Grün-Politiker Walser: "In der NS-Zeit wurde man sehr schnell als Berufsverbrecher gebrandmarkt."

"Bis heute ein Tabu"

Harald Walser über KZ-Häftlinge in Mauthausen.

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profil: Sie legen sich mit der "Aula" an, in der KZ-Befreite als "Massenmörder" bezeichnet werden. Das ist zwar unerträglich, aber ist die "Aula" relevant? Harald Walser: Die "Aula"ist für die völkischen Burschenschaften nach wie vor eine Art Zentralorgan und weist starken FPÖ-Bezug auf. Der Kampf um die Deutungshoheit der Vergangenheit ist schärfer geworden. Deutschnationale, Neonazis, Rechtsradikale und Identitäre melden sich wieder öfter zu Wort. Die sozialen Medien verstärken das. Ich glaube, wir haben es mit einem Backlash in diesen Fragen zu tun. Und da möchte ich Grenzen ziehen.

profil: Der "Aula"-Autor Fred Duswald rechtfertigt sich, er habe nur "die Kriminellen" gemeint. Von insgesamt 190.000 Menschen waren in Mauthausen etwa 19.000 unter dem Titel "Berufsverbrecher, Asoziale und Sicherheitsverwahrte" inhaftiert. Sehen Sie diese auch als Opfer des NS-Regimes? Walser: Die "Kriminellen" in den Konzentrationslagern sind bis heute ein Tabu. In der NS-Zeit wurde man sehr schnell als Berufsverbrecher gebrandmarkt -für Vergehen, die heute anders bewertet würden. Die NSDAP schuf mit den Konzentrationslagern ein System, das sich völlig außerhalb jeder Rechtsprechung stellte. Menschen kamen vorbeugend oder nach bereits verbüßter Haftstrafe ins KZ -durchaus auch politisch motiviert. Den Begriff "Kriminelle" im Zusammenhang mit KZ kann man nach 1945 nicht einfach weiterführen.

Auch andere Häftlingsgruppen wurden korrumpiert und haben mitgemacht im NS-Unterdrückungssystem.

profil: Welche Menschen wurden als Kriminelle etikettiert? Walser: Ich habe einmal eine ältere Frau kennengelernt, deren Glück es war, dass sie bis zur Befreiung im Gefängnis saß. In ihrem Gestapo-Akt stand: "Rückkehr unerwünscht." Hätte sie ihre Strafe schon, sagen wir, 1944 abgebüßt gehabt, wäre sie mit Sicherheit ins KZ gekommen.

profil: Viele politische Häftlinge klagten "nach 1945 über sogenannte "Funktionshäftlinge", die besonders brutal gewesen sein sollen. Sie nannten sie den "verlängerten Arm der SS". Kann man da in diesem Fall auch von Opfern des NS- Regimes sprechen? Walser: Es steht außer Zweifel, dass es solche gab, aber nicht nur bei den Kriminellen. Auch andere Häftlingsgruppen wurden korrumpiert und haben mitgemacht im NS-Unterdrückungssystem.

Die als "Berufsverbrecher" und "asozial" etikettierten KZ-Insassen wurden lange Zeit totgeschwiegen.

profil: Zuletzt wurden Wehrmachtsdeserteure als NS-Opfer anerkannt. Sollen auch "Kriminelle" rehabilitiert werden? Walser: Es gibt ganz wenige, die aufgrund einer Straftat ins Konzentrationslager kamen. Der Großteil der "Berufsverbrecher" wurde nach Absolvierung der Haftstrafe vorbeugend eingeliefert. Das ist mit einem Rechtsstaat nicht vereinbar. Diese Gruppe muss rehabilitiert werden.

profil: Sehr populär ist das nicht. Man mag keine Opfer, wenn sie nicht moralisch hochstehend sind. Walser: Die als "Berufsverbrecher" und "asozial" etikettierten KZ-Insassen wurden lange Zeit totgeschwiegen. Da schwang der heimliche Gedanke mit, sie hätten das schon irgendwie verdient. Sie passten nicht in das Bild der Helden. des Widerstands. Doch ein Rechtsstaat hat für alle zu gelten, zu jeder Zeit. Die Rehabilitierung dieser "Kriminellen" wäre ein symbolischer Akt. Ich glaube, von den in Österreich Betroffenen lebt keiner mehr, aber ihre Angehörigen hätten etwas davon.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling