Andy Kaltenbrunner
Journalismus

Medienforscher Kaltenbrunner: „Wir sind nach Ungarn abgebogen“

Platz 32: Reporter ohne Grenzen attestiert das bisher schlechteste Ergebnis für Österreich. Medienforscher Andy Kaltenbrunner erklärt, wie die Medien noch zu retten sind.

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Noch nie war die Pressefreiheit in Österreich so eingeschränkt wie im Jahr 2023. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls der gemeinnützige Verein Reporter ohne Grenzen (RSF, reporters sans frontièrs) mit dem jährlichen Pressefreiheits-Index. Im Jahr 2023 verschlechterte sich Österreich um drei Plätze – auf Rang 32. Im Vorjahr lag Österreich auf Platz 29, davor auf Platz 31 – allenfalls im „zufriedenstellenden“ Bereich laut dem Index.

Der Index nimmt Rücksicht auf den politischen Kontext in den Ländern, bewertet aber auch, wie sicher es für Journalisten und Journalistinnen ist, ihre Arbeit auszuüben. Zum Absturz auf Platz 32 haben laut RSF-Präsident Österreich Fritz Hausjell eine Reihe an „hausgemachten“ Ursachen geführt: „Eine zunehmend besser funktionierende Justiz leuchtet hochproblematisch enge Verhältnisse und mutmaßlich korruptive Vorgänge zwischen der Regierungspartei ÖVP und etlichen großen Medien noch deutlicher aus. Zugleich machen ÖVP und FPÖ verstärkt Druck auf kritischen Journalismus, indem einzelne Journalist:innen als vermeintliche Aktivist:innen öffentlich angegriffen werden.“

Weiters lasse sich die „regierende Medienpolitik“ (Hausjell meint unter Medienministerin Susanne Raab, ÖVP, Anm.) zu viel Zeit bei der Stärkung der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen ORF. Auch der Verfassungsgerichtshof kam zum Schluss, dass die Besetzung der Gremien im ORF zu regierungsnahe sei.

Besonders schlecht schneidet Österreich bei der finanziellen Lage der Medien ab. Die Branche ist von Kündigungswellen und anderen Sparmaßnahmen geprägt. Im Vorjahr wurde mit der „Wiener Zeitung“ die älteste noch in Druckform erscheinende Tageszeitung eingestellt. Vor allem junge Journalist:innen beklagen prekäre Anstellungsverhältnisse und unsichere Zukunftsaussichten im Journalismus.

Sind die Medien noch zu retten? profil lud den renommierten Medienforscher Andy Kaltenbrunner zu einem Gespräch. Im Interview erklärt er, was die Herausforderungen sind und warum es eine doppelt so hohe Medienförderung braucht.

Österreich steht heuer auf Platz 32 im Ranking der Pressefreiheit. Überrascht Sie dieses Ergebnis – immerhin das schlechteste bisher?
Andy Kaltenbrunner
Nein. Den Trend, dass es für Österreich in diesem Ranking bergab geht, sehen wir seit einem Jahrzehnt. Wir haben große Probleme mit der Pressefreiheit.
Wie können wir mehr Probleme als die Slowakei haben, wo ein Investigativjournalist 2018 sogar getötet wurde?
Kaltenbrunner
Seien wir froh, dass wir keine Anschläge erleben. Im internationalen Vergleich werden natürlich viele Kriterien zur Bewertung von Pressefreiheit herangezogen. Das Hauptproblem in Österreich ist zum Glück nicht die Bedrohung an Leib und Leben für Journalistinnen und Journalisten.
Sondern?
Kaltenbrunner
Die Verzerrung des Marktes durch Inseratenkorruption als System, ebenso wie immer mehr Einzelfälle wie die Bedrohung des kritisch recherchierenden Kärnten Journalisten Franz Miklautz, dem wegen seiner Recherchen überfallartig von der Polizeit im Justizauftrag Handys und Computer beschlagnahmt wurden. Das wurde dann zwar wieder korrigiert. Dennoch häuften sich solche Angriffe, Druck und ruinöse Klagsdrohungen gegen Journalisten, und auch Behinderung der Berichterstattung bei Demonstrationen mit körperlichen Angriffen. Der Versuch politischer Zugriffe geschieht wiederum im Umfeld einer extrem schwierigen wirtschaftlichen Situation für die traditionellen Medien, in der ökonomische Druckmittel in Verbindung mit inhaltlichen Begehrlichkeiten eben besser funktionieren und die Medienfreiheit einschränken.
Sind ÖVP und FPÖ am Ergebnis schuld – wie RSF-Präsident Fritz Hausjell sagt? Die aktuelle türkis-grüne Regierung hat immerhin hohe Förderungen vergeben, das Amtsgeheimnis abgeschafft und eine ORF-Novelle beschlossen.
Kaltenbrunner
Wir loben uns für etwas Kommendes, das in den EU-Ländern lange schon Normalzustand ist. Schauen wir zudem, wie das dann nach den Nationalratswahlen gelebt wird. Die in den Umfragen stärkste Partei des Landes hat ein sehr gespanntes Verhältnis zu kritischen Medien und öffentlichem Rundfunk. Und im Förderbereich gibt es weiter sehr große Defizite im österreichischen Markt.
Warum?
Kaltenbrunner
Die sogenannte Transformationsförderung zur Digitalisierung hat eklatante Schwächen. Wir wissen nicht, ob diese Mittel sinnvoll verwendet werden, ob innovativ oder zum Nachholen verschlafener Technikinvestitionen, ob für Journalismusqualität oder letztlich doch nur um immer größere Erlöslöcher zu stopfen. Wir erfahren nur beliebige Überschriften, wofür die Mittel eigentlich eingesetzt werden. Das geschieht mit wunderlichem Verweis auf eine angebliche Wettbewerbssituation und klingt in Verbindung mit der Aufhebung des Amtsgeheimnisses jetzt besonders skurril. Wir geben bisher fast 100 Millionen für sogenannte Medientransformation aus – sagen dem Steuerzahler aber nicht was das genau ist. Wenn dann um 300.000 Euro und mehr angeblich ein Newsletter gefördert wird, sind das zudem Summen, die absurd erscheinen und erneut nach Vergaben nach politischem Wohlwollen mit Augenzwinkern klingen. Das ist also ein gänzlich intransparentes System wie bisher auch jenes der Vergaben hunderter öffentlicher Inseratenmillionen. Gleichzeitig gilt aber: Kein einziger Verlag würde ohne die Ausgaben der öffentlichen Hand durch Förderungen wirklich positiv bilanzieren. Einige müssten ohne öffentliche Mittel sofort zusperren. Diese Umbruchphase hatten andere Länder bereits vor einem Jahrzehnt. Jetzt schlägt es mit Wucht auch in Österreich auf.
Gibt es genug Nachwuchs im Journalismus? Während Politiker:innen ganze Teams an Pressesprechern haben, bauen Redaktionen immer mehr Stellen ab.
Kaltenbrunner
Es gab seit vielen Jahren kontinuierlich Stellenabbau im Journalismus und zuletzt auch echte Kündigungsschübe. Über ein Viertel aller Redaktionsjobs sind laut unseren Studien für den Journalismus-Report seit 2006 verloren gegangen. Wir stehen aber wohl vor weiteren Kündigungswellen, weil die Bilanzen der großen Häuser wenig ermutigend sein werden. Gleichzeitig sehen wir aber, dass Journalistinnen und Journalisten in Österreich messbar sehr viel besser qualifiziert sind als vor dreißig, vierzig Jahren. Das Problem ist nur: Die Herausforderungen sind gleichzeitig enorm gewachsen. Journalisten müssen ständig kämpfen, um das Notwendigste des Jobs zu erfüllen, um überhaupt das Erscheinen der Zeitung, der Sendung, der Onlinedienste zu garantieren.
Warum sind skandinavische Länder immer unter den Top 3?
Kaltenbrunner
Dort gibt es zum einen generell ein hohes Ausmaß an Transparenz. Das beginnt damit, dass jeder im Regelfall nachschauen kann, was sein Nachbar verdient. Das hilft gegen Korruption. Ein öffentlicher Zugang zu Einkommenssteuererklärungen wäre in Österreich undenkbar. Dazu kommt, dass skandinavische Länder bei der Medienförderung darauf geachtet haben, dass es auch in kleineren Regionen bis zu drei Zeitungen am Markt gibt, um mehr Vielfalt sicherzustellen. Es wurde zudem viel früher auf Digitalisierung gesetzt und innovative Projekte, von Investigativjournalismus bis zu Regionalplattformen auch durch entsprechende Programme unterstützt. Bis heute gibt es in Norwegen mehrere Dutzend Tageszeitungen für die fünf Millionen Einwohner, die sich systematisch in funktionierende Onlinedienste gewandelt haben. Zwölf Zeitungstitel in Österreich sind traurig wenig im internationalen Vergleich.
Platz 32 ist dennoch im „zufriedenstellenden“ Bereich. Spricht nichts dafür, dass sich die Medienlandschaft wieder erholen kann?
Kaltenbrunner
Grund zur Hoffnung gäbe es dann, wenn als nächstes eine Regierung käme, die den gesellschaftspolitischen Auftrag von unabhängigem Journalismus ernst nimmt und die immer engere Umklammerung von Politik auf Medien endlich wieder lockert. Da braucht es eine umfassende Offensive. Es würde etwa schon helfen, wenn das jetzige Geld im Rahmen der Medienförderung sinnvoll und fair und nachvollziehbar verteilt wird und auch neue, engagierte journalistische Projekte unterstützt werden.
Wie viel mehr Geld brauchen die Medien?
Kaltenbrunner
Es braucht eigentlich doppelt so hohe Förderungen – aber eben sehr viel intelligenter eingesetzt. Wir haben dabei immer so getan, als wären wir zivilisatorisch, was Förderung von Journalismus und kritischer Öffentlichkeit betrifft, Richtung Norden unterwegs. In Wirklichkeit haben wir in den letzten Jahren immer öfter nach Osten geblinkt und sind ein bisschen nach Ungarn abgebogen. Dieser Kurs gehört dringend korrigiert. Aber von dieser Bundesregierung erwarte ich nichts mehr.
Elena Crisan

Elena Crisan

Wenn sie nicht gerade für den Newsletter "Ballhausplatz" mit Politiker:innen chattet, schreibt sie im Online-Ressort über Wirtschaft und Politik.