Zwei Personen konsumieren Drogen auf der Toilette.
Österreich

Die Realität wegschnupfen: Diese Droge erobert Wien und besorgt Experten

In der Wiener Club- und Partyszene boomt die Partydroge Ketamin. Das bestätigt auch die Polizei. Doch was macht das ursprüngliche Medikament so beliebt – und wie gefährlich ist es? profil sprach mit Konsument:innen.

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Wie kommt man auf die Idee, ein Narkosemittel zu konsumieren, das derzeit als Partydroge glorifiziert wird? Die 23-jährige Wiener Studentin Vanessa* wurde durch Songtexte angefixt: Letzten Sommer hat sie zum ersten Mal in ihrem Leben Ketamin genommen. Jene Droge, die laut Ermittler:innen in Wien boomt. 

Darauf aufmerksam wurde Vanessa durch Memes, TikTok-Videos und die Musik: „In so ziemlich jedem Vocal von Techno-Liedern wird Ketamin – wenn auch nur indirekt  – thematisiert. Auch Musiker wie der Deutschrapper Ski Aggu rappen darüber“, erzählt sie profil. In ihrem Freundeskreis etablierte sich die Droge im Vorjahr. Seitdem konsumiert sie etwa zweimal im Monat Ketamin. Vanessa nimmt es jedoch nicht als Partydroge, sondern fast ausschließlich zuhause. „Ketamin ist ein richtiges Ritual, es bedeutet für mich Zeit daheim“, sagt sie. Je nach Dosierung ist die Wirkung von Ketamin unterschiedlich. Bei einer geringen Menge spürt man insbesondere den Kontrollverlust, sowie die Einschränkung der Feinmotorik, je mehr und je erfahrener man mit dem Konsum ist, desto psychedelischer ist die Wirkung – wie auch bei Vanessa.

In der Popkultur finden sich zig Anspielungen auf die Trend-Droge. Der Deutschrapper Yakari widmete dem Pulver gar den gleichnamigen Song „Ketamin“. Darin rappt er: „Shawty zeigt kein Gesicht, sie ist durch das Ketamin am fliegen“. Auf der Musikplattform Spotify zählt die Nummer ganze 31 Millionen Aufrufe. 

Große mediale Aufmerksamkeit erlangte die Droge zuletzt im Oktober 2023, als bekannt wurde, dass der ehemalige FRIENDS-Schauspieler Matthew Perry nach einer Überdosis Ketamin im Whirlpool in seinem Haus ertrank. Perry hat zuvor bereits Jahrzehnte mit seiner Drogen- und Alkoholsucht gekämpft. Das Ketamin soll er gegen seine Depression verschrieben bekommen haben und es überdosiert. 

Ursprünglich Narkose- und Schmerzmittel aus der Tier- und Humanmedizin, wird  Ketamin in den vergangenen Jahren auch gegen schwere Depressionen und Angstzustände eingesetzt. Aufgrund seiner halluzinogener Nebenwirkung gilt Ketamin seit einigen Jahren als ‚coole Partydroge‘. Es wird als Pulver nasal geschnupft, in seltenen Fällen jedoch auch gespritzt. Ein Gramm kostet am Schwarzmarkt etwa 40 Euro. Auch die Behörden wissen um den Hype und sind alarmiert. Bei jungen Konsumentinnen und Konsumenten hingegen hat die Aufklärungsarbeit der Polizei einen schweren Stand. Sie zelebrieren die Droge richtiggehend.

Niederschwelliger als LSD

Die Einnahme der Droge bezeichnet die Studentin Vanessa als Meditation. Anders ist es für Alex*. Der 30-Jährige Wiener Musiker konsumiert seit über zehn Jahren regelmäßig Ketamin. Näher gebracht hat es ihm auch die Techno-Szene. „Anfangs hielt ich es für eine dumme Droge, da die einzige Wirkung, die ich zu Beginn verspürte, dieser Kontrollverlust war“, schildert der 30-Jährige profil. Mittlerweile zieht der Musiker durchschnittlich fünf Gramm –  also 60 Lines - in der Woche durch seine Nase. Alex hat offensichtlich Erfahrung mit verbotenen Substanzen. Dass sein Konsumverhalten extrem gefährlich und problematisch ist, ist ihm bewusst. 

Die von ihm gewünschte Wirkung kam erst nach mehreren Versuchen und einer richtig angepassten Dosierung. „Man kann den Effekt dann mit dem von Shrooms oder LSD vergleichen, nur dass Ketamin viel niederschwelliger und kurzfristiger wirkt“, meint der 30-Jährige. Mit Shrooms sind Mushrooms, also halluzinogene Pilze gemeint.

„Reise in sich selbst“ und Partydroge

Auf Partys mischt Alex Ketamin auch mit Bier oder MDMA – dann passt er die Menge allerdings an. Ähnlich wie Alex‘ Konsumverhalten schaut auch das von Mirella* aus. Die 29-Jährige Wienerin konsumiert seitdem sie 17 Jahre alt ist, regelmäßig chemische Drogen zum Fortgehen. Seit zwei Jahren ist auch Ketamin fixer Bestandteil ihres Repertoires. Dazu gekommen ist sie durch ihren Freund, den sie als besonders „Ketamin-affin“ bezeichnet. Mirellas erste Erfahrung mit Ketamin war schlecht: „Weil die Line zu groß war, war mir übel. Es war zu betäubend, ich habe mich dissoziiert gefühlt, war nicht mehr gesprächsbereit“, erzählt sie profil. Genauso wie Alex hat auch sie gelernt, ihre Ketamin-Dosis anzupassen. Wenn sie feiern geht, zieht sie weniger Lines Ketamin, dafür kommt dann Kokain dazu – „Ich brauche den Energiekick, weil ich sonst zu inaktiv werde“, erzählt sie profil. An manchen Tagen möchte Mirella ähnlich wie Vanessa „eine Reise in sich selbst“ antreten und die Droge zum Meditieren einsetzen und nimmt dann mehr und nur ausschließlich Ketamin. Diese „Reise in sich selbst“ wird in der Szene auch „K-Hole“, also „K(etamin)-Loch“ genannt und meint, dass man für zirka 30 Minuten den Bezug zur Realität verliert.

Die Droge ist in Wien mittlerweile voll und ganz angekommen. Das hat auch das Bundeskriminalamt bemerkt: „Speziell seit letztem Jahr wird Ketamin besonders beobachtet. Europäische und österreichische Aufgriffe dieser Substanz haben sehr stark zugenommen. Es wurden auch entsprechende Ermittlungsverfahren eingeleitet“, heißt es in einer Stellungnahme von Daniel Lichtenegger, dem Leiter Zentralstelle zur Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität.

Mischkonsum kann tödlich enden

Besonders gewarnt wird von Expert:innen seitens des Bundeskriminalamts, sowie von Suchtforscher:innen vor Mischkonsum und der falschen Dosierung. Nimmt man etwa zu viel Ketamin und mischt es mit anderen Substanzen wie Alkohol oder anderen Drogen, kann dies im schlimmsten Fall tödlich enden. Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz, Suchtforschung und Suchttherapie an der Medizinischen Universität Wien warnt vor allem vor Blutdruck- und Herzfrequenz-Störungen. Auch das Suchtpotenzial sei groß. „Man muss sich bewusst sein, dass die Wirkung psycho-aktivierend ist, und es deshalb mit Vorsicht konsumieren“, so Fischer. Wenn man schon Ketamin konsumieren möchte, sollte man dies nicht alleine tun und mit der Dosierung aufpassen – lieber etwas weniger nehmen als zu viel.

Katharina Sturm ist Beraterin bei Check It! – der kostenlosen Beratungs- und Analysestelle der Suchthilfe Wien. Zu ihr kommen Personen, die ihre Drogen testen und sich von ihr beraten lassen wollen. Auch die 23-jährige Vanessa. Als sie auf einer Party mitbekam, wie eine Frau nach dem Ketamin-Konsum kollabierte, suchte sie die Beratungsstelle für ein Beratungsgespräch auf. Das Service von Check It! nimmt die Studentin seitdem regelmäßig in Anspruch: Sie bringt Proben ihrer Drogen und lässt diese von den Expert:innen analysieren. 

Ketamin macht etwa fünf bis acht Prozent der Drogen aus, die vom Check It!-Team analysiert werden. Am häufigsten getestet werden laut Sturm Kokain, MDMA, Ecstasy und Speed.

Mit Alkohol aufzuhören realistischer als kein Keta mehr zu ziehen

Mit Ketamin aufhören wollen weder Vanessa noch Mirella. Sie würden über ihr Drogenverhalten regelmäßig nachdenken. „Ich würde eher keinen Alkohol mehr trinken als aufzuhören, chemische Drogen zu nehmen. Wenn man Drogen kritisch betrachtet, sollte man Alkohol genauso kritisch betrachten. Mich stört hierzulande vor allem die Alkoholkultur, nicht die Drogenkultur“, so Mirella, die bereits mit 17 Jahren zum ersten Mal Ketamin zog. Immerhin räumt sie selbstkritisch ein, dass sie möglicherweise zu jung mit den chemischen Drogen angefangen hat.

Alex denkt immer häufiger daran, ganz aufzuhören. Vor allem in den Wintermonaten hat er besonders viel Ketamin gezogen. Meistens dann jedoch alleine daheim, um sich von seinem Alltag abzulenken. Gekostet hat ihn sein Ketaminkonsum bisher schon seinen Führerschein. Nach einer Polizeikontrolle musste der 30-Jährige einen Drogentest machen. Der Ketamin-Marker schlug an.

 

*die Namen der Protagonist:innen wurden von der Redaktion geändert

Natalia Anders

Natalia Anders

ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.