler, die sich im Jänner im Büro des damaligen ÖVP-Klubobmanns eingefunden hatten, erkannten in der Sekunde: Die Debatte war zu Ende, bevor sie richtig angehoben hatte. Die von roter Seite geforderte Umkehrung des Prinzips der Amtsverschwiegenheit kam für die ÖVP nicht infrage. Causa finita.

Im Februar starteten die grünen Koalitionsverhandler ebenfalls einen Angriff auf die beamtete Geheimniskrämerei - und prallten auf Gummiwände. Laut Peter Pilz quittierte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel den Vorschlag, das Amtsgeheimnis abzuschaffen, in der schwarz-grünen Schlussrunde mit der Bemerkung, das Gesetz habe sich bewährt und man könne darauf nicht verzichten.

Im Nachhinein habe er dafür sogar Verständnis, so Pilz sarkastisch: "Ohne Amtsgeheimnis wäre der Bundeskanzler möglicherweise nicht mehr im Amt."

Der Standort bestimmt den Standpunkt. Als die SPÖ noch in Regierungsverantwortung war, benutzte sie die Amtsverschwiegenheit als Schutzschild, um lästige Auskunftsbegehren abzuwehren. Nun, nach drei Jahren auf der Oppositionsbank, mutierte sie zur glühenden Verfechterin einer gläsernen Verwaltung. Seite an Seite mit den Grünen macht sie sich nun für ein Informationsfreiheitsgesetz stark.

Kulturrevolution. Frontman der SPÖ-Initiative "Medien- und Informationsfreiheit" ist Josef Broukal. Als ORF-Journalist habe er "lange genug darunter gelitten, dass Information hierzulande als Gnade gilt, die bei Wohlverhalten gewährt wird". Als Politiker könne er diese Unsitte endlich bekämpfen. Geht es nach der SPÖ, soll künftig jeder behördliche Vorgang auskunftspflichtig sein. Nur in begründeten Ausnahmefällen - etwa wenn nationale Interessen oder Schutzbedürfnisse unbeteiligter Dritter berührt sind - blieben die Aktendeckel geschlossen.

Regierungskoalitionen werden hinter dicken Polstertüren ausgehandelt, Journalisten mit nichts sagenden Statements abgespeist.

Broukal will das "Amtsgeheimnis umdrehen". In einem Land, in dem alles, was sich in Beamtenburgen abspielt, "vertraulich" ist, käme das einer kulturellen Revolution gleich.

Allerdings einer, die liberale Kräfte längst herbeisehnen. Für den Verfassungsjuristen Bernd-Christian Funk etwa ist das Amtsgeheimnis einer der "Fetische der öffentlichen Verwaltung". Dass die amtliche Geheimhaltung von der Monarchie bis in die Gegenwart überdauert hat, schreibt Funk "unserer fehlenden Tradition der Transparenz" und "unserem Hang zum Obrigkeitsdenken und zur Geheimniskrämerei" zu.

Tatsächlich gilt Vertraulichkeit in Österreich als oberste Pflicht. Regierungskoalitionen werden hinter dicken Polstertüren ausgehandelt, Journalisten mit nichts sagenden Statements abgespeist. Mit öffentlichen Geldern finanzierte Studien, die nicht die erwarteten Ergebnisse bringen, verschwinden in Schubladen. Der Justizminister bedroht Journalisten, die aus geheimen Akten zitieren, mit dem Strafrecht. Der Innenminister erklärt einen politisch brisanten Rechtsextremismus-Bericht kurzerhand zur Verschlusssache. Und die Unterrichtsministerin händigt ihren Beamten ein Argumentarium zur umstrittenen Universitätsreform mit der Bemerkung aus: "Glauben Sie nicht, dass ich nicht erfahre, wenn sich jemand nicht daran hält."

Damoklesschwert. Was konkret unter das Amtsgeheimnis fällt, ist selbst für Juristen nicht leicht zu entscheiden. "Die gesetzlichen Bestimmungen bergen Spielräume", konzediert die Wiener Rechtsprofessorin Gabriele Kucsko-Stadlmayer. "Über jedem Beamten, der etwas sagt, von dem sich später herausstellt, es wäre der Amtsverschwiegenheit unterlegen, schwebt das Disziplinarverfahren wie ein Damoklesschwert."

Verständlich, dass Beamte vorsichtshalber verstummen, wenn sie von Fragestellern behelligt werden.

Auch ministerielle Weisungen dämpfen die Auskunftsfreude. Zwar genießt ein Beamter, wie jeder andere Staatsbürger auch, das Recht auf Meinungsfreiheit. Ein generelles Sprechverbot in der Öffentlichkeit wäre verfassungswidrig. Doch an Medienerlässe, in denen festgeschrieben wird, wer sich zu welchem Thema äußern darf, haben sich die Staatsdiener zu halten.

Verständlich, dass Beamte vorsichtshalber verstummen, wenn sie von Fragestellern behelligt werden. Seit 1987 gilt das Auskunftspflichtgesetz, das Bürgern erstmals eine rechtliche Handhabe gibt, an verwaltungsinterne Informationen heranzukommen. Das Paragrafenwerk blieb jedoch - verglichen mit dem amerikanischen Freedom of Information Act oder dem schwedischen Informationsfreiheitsgesetz - zahnlos (siehe Kasten). Der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) monierte in seinem Forderungskatalog für eine künftige Medienpolitik vor wenigen Wochen denn auch, der freie Zugang zur Information sei im Auskunftspflichtgesetz "unbefriedigend gelöst".

Tatsächlich findet die Auskunftspflicht rasch ihr Ende, wo das schwammig formulierte Amtsgeheimnis beginnt. "Konsistenz und Umfang des Amtsgeheimnisses zeichnen sich durch weitgehende Unklarheit aus", schrieb Staatsanwalt Walter Geyer im Mai 2001 in der Stadtzeitung "Der Falter".

Dazu komme, so der Verfassungsrechtler Heinz Mayer, dass "letztlich wieder die Behörde beurteilt, ob eine Auskunft erteilt werden muss". Wird ein Auskunftsbegehren von der Behörde per Bescheid abgewiesen, kann dagegen berufen werden. Ignoriert die Behörde das Ansinnen jedoch listig, gibt es keinen Bescheid und also nichts zu bekämpfen und also auch keine Möglichkeit, sein Recht durchzusetzen.

Wo das Gesetz nicht bemüht werden kann, setzt man auf Zermürbungstaktik.

Kafkaeske Blüten. Dass die großzügigste Auslegung des Amtsgeheimnisses aus der Sicht der Bürokratie die sicherste ist, treibt in der Praxis kafkaeske Blüten. Erst vor wenigen Wochen fragte Hans Zeger von Arge Daten beim Innenministerium nach, welche Unternehmen Informationen aus dem zentralen Melderegister anbieten. Fehlanzeige. Zegers Gesuch wurde mit der kuriosen Begründung abgeschmettert, die Namen der Unternehmen müssten aus Gründen des Datenschutzes geheim bleiben.

Wo das Gesetz nicht bemüht werden kann, setzt man auf Zermürbungstaktik. Als Zeger einst vom Innenministerium wissen wollte, wie viele Hausdurchsuchungen pro Jahr stattfinden, bekannte man, keine Ahnung zu haben. Sinngemäß das Gleiche bekam Zeger zu hören, als er sich erkundigte, wie oft mit legal erworbenen Waffen, wie oft mit illegal erworbenen geschossen werde. "Nur wenn man sehr lästig ist", so Zeger, "kommt man irgendwann an die Daten heran."

Fast schon "schikanös" findet es der Wiener Rechtsanwalt Richard Soyer, wenn er sich in einer Justizanstalt erkundigt, ob einer seiner Mandanten bereits in Vollzugsanstalt Y überstellt sei - und der Beamte am anderen Ende der Telefonleitung auf einem schriftlichen Ansuchen besteht. So ein "banales, tief aus dem Alltag gegriffenes Beispiel" dokumentiert für Soyer, "wie viel in die Amtsverschwiegenheit hineingepackt wird, das überhaupt nicht hineingehört".

Auch Verfassungsjurist Mayer erscheint der Umgang mit dem Amtsgeheimnis "nicht ganz lauter". Dass Gesundheitsdaten geschützt sind, Unternehmen ihre Konkurrenz nicht nach Herzenslust ausspionieren dürfen oder die Polizei in Kriminalfällen nicht alle Ermittlungsergebnisse umgehend offen legen soll, ist Allgemeinwissen. Die Geister scheiden sich jedoch dort, wo die Grautöne beginnen.

Warum sind Beschaffungen, Baugenehmigungsverfahren oder Wasserrechtsbescheide geheim? Warum sind Behördeninterna vertraulich? Warum erfährt der Bürger nicht, wie er verwaltet wird?

Nur langsam gewöhnt man sich in Österreich an den Gedanken, dass eine moderne Verwaltung als Dienstleistung für die Bürger da zu sein hat.

Misstrauen. Laut Transparency International, einer weltweiten Anti-Korruptions-Organisation, ist Geheimniskrämerei der ideale Humus für Freunderlwirtschaft und Machtmissbrauch. "Wer über die Vorgänge im Staat und in der Verwaltung die Decke breitet, erzeugt zumindest Misstrauen", meint Staatsanwalt Walter Geyer. "Offenheit hingegen ist ein Zeichen von Freiheit."

Nur langsam gewöhnt man sich in Österreich an den Gedanken, dass eine moderne Verwaltung als Dienstleistung für die Bürger da zu sein hat. In anderen Ländern wurden längst entsprechende Informationsfreiheitsgesetze verabschiedet (siehe Kasten), in Österreich wird nach wie vor der Geheimniskrämerei gehuldigt. Wissen ist Macht, und die wird von jenen, die über sie verfügen, nur ungern abgegeben.

Erst kürzlich lauschte der SPÖ-Abgeordnete Broukal Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer, als sie im Parlament aus einer bis dato unveröffentlichten Studie über die Lebensumstände der Studenten zitierte. Broukal fragte, ob er die ganze Studie haben könne. Sie sei noch nicht fertig, wurde ihm beschieden. Die Ministerin habe nur provisorische Zahlen vorgetragen.

Mehrere Seiten umfasst die Liste jener Aufträge, die das schwarz-blaue Kabinett I seit seinem Amtsantritt im Februar 2000 an externe Berater vergeben hat. Über die Ergebnisse wurde die Öffentlichkeit bis heute nicht informiert. Verfassungsjurist Funk könnte sich vorstellen, dass man mit einem Informationsfreiheitsgesetz die Auskunft erzwingen könnte.

Andere Länder, andere Sitten. In den USA kann jeder Bürger grundsätzlich jedes öffentliche Dokument einsehen. Ausnahmen von der Regel brauchen eine gute Begründung - eine Art Umkehr der Beweislast: Nicht der Bürger muss sich für sein Interesse an Informationen rechtfertigen, sondern die Behörde muss erklären, warum sie diese nicht herausrücken will. Politikwissenschafter Anton Pelinka geht davon aus, dass sich diese Idee früher oder später auch in Österreich durchsetzen wird: "Die Frage ist nur, ob das schon in drei Jahren passiert oder erst in dreißig."

Mit dem Übergang zur Wissensgesellschaft könnte das Grundrecht auf Informationsfreiheit neue Bedeutung gewinnen.

Der eher geringe öffentliche Druck reicht bislang jedenfalls nicht aus, um mit der langen Tradition administrativer Geheimhaltung zu brechen. Pelinka: "Dafür haben wir wohl noch zu wenig zivilgesellschaftliche Unruhe."

Mit dem Übergang zur Wissensgesellschaft könnte das Grundrecht auf Informationsfreiheit neue Bedeutung gewinnen. Seine gesetzliche Verankerung wäre nur ein erster Schritt. Um die Verwaltung durchsichtiger werden zu lassen, müssten die Daten auch aufbereitet und zugänglich gemacht werden. In den USA sind die Behörden verpflichtet, öffentliche Register zu führen. Seit 1996 gibt es sogar auch einen gesetzlich garantierten Online-Zugang zu Bundesinformationen.

Fast alle Pulitzerpreisträger profitierten von dem Aktenzugang in den USA. Viele Enthüllungen hätte es anders nicht gegeben. Mithilfe öffentlicher Dokumente fanden Journalisten beispielsweise heraus, dass US-Soldaten bei Atombombenversuchen in Nevada absichtlich hoher Strahlung ausgesetzt wurden.

Shuttle-Absturz. Nach dem Absturz des Spaceshuttles "Columbia" am 1. Februar dieses Jahres erzwangen US-Medien die Veröffentlichung des E-Mail-Verkehrs zwischen NASA-Ingenieuren. Damit konnten sie nachweisen, dass die Techniker die Katastrophe vorhergesehen hatten. Ihre Bedenken waren allerdings nicht bis zu den Entscheidungsträgern durchgedrungen. Sieben Astronauten verloren deshalb ihr Leben.

In Österreich wäre man bei ähnlichen Ereignissen auf Presseerklärungen angewiesen. Wie wenig hochrangige Politiker von Öffentlichkeit halten, ließ Justizminister Dieter Böhmdorfer im Mai 2001 erkennen. In einem Interview für die TV-Sendung "Report" erklärte er, Österreich "braucht keinen Aufdeckungsjournalismus". Für Ermittlungen seien Polizei und Justiz zuständig.

Und deren Tätigkeit unterliegt - erraten - größtenteils dem Amtsgeheimnis.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges