Corona: Was hilft gegen die Maßnahmen-Müdigkeit?

Massentests, Corona-App, Impfbereitschaft - immer mehr Menschen verweigern die Maßnahmen der Regierung. Was hilft gegen die Pandemie-Müdigkeit: Härte oder Anreize?

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Politiker legen sich die Messlatte gerne so niedrig, dass sie sie problemlos überspringen können. Bundeskanzler Sebastian Kurz ist da keine Ausnahme: Wenn ein Drittel der Bevölkerung an den Corona-Massentests teilnehmen würde, wäre das eine "ordentliche Beteiligung", meinte der Kanzler kürzlich. Kurz hätte sich freilich auch an Südtirol orientieren können, wo sich 80 Prozent der Bewohner ein Stäbchen in die Nase stecken ließen. Doch das ist illusorisch-derzeit ist nicht einmal sicher, ob das Drittel-Ziel erreicht wird.

Der Flop war absehbar: "Die Ernsthaftigkeit bei der Bevölkerung schwindet", warnten die Mitglieder der Corona-Taskforce des Gesundheitsministeriums bereits bei einer Sitzung Anfang Oktober. Fünf Wochen später traf sich der Beraterstab erneut via Videokonferenz. Der eindringliche Appell: Die Regierung müsse versuchen, "die Bevölkerung wieder auf ihre Seite zu ziehen".

Die Experten orteten eine "Spaltung in der Bevölkerung": "Viele kennen jemanden, der an Covid-19 erkrankt war, dem aber nichts passiert ist." Das tatsächlich Erlebte passe mit der fiktiven Bedrohung nicht zusammen. Die Experten der Taskforce sollten recht behalten: Tatsächlich versagen immer mehr Menschen der Regierung die Gefolgschaft-nicht nur bei den Tests. Auch die "Stopp Corona"-App blieb hinter den Erwartungen . Und die Impfbereitschaft ist laut einer aktuellen Umfrage dramatisch niedrig. Kann die Regierung dem stummen Protest gegen die Corona-Maßnahmen etwas entgegensetzen?

Der Massentest stellt die Bevölkerung vor ein soziales Dilemma: "Der Test bringt vor allem etwas für die Allgemeinheit. Individuell habe ich aber kaum einen Anreiz, hinzugehen", sagt Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS). Kochers Spezialgebiet ist Verhaltensökonomie, er beschäftigt sich-nicht erst seit Corona-mit der Frage, wie Menschen zu erwünschten Handlungen motiviert werden können. Auch dann, wenn sie ihnen kurzfristig keinen Vorteil bringen. Nudging, also Anstupsen, nennen Fachleute diese Strategie, die auf Anreize statt auf Zwang setzt. So einen Stups würden einige Menschen offenbar benötigen, um sich testen zu lassen. Denn Testwillige erfahren zwar einen Iststand, im Worst Case droht ihnen allerdings eine zehntägige Quarantäne. Das Argument, dass die überforderten Contact-Tracer die Massentests dringend brauchen, um wieder zu wissen, wo die Infizierten wohnen, lockt kaum jemanden zu den Teststationen-obwohl es richtig ist. "In solchen Fällen ist es wichtig, Kooperationsbereitschaft zu erzeugen. Das kann ich aber nur erreichen, wenn mir die Leute vertrauen", meint Kocher.

Das Problem: In der Bevölkerung macht sich Verunsicherung breit, wie eine Befragung der Meinungsforscherin und Ex-Ministerin Sophie Karmasin zeigt: Im letzten halben Jahr steigerte sich der Wert derer, die eine "geringe optimistische Einstellung" haben, von 39 auf 47 Prozent. Karmasin erklärt sich das so: "Bis zum Sommer war die Mehrheitsmeinung: Die Bundesregierung hat das im Griff, sie hat die Zahlen runtergebracht. Ab Sommer hat es zunehmend geknirscht - von der Ampelkommission bis zum Konflikt Wien versus Bund. Da stand Parteipolitik im Vordergrund und nicht das Thema selbst. Das bringt die Verunsicherung."

Werden die Massen folgen, wenn die Regierung Anfang Jänner zum zweiten Massentest aufruft? IHS-Chef Kocher sieht im Wesentlichen drei Kriterien dafür: eine stringente Kommunikation im Vorfeld. Eine niederschwellige Teilnahmemöglichkeit ohne technische Probleme bei der Anmeldung. Und drittens: "Mit trivialen ökonomischen Anreizen kann man mehr Teilnahmebereitschaft erreichen. Gutscheine wirken da meistens ganz gut. Man könnte das zum Beispiel mit dem Gastro-Gutschein koppeln."Eine Karotte vor der Nase für einen Nasenabstrich also. Im Vergleich zu einem weiteren harten Lockdown käme ein solches Anreizsystem deutlich günstiger.

Strafen, etwa in Form von Ausgangsbeschränkungen für Testverweigerer, bewertet der Verhaltensökonom dagegen als kontraproduktiv: "Zwang funktioniert vielleicht ein Mal. Wenn man es öfter machen will, kann ein negativer Reflex entstehen."

Nudging muss nicht immer bedeuten, dass die Regierung mit Euro-Scheinen winkt. Im Sommer startete die Stadt Wien ein Ampelsystem für die Schwimmbäder, das Gästen online anzeigte, ob noch Platz ist. So etwas hätte sich Kocher auch für die Einkaufstage vor Weihnachten gewünscht: "Mit einer Ampel für Einkaufscenter hätten wir große Menschenansammlungen besser vermeiden können. Bei der digitalen Entwicklung sind wir leider nicht schnell genug."

Nach dem Stäbchen in der Nase muss die Regierung schon bald das nächste unangenehme Gefühl promoten: einen Pieks im Oberarm. Glaubt man aktuellen Umfragen, ist die Impfmotivation noch ausbaufähig. Das Institut Karmasin Research &Identity fand heraus, dass insbesondere unter Nichtwählern und FPÖ-Sympathisanten eine starke Impfskepsis grassiert-die "ZIB 2" berichtete bereits über diese Zahlen. Das ist kaum verwunderlich, inszenierte sich FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl doch zuletzt als Frontfigur der Impfgegner: "Wie komme ich denn dazu, mir irgendetwas injizieren zu lassen, was hinten und vorne nicht ausgereift ist und wo kein Mensch weiß, was da die Nebenwirkungen sein werden",sagte Kickl in einem Fernsehinterview.

Außer dem Auftreten von "klassischen" Nebenwirkungen ist vom Biontech-Präparat bisher freilich nichts bekannt. Wohl aber von der Wirkung der Kickl'schen Kampagnen.

profil liegen weitere Details der Karmasin-Befragung vor: Je älter die Befragten, desto größer die Impfbereitschaft. Die größte Unlust herrscht unter 30- bis 39-Jährigen. Menschen mit formal höherer Bildung und Wiener stehen der Impfung tendenziell aufgeschlossener gegenüber. Die meisten Gegner der Injektion leben in Oberösterreich: Ganze 26 Prozent sagen dort, sie werden sich "sicher nicht impfen lassen" - das sind fünf Prozentpunkte mehr als im Österreichschnitt. Bundesweit sind sich derzeit nur 14 Prozent "ganz sicher", dass sie sich impfen lassen werden. Weitere 36 Prozent werden das "wahrscheinlich" tun, wollen aber keinesfalls "als Erster" drankommen.

Fundamentale Impfgegner, sie machen ein Fünftel der Bevölkerung aus, sind wohl nicht zu überzeugen. Um eine Gruppe muss sich die Regierung dagegen besonders bemühen: Das sind jene Menschen, die sagen: "Ich werde mich eher nicht impfen lassen, ich warte mal ab." Diese 29 Prozent könnten mit einer positiven Kampagne angesprochen werden, glaubt Ex-Politikerin Karmasin: "In der Politik gibt es meistens nur zwei Ansätze: Wir zahlen die Leute oder wir strafen sie. Aber es wird zu wenig Energie in die Überzeugung investiert."

Im Gegensatz zum Test bietet die Impfung jedenfalls einen individuellen Vorteil: Immunität gegen Corona. Wenn sich das herumgesprochen hat, kann sich die Regierung die Messlatte sorglos höher legen als bei den Massentests.

 

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.