Aus dem Leben einer Staatenlosen

Sedef Hatapkapulu war zuerst Türkin, dann Österreicherin - und eine Weile beides. Nun gehört sie nirgendwo mehr hin.

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Ein unscheinbares Haustor öffnet sich in einen Innenhof mit blühenden Kletterpflanzen und Vogelgezwitscher. Hier lebt Sedef Hatapkapulu, 53, eine jener Künstlerinnen, die Ruf und Flair des Wiener Grätzels Soho-Ottakring ausmachen.

In den 1980er-Jahren war sie nach Wien gezogen, eine junge Türkin aus Istanbul, hungrig nach Freiheit und Inspiration. Sie studierte bei der Malerin Maria Lassnig, pendelte zwischen den Welten, zeigte ihre Bilder mal in der Türkei, mal in Österreich und lebte mit dem Vater ihrer beiden Kinder in Moskau, wo er als Korrespondent für die türkische Zeitung "Milliyet“ arbeitete.

Hatapkapulu breitet ihre Reisepässe auf dem Tisch aus. Sie sind, egal, wo man sie aufschlägt, voller Vignetten und Stempel: Spuren hoheitlicher Verfügungen und persönlicher Abenteuer. Ihr erster österreichischer Pass ist mit 29. März 1993 datiert und grün. 1996 bekam sie einen roten Pass, Österreich war mittlerweile der EU beigetreten. Um ihren nächsten Pass ringt sie noch. Er wird grau sein. Das ist die Farbe der Staatenlosen.

Die 53-Jährige macht türkischen Kaffee in ihrer hofseitigen Erdgeschossküche. Er kocht über. "Sehen Sie, typisch Österreicherin“, sagt sie. Es liegt eine bittere Note in dem kleinen Scherz. Seit vergangenem Herbst ist Hatapkapulu offiziell weder Türkin noch Österreicherin - eine Fremde überall. Rund 11.600 Menschen mit ungeklärter Staatsbürgerschaft leben in Österreich, etwa 4000 davon sind staatenlos. Einem Staat anzugehören, ist ein Menschenrecht; Schätzungen des Flüchtlingshochkommissariats (Unhcr) gehen jedoch von weltweit zehn bis zwölf Millionen Menschen aus, die nirgendwo hingehören: Minderheiten, Vertriebene, menschliches Strandgut nach dem Zerfall von Staaten - und Menschen wie Hatapkapulu.

Folgenreiches Missverständnis

Die Künstlerin war 1993 Österreicherin geworden und hatte - wie das Gesetz es verlangt - das türkische Konsulat aufgesucht, um ihre alte Staatsbürgerschaft zurückzulegen. Ihre Ausbürgerung wurde eingeleitet. Als das Verfahren abgeschlossen war und Hatapkapulu erneut auf das Konsulat ging, drang der Beamte darauf, gleich auch ihre Wiedereinbürgerung in die Türkei zu beantragen. "Er hat es so dargestellt, als wäre das eine lockere Sache zwischen uns, für die sich der österreichische Staat nicht interessiert“, sagt Hatapkapulu. Dass die bloße Willenserklärung genügt, die alte Staatsbürgerschaft wieder anzunehmen, um die neue, österreichische zu verspielen, sei ihr nicht klar gewesen.

Hatapkapulu schwankte. Ihre Eltern lebten in Istanbul. Irgendwann würden behördliche Angelegenheiten zu regeln sein. Schließlich habe sie unterschrieben, so wie viele, sagt sie: "Alleine in meinem Bekanntenkreis gibt es mindestens 20 Leute.“ Der türkische Ministerpräsident Halil Turgut Özal hatte damals begonnen, die Diaspora zu instrumentalisieren. Gastarbeiter sollten sich in Europa einbürgern und für einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) lobbyieren, ihrem Heimatland aber verbunden bleiben.

In der Wiener Kanzlei von Nadja Lorenz arbeitet der Fremdenrechtsexperte Ibrahim Başar. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich ähnlich gelagerte Causen. "Die Türkei hat ihren Bürgern die Ausbürgerung erlaubt, spielte die rechtlichen Folgen eines Wiedereintritts aber herunter“, sagt er. Er berät Hatapkapulu in staatsbürgerschaftsrechtlichen Belangen. Die Materie ist reichlich verworren. Fünf Jahre lang hatte die Kanzlei in einem anderen Fall in der Türkei prozessiert - mit der Begründung, ein Konsulatsmitarbeiter verletze seine Belehrungspflicht, wenn er nicht über die rechtlichen Folgen einer unerlaubten zweiten Staatsbürgerschaft unterrichte. Der Kläger bekam schließlich durch alle Instanzen recht.

Offen ist, welche Rechtsfolgen dieser Spruch in Österreich zeitigt. Es steht viel auf dem Spiel, nicht nur für die Betroffenen. Die heimischen Wählerverzeichnisse führen Abertausende Staatsbürger als Stimmberechtigte an, die in Wahrheit keine sind. Das mache jeden Urnengang riskant, sagt Başar: "Wir sehen einem gewaltigen demokratiepolitischen Problem entgegen, auch im Zusammenhang mit der Neuwahl im Herbst. Jedes Ergebnis könnte strittig sein, solange das Wählerverzeichnis nicht bereinigt ist.“

Flut von Anträgen

Das Schlamassel angerichtet hat die Türkei, die es seit jeher unterlässt, Einbürgerungsmeldungen an die heimischen Behörden zu übermitteln. Mit den Folgen aber muss Österreich fertigwerden. Theoretisch könnten hier nun Tausende ihre zweite, unerlaubte Staatsbürgerschaft zurücklegen und in der Staatenlosigkeit landen. Eine Abschiebung wäre menschenrechtswidrig. Auf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) käme eine Flut von Anträgen auf humanitären Aufenthalt und einen Fremdenpass zu. Başar: "Damit würde ein ohnehin überfordertes System vollends handlungsunfähig.“

Auch Hatapkapulu muss ihren Aufenthalt erst wieder legalisieren. Die 1990er-Jahre waren für die Künstlerin turbulent gewesen. Sie malte, heiratete, brachte in Wien zwei Söhne zur Welt und unterrichtete an der Bosporus Universität in Istanbul. Je älter sie wurde, desto mehr bedrückte sie ihre zweite, heimliche Staatsbürgerschaft: "Ich wollte das korrigieren und bin in Istanbul auf die Behörde gegangen. Und wieder hat man versucht, mich von der Ausbürgerung abzubringen.”

Seit 2007 ist sie keine Türkin mehr. Sie dachte keine Sekunde daran, dass ihre österreichische Staatsbürgerschaft ex lege erlosch, als sie 1995 ihre Wiedereinbürgerung in die Türkei unterzeichnete. Ans Licht gekommen ist das, als sie vor zwei Jahren auf einem Amt wieder einmal einen Auszug aus dem Personenstandsregister vorwies. Nie zuvor hatte es Beanstandungen gegeben. Nun aber stutzte die Schalterbeamtin und informierte die zuständige Magistratsabteilung in Wien, die ein Verfahren einleitete. Es endete mit der Feststellung, dass die 53-Jährige seit mehr als 20 Jahren keine Österreicherin mehr ist. Und weil sie inzwischen auch die türkische Staatsbürgerschaft losgeworden war, gehörte sie nun nirgendwo mehr hin.

Es macht Hatapkapulu fassungslos, wie hart das heimische Gesetz in diesem Punkt ist: "Menschen sind doch nicht aus Papier, sondern aus Geist und Fleisch.“ Staatenlose dürfen nicht arbeiten, nicht wählen, nicht reisen, können weder ein Konto eröffnen noch RSA-Briefe bei der Post abholen. Der Zugang zu Bildung oder medizinischer Versorgung ist ihnen verwehrt. "Sie sind hier und dürfen atmen, sind aber vollkommen entrechtet“, sagt Rechtsberater Başar. Seine Mandantin ist in einer vergleichsweise glücklichen Lage. Zwar verlor sie in Wien ihre Arbeit als interkulturelle Lernbetreuerin und in Istanbul ihre Unistelle. Der freischaffenden Künstlerin bleibt jedoch ein Ausweg, der anderen Staatenlosen versperrt ist: Sie darf Kunstwerke verkaufen, hat deshalb ein Einkommen und ist sozialversichert.

Theoretisch könnte sich Hatapkapulu um ihre abgelegte türkische Staatsbürgerschaft bemühen. Doch die alte Heimat ist ihr unheimlich geworden. Ihre Freunde in Istanbul, Künstler, Intellektuelle und Linke, verloren ihre Jobs. Viele flogen von der Uni. Hatapkapulu beschreibt sich heute als "rausgekickte Österreicherin mit einer Sentimentalität für Istanbul“. Sie sagt: "Kunst geht über Grenzen.“ Der Gedanke zieht sich durch ihre Arbeiten. Im Vorjahr wirkte sie an einer Ausstellung mit, die ironischerweise "artists without borders“ heißt und nun von der Türkei über Frankreich bis in die Ukraine weiterwandert. "Meine Werke dürfen reisen, nur ich darf nirgendwohin“, sagt die Künstlerin.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges