profil-Morgenpost

Die Sonne hat einen Sonnenstich

Unsere kugelrunde Erde ist in Unwucht. Entwarnung: Die Welt steht auf jeden Fall noch lang.

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Thema heute: das Thema Nummer eins. Weltuntergang. Wie sieht dieser aus? Hmm, schwer zu sagen, weil kaum jemand Erfahrung damit hat, oder fast keine, denn zumindest Anflüge davon schwirren seit geraumer Zeit umher. Wo genau? Das schweizerische Nachrichtenmagazin "Die Weltwoche" hat sich jüngst ein Herz gefasst und von den letzten Tagen berichtet. "Täglich grüßt der Weltuntergang", stellte das Blatt fest: Nach Seuche, Atomkrieg, Klimakrise, Strommangel drohe eine Abfallkrise biblischen Ausmaßes. Dass angesichts dieser uneingeschränkten Bedrohungslage – Müllkrise folgt auf Nuklearschlag! – noch nichts Gravierendes in puncto Schluss mit Welt passiert ist, fühlt sich schon jetzt wie ein kleiner Sieg an.

Und was wollten uns die Kolleginnen und Kollegen von der "Kleinen Zeitung" in Graz sagen, als sie kürzlich in Anbetracht des stetig vorrückenden Welt-Waterloos frohgemut hochriskantes Metaphern-Gelände durchstiegen? „Bevor sich die Geschwister einigen können, was sie tun sollen, wird klar, der Weltuntergang klebt ihnen wie Kaugummi am Schuh“, informierten die Grazer über die Geschehnisse in der dritten Staffel der Netflix-Serie "The Umbrella Academy".

Wohl wahr: Umzingelt von Dunkelheit und Schrecken ist der Mensch, täglich grüßen Krieg und Pandemie, Klimawandel, Gas-Bremse und Urlaubschaos an Flughäfen und Bahnhöfen kleben wie Kaugummi an uns.

Vielleicht wusste es der Dramatiker Jura Soyfer bereits 1936 besser, auch nicht gerade eine Epoche reinster Freude. Soyfer wurde im russischen Charkow geboren, das heute Charkiw in der Ukraine ist, die zweitgrößte Stadt des Landes, deren Umland nach wie vor von russischen Bomben zerstört wird – im Februar 1939 starb Soyfer im Konzentrationslager Buchenwald.

Soyfer also hat vor knapp 90 Jahren die Stimmung seiner Zeit in ein Stück mit unerhört paradoxem Titel gegossen: "Der Weltuntergang oder Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang". In dem Spiel treten unter anderem Sonne, Mond, Saturn, Mars und Venus auf, sozusagen erste Besetzungsgarde. "Die Sonne hat einen Sonnenstich", mäkelt Saturn. Die Sonne wiederum konstatiert: "Das Benehmen der Erde ist seit kurzer Zeit, also seit etwa 10.000 Erdenjahren, sehr merkwürdig. Auch ihr Gesicht hat sich sonderbar verändert.“

Irgendwann stellt der Gelehrte Professor Guck im Stück fest: "Der Weltuntergang kommt!" Ein österreichischer Beamter beruhigt sogleich, mit viel Vernunft in der Stimme: "Nur zwischen neun und zwei Uhr. Jetzt is ka Parteienverkehr." Und wenn es denn unbedingt sein muss: "Der Weltuntergang wird sich als Gentleman zu benehmen wissen", lässt Soyfer im Stück einen Diplomaten äußern.

Begehen Sie diesen Donnerstag mit kleinen, tänzerischen Schritten in Gegenrichtung zum Weltuntergang!

Wolfgang Paterno

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.