Barbara Blaha: "Wir müssten strenger mit den Medien sein"

Barbara Blaha, Gründerin des linken Thinktanks "Momentum",über ihren profil-Moment, den Ausstieg aus der SPÖ, Politiker als Journalisten und fehlende Diversität in Redaktionen.

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profil: Sie waren Chefin der Studierendenvertretung ÖH, als Alfred Gusenbauer 2007 Kanzler wurde und sein Versprechen brach, die Studiengebühren abzuschaffen. Damals schrieb profil: "Blaha und Kuba treten aus SPÖ aus-Gusenbauer 'arrogant' und 'selbstgefällig'."War das Ihr profil-Moment?
Blaha: Nein, lieber erinnere ich mich daran, wie viele profil-Geschichten ich schon gelesen habe-überdurchschnittlich viele für mein Alter, denke ich. Ich habe für einen Sammelband alle Werke von Hubertus Czernin (ehemaliger profil-Herausgeber, Anm.) Korrektur gelesen. Es war ein Schnellsiedekurs in Zeitgeschichte und den Verhältnissen in der Republik, bevor ich sie aktiv mitbekommen hatte. So viel profil habe ich nie wieder gelesen.

profil: Welchen Stellenwert hatte profil in Ihrer Kindheit in Wien-Simmering?
Blaha: Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Für mich war das profil immer das Magazin, das die "gescheit'n Leut" lesen. Meine Familie hatte keine Zeitungen oder Zeitschriften im Abo, aber es war immer klar: Wenn man sich für Politik interessiert, liest man profil.

profil: Und später als ÖH-Chefin?
Blaha: Für mich als ÖH-Chefin war profil weniger wichtig, weil es kaum Uni-Berichterstattung gab. Einmal hat uns aber ein profil-Journalist länger im Wahlkampf begleitet, und wir saßen für ein Interview im Audimax-Café. Da war ich schon ein bisschen stolz.

profil: Wie sehen Sie die Entwicklung der SPÖ seit Ihrem Austritt?
Blaha: Zur Partei habe ich keinen speziellen Bezug mehr. Ich erfahre auch nur aus den Medien, was dort so passiert.
profil: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner ist Infektiologin, Epidemiologin und Tropenmedizinerin-eigentlich ein Vorteil in der Corona-Krise. Warum fällt es ihr trotzdem schwer, zu punkten?
Blaha: Ich gebe Parteivorsitzenden keine Ratschläge-auch nicht Sebastian Kurz oder Norbert Hofer.

profil: Haben Sie je über eine Rückkehr in die Politik nachgedacht?
Blaha: Ich bin durchaus in der Politik als Chefin eines Thinktanks. Aber in die Parteipolitik will ich nicht zurück.
profil: Sie haben Ihren Austritt aus der SPÖ nie bereut?
Blaha: Es war keine leichte Entscheidung. Ich würde sie aber genau so wieder treffen.

 

profil: Heute sind Sie Chefredakteurin des linksliberalen Online-Mediums "Moment Magazin", kommentieren manchmal in profil. Ist Print nicht total altmodisch?
Blaha: Das ist eine Fangfrage. Ich war lange im Verlagswesen, und gedrucktes Papier hat eine ganz eigene Magie, einfach eine andere Wertigkeit. Der "altmodische" Zeitungsmarkt hat für mich also jedenfalls eine Zukunft, auch wenn die Menschen immer mehr gratis online konsumieren und das Geschäftsmodell somit schwierig ist.

profil: In den vergangenen Monaten wurde viel über Diversität in den Medien diskutiert. Muss sich die Branche mehr öffnen?
Blaha: Auch profil hat ein Problem mit fehlender Diversität, ist damit aber nicht allein. Die Kommentarspalten sind immer noch voll mit weißen Männern. Ich verstehe nicht, warum das so ist - noch weniger, seit ich mein eigenes Medienunternehmen habe. Es ist wirklich nicht schwierig, eine Redaktion 50/50 zu besetzen. Dasselbe betrifft Expertinnen. Dennoch ist ihr Anteil im Fernsehen während der Corona-Krise von 38 Prozent noch einmal auf 30 Prozent gesunken. Das geht 2020 nicht mehr.

profil: Woran liegt das?
Blaha: Da müssten wir alle strenger mit den Medien sein und Vielfalt stärker einfordern, schon allein um der Qualität willen: Männer und Frauen erleben immer noch eine andere Sozialisation und sind mit ganz unterschiedlichen Problemlagen konfrontiert, zum Beispiel in der Frage der unbezahlten Arbeit. In der Corona-Krise haben wir die Kinder und damit meist auch die Mütter zu Hause eingesperrt. Als sich ÖVP-Klubobmann August Wöginger in der ORF-Sendung "Im Zentrum" freute, dass seine Frau das ganze Homeschooling erledigt, hat es mir die Schuhe ausgezogen. Medial war das aber kaum Thema. Das ist sicher ein Diversitätsproblem. Männliche Journalisten haben offenbar Frauen, die das für sie wegorganisieren. Auch soziale Diversität ist eine große Frage. Heute rutscht man nicht mehr so leicht in den Journalismus hinein wie früher. Mehrere Jahre Praktika muss man sich erst einmal leisten können.

profil: Journalisten, die in die Politik gehen, gibt es immer wieder, Politiker als Journalisten weniger. Was war Ihre Motivation?
Blaha: Was als politische Lösung wahrgenommen wird, hängt ganz stark davon ab, welche Meinungen überhaupt in der öffentlichen Arena Platz haben. Unternehmer oder Menschen mit mehr Geld sind dort sehr gut repräsentiert. Die Perspektive jener, die von der eigenen Arbeit leben müssen, fehlt mir aber oft. Dass unser Projekt halb Thinktank, halb Medium wird, war deswegen klar, weil unsere wissenschaftliche Arbeit verständlich kommuniziert werden soll, sodass man es auch ohne Studienabschluss versteht.

profil: Darum auch das Büro im 15. Bezirk?
Blaha: Ein "Think Tank der Vielen" im 1. Bezirk geht sich symbolisch nicht aus. Mir war klar, der Laden, den wir aufmachen, muss dort sein, wo die Leute leben. Ich selbst lebe auch hier.

profil: Sind Sie oft mit Hasskommentaren konfrontiert?
Blaha: Wir haben von Anfang an stark auf Austausch gesetzt. Wenn wir mit Kritik konfrontiert sind, wird auch zurückgeschrieben, verbindlich im Ton, aber hart in der Sache. Beschimpfungen lasse ich nicht stehen-nicht weil ich das nicht aushalte, sondern weil alle, die mitlesen, sehen sollen, dass so etwas keinen Platz bei uns hat. So etabliert sich ein Ton, und die anderen User helfen mit, zu moderieren. Viel anstrengender finde ich sexuell konnotierte Kommentare, wie sie wohl jede Frau im Internet erlebt.

profil: Warum schaffen es rechte Medien so viel besser, online zu mobilisieren, als linke Plattformen?
Blaha: Sie haben sehr früh damit angefangen und begriffen, dass soziale Medien die Möglichkeit bieten, direkt mit den Menschen in Kontakt zu treten. Während viele etablierte Medien zum Beispiel "FPÖ TV" belächelten, wurde dort Aufbauarbeit betrieben. Hinzu kommt, dass die Algorithmen "Emotionsschleudern" sind. Je mehr meine Postings auf Wut, Ärger und Aufregung abzielen, desto besser funktionieren sie.

profil: Erleben wir momentan ein Comeback der politischen Medien?
Blaha: Die sozialen Medien verstärken die Personalisierung der Medien. Es geht immer mehr um den einzelnen Journalisten, die einzelne Journalistin. Corinna Milborn, Armin Wolf: Die Medienmarke tritt bei ihnen in den Hintergrund. Die Menschen wollen eine Person, die polarisiert, an der man sich abarbeiten kann. Hand in Hand damit geht eine Sehnsucht nach Orientierung, nach Haltung. Natürlich muss die journalistische Sorgfalt trotzdem gegeben sein. Die Konsumenten sind aber fähig, einzuschätzen, durch welche Brille jemand die Welt sieht. Das sehen wir auch bei YouTube-Stars: Je authentischer, je echter, desto besser. Der Nannen-Preisträger war heuer der YouTuber Rezo. Österreich ist noch nicht so weit. Aber das ist nur noch eine Frage der Zeit.