#2020

Miesmanagement: Die schlechte Performance Österreichs in der Krise

Anders als die Regierung gerne behauptet, kam Österreich bisher bestürzend schlecht durch die Corona-Krise. Schuld daran sind nicht die Bürger, meint Rosemarie Schwaiger.

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Verordnungen, Verwirrung, Verbote - hätte man mit der Krise auch anders umgehen können, als wir es getan haben? Vielleicht sogar besser?

Die Pandemie hat auch ihre unterhaltsamen Seiten: "Ich glaube, ich habe das jetzt verstanden", postete der Kabarettist Klaus Oppitz Ende November auf seiner Facebookseite. "Beischlaf mit Menschen aus einem anderen Haushalt ist nur dann erlaubt, wenn er mehrmals in der Woche stattfindet oder einer dabei ein Nikolokostüm oder beruflich eine Waffe trägt. Friseurinnen oder Frisöre dürfen aber generell nicht mitmachen."


Das war nur zum kleineren Teil Satire. Im Prinzip hatte Oppitz die sogenannte "Nikoloverordnung" halbwegs präzise zusammengefasst. Einzelne wichtige Bezugspersonen dürfe man nur treffen, stand da etwa geschrieben, wenn es schon vorher mehrmals wöchentlich "physischen Kontakt" gegeben habe. Der Besuch des Nikolos war explizit gestattet, der Waffeneinkauf zu beruflichen Zwecken ebenso. Bezüglich der Friseure und anderer "körpernaher" Dienstleister herrschte Ende November dagegen ein striktes Regime. Der Verordnungstext im Wortlaut: "Das Betreten von Arbeitsorten, auch von solchen, die außerhalb von Betriebsstätten liegen und insoweit als auswärtige Arbeitsstellen gemäß § 2 Abs. 3 letzter Satz ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG), BGBl. Nr. 450/1994, gelten, zum Zweck der Erbringung körpernaher Dienstleistungen ist untersagt." Bekanntlich dürfen die Friseure in-und außerhalb ihrer Betriebsstätten mittlerweile wieder Hand anlegen. Leider weiß niemand, wie lange.

Seit Monaten sorgen die Verordnungstexte aus dem Gesundheitsministerium für Spott und Hohn. Natürlich ist das unfair. Die Ministerialbeamten leiden an kompletter Überforderung - so wie fast alle in diesem furchtbaren Jahr. Letztlich dokumentieren die kuriosen Bestimmungen (von denen einige bereits durch den Verfassungsgerichtshof entsorgt wurden) vor allem das Versagen ein paar Stufen höher in der Hierarchie: Wenn die Politik versucht, das Leben der Bürger bis ins kleinste Detail zu regeln, macht sie sich zwangsläufig lächerlich. Will der Staat seine Allmacht demonstrieren, offenbart er nur, was er alles nicht kann.


Derzeit zum Beispiel ist wohl auch den folgsamsten Untertanen schleierhaft, wie genau sie heuer Weihnachten und Silvester feiern sollen, ohne sich gemeint fühlen zu müssen, wenn Innenminister Karl Nehammer im Neuen Jahr wieder einmal ausrückt, um den allgemeinen Leichtsinn zu geißeln. Sind Feiern von Freunden aus drei Haushalten mit insgesamt zehn Teilnehmern okay? Und was ist, wenn fünf Singles mit sechs Kindern, die sonst in vier anderen Haushalten leben, zusammenkommen wollen?"Treffen Sie niemanden!", lautete eine Anweisung des Bundeskanzlers. Das wäre eine Lösung, stimmt. Aber Weihnachten allein im Wald ist für die meisten halt doch schwer zu organisieren.

Wahrscheinlich wird sowieso egal sein, wie wir uns verhalten. Reihum machen zu viele Länder schon wieder die Läden dicht; da wird Österreich nicht einfach zuschauen wollen. So sehr das Konzept der Herdenimmunität in dieser Pandemie von Anfang an diskreditiert wurde -den eigenen Herdentrieb lässt sich die Politik nicht madig machen. Keiner möchte im Alleingang durch die Krise stolpern; im Zweifel ist es vorteilhafter, mit der Mehrheit (oder wenigstens mit Deutschland) zu irren. Deshalb wird auch in Österreich, freundlich assistiert vom Zeitungsboulevard, schon über einen baldigen dritten Lockdown nachgedacht. Große Teile der Wirtschaft sind eh schon kaputt, die Grundrechte schon ziemlich lange keinen Pfifferling mehr wert. Was sollte also noch schiefgehen?


An potenziell Verantwortlichen für die Katastrophen des Jahres 2020 herrscht zumindest in Österreich kein Mangel. Der Bundeskanzler machte bereits die Jungen, die Zuwanderer und die Balkanurlauber als Schuldige namhaft. Phasenweise waren auch die politische Opposition, die Stadt Wien und "falsche Experten" in der Ziehung. Aber die Wahrheit ist: Türkis-Grün hat das Land bestürzend schlecht durch die Pandemie geführt. Die Qualität des Managements war teilweise unterirdisch, sehr viel Vertrauen wurde verspielt. Weil auch SPÖ und FPÖ aktuell nicht ihre beste Phase erleben, wirkte sich das bisher nur leicht dämpfend auf die Umfragewerte aus. Aber das kann sich schnell ändern. Von der ursprünglichen Begeisterung für die ach so tatkräftige Bundesregierung blieb jedenfalls nicht viel übrig: Laut einer aktuellen Umfrage des Linzer Market-Instituts glauben nur noch elf Prozent der Bürger, dass die Virusbekämpfung in Österreich besser laufe als in anderen EU-Ländern. Im Frühling waren noch 78 Prozent dieser Ansicht gewesen. Mehr als ein Viertel der Befragten findet, dass Österreich die Bedrohung schlechter im Griff habe als andere. Im April waren nur vier Prozent dieser Ansicht gewesen.


Wenigstens sind die Zeiten vorbei, in denen jeder öffentliche Termin eines Regierungsmitglieds mit Selbstlob begann: "Österreich ist viel besser durch die Pandemie gekommen als die meisten anderen Länder", lautete lange das Mantra. Falls das je zutraf, ist es Vergangenheit: Zuletzt hatte Österreich wochenlang - bezogen auf die Einwohnerzahl - mehr Covid-Tote zu beklagen als die USA oder Großbritannien. Bei der Zahl der täglichen Neuinfektionen ließ sich eine Zeit lang sogar der Spitzenplatz in Europa verteidigen. Auch ökonomisch sieht es übel aus: Die Virusbekämpfung wird Österreich allein in diesem und im nächsten Jahr mindestens 100 Milliarden Euro kosten (profil 48/2020). Die heimische Wirtschaft dürfte 2020 um mehr als acht Prozent schrumpfen. Das vor allem von der heimischen Politik viel geschmähte Schweden wird mit einem halb so tiefen Einbruch davonkommen -und hat, bisher ohne Lockdown, etwa gleich viele Corona-Fälle. Nur bei der Zahl der Toten liegt Schweden schlechter, allerdings schmilzt der Abstand rasant: Ende September hatten die Skandinavier noch sieben Mal so viele Covid-Opfer wie Österreich, jetzt sind es nur noch um 40 Prozent mehr. Es könnte sein, dass wir die Schweden bald einholen.

"Das Einfachste ist, das ganze Land zuzusperren", sagte Sebastian Kurz vor ein paar Wochen in einem "ZIB 2"-Interview. Er wollte damit Werbung für die damals bevorstehenden Massentests machen. Aber der Satz bleibt auch ohne diesen Kontext richtig: Der Lockdown ist, bei all seinen katastrophalen Auswirkungen, eine organisatorisch simple Übung. Anspruchsvoller wäre es, sich weniger drastische Alternativen zu überlegen. Leider fehlte dafür die Fantasie.


Niemand in der Regierung hat Erfahrung beim Management einer Pandemie, geschenkt. Der Föderalismus macht vieles kompliziert, das ist wahr. Die Wucht der zweiten Welle wurde reihum unterschätzt, und auch in einigen anderen Ländern läuft die Virusbekämpfung komplett aus dem Ruder. Aber selbst wenn man all das berücksichtigt, bleibt der dringende Verdacht, dass die Politik immer nur dann zur Hochform aufläuft, wenn sie zulasten Dritter aktiv werden kann. Die Ver-und Gebote für die Bürger sind geradezu lächerlich detailverliebt. Jüngst hielt es der Gesundheitsminister auch noch für angebracht, den Glühwein-Gassenverkauf zu untersagen. Epidemiologisch ergibt das zwar keinen Sinn, aber etwas zu verbieten, macht sich ja immer gut.

Im eigenen Einflussbereich agiert die Politik dagegen zu spät, zu schlampig, zu zögerlich oder gar nicht. Über den Sommer wurde es etwa verabsäumt, die Schulklassen pandemietauglich zu machen. Dass Kinder nun stundenlang mit Maske vor geöffneten Fenstern sitzen müssen, liegt nicht nur am bösen Virus, sondern schon auch daran, dass niemand über einen gestaffelten Unterricht, die Verlegung in andere Räumlichkeiten, den Einbau von Lüftungsanlagen oder Ähnliches nachdenken wollte.

Das Contact-Tracing brach bereits im Frühherbst zusammen, weil zu wenig Personal engagiert worden war und es bis heute keine Strategie gibt, wie die Kontaktverfolgung laufen soll. Trotz intensiver Cluster-Analysen der staat-lichen AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) blieb in zehn Monaten Pandemie letztlich unklar, wo und bei welchen Events die Infektionsgefahr für welche Personengruppen besonders groß ist. Sind Fußballspiele mit Publikum riskanter als ein Shoppingbummel? Warum darf man in einer vollen U-Bahn sitzen, nicht aber in einem halb leeren Kino? Auf welcher Studie fußt die Bestimmung, dass man am Würstelstand zwar eine Käsekrainer kaufen, sie aber nur auf der Flucht essen darf?

Über die Test-Hotline 1450 muss man wohl kein Wort mehr verlieren. Gibt es eigentlich noch Menschen, die dort anrufen, um mit etwas Pech eine Woche lang auf das Ergebnis des Corona-Tests zu warten?


So fit die Mitglieder von Türkis-Grün in der Eigenvermarktung sind, so sehr hapert es beim Mikromanagement. Erfordert ein Problem mehr als einen schmissigen Auftritt vor TV-Kameras, verlieren Kurz, Anschober und Kollegen offenbar schnell die Motivation. Die Massentests sind dafür ein gutes Beispiel: Nachdem Kurz die Idee bei einer Pressestunde im ORF präsentiert hatte, sollten sich andere um die Mühen der Ebene kümmern. Wie zu erwarten war, brach erst einmal Chaos aus. Sogar dem sonst loyalen oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer platzte der Kragen: "Vom Bund wird viel angekündigt, nichts funktioniert", maulte er. Es ist kein Wunder, dass die Zahl der Teilnehmer bescheiden blieb. Mitten im Lockdown hatten wohl zu wenige Menschen den Verdacht, sich irgendwo angesteckt zu haben. Die gewerbsmäßig rüde Behandlung durch die Politik tat ein Übriges: Wer Menschen komplett entmündigt, darf hinterher nicht auf ihre Kooperation setzen. Dass jetzt ernsthaft über Geld oder Schnitzelgutscheine als Belohnung fürs Testen nachgedacht wird, ist ein Armutszeugnis. Man kann die Leute auch überzeugen, man muss sie nicht bestechen.

Um nur ja keine Gelegenheit zur Blamage auszulassen, beschloss Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck jüngst, dem coronageplagten österreichischen Handel auf die Sprünge zu helfen. Gemeinsam mit der Wirtschaftskammer wollte sie ein garantiert österreichisches Online-Shoppingangebot, das sogenannte "Kaufhaus Österreich", aufstellen. Ist ja in der Tat ein Jammer, dass so viele Leute bei ausländischen Internet-Giganten einkaufen. "Wir bieten unseren heimischen Händlerinnen und Händlern erstmals eine Bühne, um sich und ihre Online-Shops zu präsentieren", erklärte Schramböck. Überraschung: Das in kürzester Zeit zusammengeschusterte Plattförmchen wird den US-Giganten Amazon eher nicht ruinieren. Hoffentlich hat Jeff Bezos in Seattle wichtigere Dinge zu tun, als sich mit den Programmierleistungen des hiesigen Kammerstaates zu beschäftigen.


Leider gibt es einen Bereich, in dem politische Versäumnisse nicht bloß peinlich oder lästig sein können, sondern tödlich. Seit März ist bekannt, dass Corona in den Alters-und Pflegeheimen den größten Schaden anrichtet. Europaweit stammte rund die Hälfte der Covid-Toten während der ersten Welle aus solchen Heimen. In Österreich lag der Anteil im Frühling nur bei etwa einem Drittel -was alle Verantwortlichen offenbar zu der Annahme verleitete, die Situation sei eh ziemlich perfekt. Im Moment gebe es "einen guten Schutz der Alten", erklärte Rudolf Anschober im August zufrieden. "Jetzt haben wir Zeit, um uns auf den Herbst vorzubereiten." Leider ging das gründlich schief: Mitte Dezember waren fast 4000 Bewohner von Pflegeheimen infiziert und rund 1900 bereits gestorben. An manchen Tagen entfielen mehr als 60 Prozent der Todesfälle auf Heimbewohner. Die aktuell hohen Covid-Sterbezahlen in Österreich gehen ganz wesentlich auf dieses Umfeld zurück. Und das Schlimmste ist: Es hätte nicht sein müssen.

Ein Pilotprojekt in acht Wiener Caritas-Heimen zeigt, dass sich die Ausbreitung am besten verhindern lässt, wenn die Mitarbeiter zwei Mal pro Woche getestet werden. Genau das, nämlich verpflichtende Screenings, hat die Regierung auch beschlossen - allerdings erst am 15. Dezember. Davor war es vielen Heimen schlicht unmöglich, für Sicherheit zu sorgen. Bis tief in den November beklagten Heimleiter das Fehlen von Testmöglichkeiten für ihr Personal. "Ganz ehrlich, die zweite Welle haben wir vergeigt", meinte etwa Robert Kaufmann, Leiter der ARGE Tiroler Alten-und Pflegeheime (profil 47/2020). Auf die Idee, älteren Menschen wenigstens ein paar FFP-2-Masken zu schenken, kam Türkis-Grün erst in der letzten Parlamentssitzung vor Weihnachten. Auch die Opposition stimmte geschlossen dafür. Die SPÖ-Abgeordnete Verena Nussbaum fragte allerdings sehr zu Recht, "warum man für diese sinnvolle Maßnahme neun Monate gebraucht" habe.


In der Nachbetrachtung des Katastrophenjahres 2020 wird es eines Tages vielleicht als größter Fehler gewertet werden, dass die Politik - nicht bloß in Österreich - dem Schutz der Risikogruppen so wenig Aufmerksamkeit schenkte. Stets ging es darum, möglichst alle Bürger gleichermaßen in die Pflicht zu nehmen. Allerdings macht das Virus sehr wohl Unterschiede; es tötet vor allem die Alten, Gebrechlichen. Auch dafür sind die Pflegeheime ein Beweis: Von den seit März insgesamt 12.000 infizierten Bewohnern starb bis Mitte Dezember fast jeder sechste. Von etwas mehr als 7300 infizierten Mitarbeitern starb noch kein einziger.

Wenigstens bei der bevorstehenden Impfung sollen die Senioren Vorrang genießen. Eine erste Lieferung sei vielleicht noch in diesem Jahr zu erwarten, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Dann werde man "wie geplant in den Alters-und Pflegeheimen starten".

Zu hoffen bleibt jetzt nur, dass die Pharmaindustrie in den vergangenen Monaten bessere Arbeit geleistet hat als die Politik.

Rosemarie Schwaiger