Hans Peter Doskozil ist der neue Parteichef der SPÖ
SPÖ-Konflikt

Neuer SPÖ-Chef Doskozil: Der Coup des unterschätzten Burgenländers

Ein selbstbewusstes Ego gepaart mit strategischem Geschick: Wie Hans Peter Doskozil den Sturz von Pamela Rendi-Wagner akribisch durchzog und sich an die Parteispitze hievte.

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Am Montag wurde bekannt, dass beim Auszählen der Stimmen am Parteitag die Namen vertauscht wurden. Nicht Hans Peter Doskozil hat die Wahl gewonnen, sondern Andreas Babler. Zur Nachvollziehbarkeit der Ereignisse bleiben die Artikel in der ursprünglichen Version auf profil.at.

„Vielleicht ist es nicht die schönste Zeit, aber es ist die unsere.“ Mit diesem Zitat des französischen Philosophen Jean Paul Sartre schloss Hans Peter Doskozil seine letzte Rede im Rennen um den roten Parteivorsitz. Am Samstag um 15.30 Uhr war der burgenländische Landeshauptmann dann am Ziel. 53,02 Prozent der Delegierten in Linz stimmten für ihn – er ist damit der neue Parteichef der SPÖ. Für die Sozialdemokratie bricht seine Zeit an.

Für den streitbaren Burgenländer ist damit ein langer und hürdenreicher Weg an die Spitze beendet. Ein Weg, auf dem es zwischendurch nicht immer nach einem Erfolg für den Landeshauptmann ausgesehen hatte.

Noch gegen Ende der Mitgliederbefragung hatten viele Genossen auf Pamela Rendi-Wagner getippt. Nicht wegen der 9000 meist jüngeren Mitglieder, die extra für die Abstimmung über den SPÖ-Vorsitz in die Partei eingetreten waren – sie tendierten klar zum linken Hoffnungsträger Andreas Babler –, sondern wegen des Kadergehorsams der restlichen Parteimitglieder, die durchschnittlich 63 Jahre alt sind. Immerhin hatten sich alle ehemaligen noch lebenden SPÖ-Bundeskanzler (mit Ausnahme von Christian Kern), der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, sein Vorgänger Michael Häupl sowie die Vorsitzenden der roten Frauen und Gewerkschaft hinter der gewählten Parteichefin geschart. Jene Parteimitglieder, die an Rendi-Wagner zweifelten, schätzten vielleicht den Verrat, aber nicht den Verräter – und schon gar nicht den Stil, mit dem Hans Peter Doskozil die erste Frau an der Parteispitze über Jahre drangsalierte, so die Annahme jener, die sie vorn sahen. Ein Irrtum.

Doch warum schaffte es die SPÖ-Zentrale mit ihren Strategen und Social-Media-Kanälen nicht, Rendi-Wagner im Amt und ihren Widersacher Doskozil in Schach zu halten? Rendi-Wagners Bundesgeschäftsführer und Kampagnenleiter, Christian Deutsch, hatte bei früheren Wachablösen an der SPÖ-Spitze aktiv mitgemischt und stets auf die Gewinner gesetzt. Diesmal hatte er sich verkalkuliert – und trat kurz nach Rendi-Wagner zurück.

Damit blieb noch Konkurrent Andreas Babler – der die Linken entflammt und Teile der Wiener SPÖ an seiner Seite hatte. Doch die Zweifel, ob man mit Feuerkopf Babler Wahlen gewinnen könne, überwogen – und wurden im Finale vor dem Parteitag immer stärker, speziell nach dem Anti-EU-Video.

Coup gegen Arroganz

Der von langer Hand vorbereitete Coup Doskozils, Rendi-Wagner vom Thron zu stoßen, ist ihm gelungen. Drei Eigenschaften des Burgenländers waren dafür entscheidend: sein großes Ego, seine Sozialisierung in der traditionell rechteren SPÖ Burgenland und sein strategisches Geschick. Was ihm noch in die Hände spielte: ein Schuss Arroganz im Wiener Machtzentrum der Hauptstadt.

Das Szenario eines Burgenländers, der in der Löwelstraße hinter dem Burgtheater die Partei führt, ohne den Segen des Wiener Bürgermeisters im Rathaus gegenüber, schien einigen Genossen zu abwegig, um real werden zu können. Das Burgenland hat mit knapp 300.000 Menschen weniger Einwohner als die Bezirke Floridsdorf und Donaustadt jenseits der Donau, erwähnten Wiener Genossen in Hintergrundgesprächen gerne. Rendi-Wagner rechtzeitig durch eine Person zu ersetzen, die den Burgenländer eher in Schach halten könnte, darauf verzichteten die Wiener Machtzirkel. Es musste reichen, wenn sich Partei-Granden wie Bürgermeister Ludwig hinter Rendi-Wagner stellten. Im parteiinternen Wahlkampf für sie zu laufen, hielten die Wiener Strategen nicht für nötig. Nicht einmal sie selbst lief.

Einen Schuss Arroganz hatte Doskozil auch wegen seiner beruflichen Herkunft abbekommen. „Wir hatten noch nie einen Polizisten als Parteichef – noch dazu einen, der so denkt und spricht“, putzte ihn der frühere Finanzminister Ferdinand Lacina zusammen, als dieser wieder einmal gegen Rendi-Wagner stichelte.

Ehrgeiz als Antrieb

Doch schon als Landespolizist reichte der berufliche Ehrgeiz Doskozils über die Grenzen seines Bundeslandes und Berufsstandes hinaus. Er studierte berufsbegleitend Jus und wurde Referent für Fremdenrecht im Wiener Innenministerium. Nach seiner Rückkehr nutzte er seinen Job im Büro des früheren Landeshauptmannes Hans Niessl als Sprungbrett an die Spitze der Landespolizei. Nach mehreren gelungenen TV-Auftritten in Uniform am Höhepunkt der Flüchtlingswelle musste ihn der damalige SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann nicht lange bitten, als Verteidigungsminister wieder nach Wien zu wechseln.

Die nächste Rückkehr ins Burgenland war unfreiwillig. Bei der Nationalratswahl 2017 flog die SPÖ aus der Regierung. Doskozil wurde Landesrat und bereitete sich auf die Hofübergabe durch Landeshauptmann Hans Niessl vor, die 2020 erfolgen sollte.

Dass sich Doskozil vom Burgenland aus mit rechteren Positionen gegen die Parteispitze stellte, musste noch nichts bedeuten. Das konnte man auch von Niessl haben. Doskozil brach allerdings das ungeschriebene Gesetz in der SPÖ, die Nummer eins nicht anzugreifen, viel ungenierter als sein Vorgänger als Landeshauptmann – und das schon vor Rendi-Wagner.

Als Verteidigungsminister forderte Doskozil im September 2017, zur Grenzkontrolle Panzer an den Brenner zu schicken. Der rote Bundeskanzler Christian Kern, der Werner Faymann nachgefolgt war, stoppte die Pläne seines Ministers nach einer Empörungswelle. Dessen Querschüsse nicht.

Nur einen Monat vor der Nationalratswahl 2017 trat Doskozil mit dem Hauptkonkurrenten Kerns, ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz, im Doppelinterview auf und beklagte – über weite Strecken einmütig – die zu lasche Flüchtlingspolitik der EU. Ein schweres Foul an Kern.

Nach dem Ende der SPÖ-ÖVP-Koalition 2017 kehrte Doskozil als Landesrat heim und richtete Kern aus dem Burgenland aus, wie Sozialdemokratie geht – oder eben nicht. Er lästerte öffentlich über die „grün-linke Fundi-politik“ des roten Oppositionschefs. Es spricht für Doskozils strategisches Geschick, dass er es am Ende dennoch schaffte, Kern vor der Mitgliederbefragung in sein Team zu ziehen.

Der rechte Rote

Sein Narrativ des rechteren Sozialdemokraten mit einem Riecher für die Sorgen der Menschen im Nachgang der Flüchtlingswelle baute Doskozil ganz bewusst auf. Partei-Linke provozierte er teils maximal. So lehnte der Burgenländer im September 2020 die Aufnahme von Flüchtlingskindern aus dem abgebrannten Elendslager im griechischen Moria ab, obwohl Wiens Bürgermeister Michael Ludwig die türkis-grüne Bundesregierung zur Aufnahme drängte. Auch Babler meinte damals: „Wir haben Platz. Wir wollen und wir können helfen. Wenn ihr als Regierung schon nichts tut, dann lasst es wenigstens uns tun.“ Die ewige Personalreserve der SPÖ, Medienmanager Gerhard Zeiler, sprach Doskozil wegen seiner Haltung zu Moria sogar die Eigenschaft als Sozialdemokrat ab. Doskozil wiederum wähnte sich auf der Seite der „Bevölkerung“ und etikettierte Kritiker wie Zeiler als Teil einer „elitären Partei-Blase“.

Mit seinem Kampf gegen eine vermeintliche „Elite“ bediene er sich rechtspopulistischer Methoden, werfen ihm kritische Genossen vor. Dabei zähle Doskozil als Landeshauptmann und früheres Mitglied im Parteivorstand selbst zur „Elite“ des Landes und der SPÖ. Um auf die Kritiker zuzukommen, stellte er heute bei seiner Siegesrede klar: Sollte die SPÖ unter ihm bei der nächsten Nationalratswahl den ersten Platz erreichen, werde er weder mit der FPÖ, noch mit der ÖVP regieren. Wobei der Burgenländer die Freiheitlichen als Koalitionspartner kategorisch ausschließt. Eine Zusammenarbeit mit der Volkspartei dürfte vorstellbar sein - wenn sich keine Ampel-Mehrheit findet.

"FREINDSCHAFT"

Doskozil scheute am Ende nicht einmal mehr den offenen Konflikt mit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, der nun Andreas Babler den Boden bereitet.

Doskozil scheute am Ende nicht einmal mehr den offenen Konflikt mit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Am Parteitag sorgte das dafür, dass die Wiener Ränge bei der Rede des Burgenländers zu größten Teilen still blieben. Doch der Burgenländer blinkte nicht nur auffällig rechts, sondern auch links und sicherte sich damit einen medialen Dauerfokus. Als Landeshauptmann machte er das Burgenland zu einer Art sozialdemokratischen Testlabor für den Rest des Landes. Mindestlohn von 2000 Euro netto im Landesdienst, Anstellung pflegender Angehöriger, Traumgehälter, um Jungärzte anzulocken, Erwerb von Sozialwohnungen. Damit erweiterte er seinen Sympathisantenkreis unter Gewerkschaftern oder Basis-Funktionären, die bisher wenig mit ihm anfangen konnten. Daher sollen selbst manche Wiener Delegierte, die nach Doskozils Rede keinen Applaus spendeten, dem Burgenländer danach ihre Stimme gegeben haben.

Um all diese Maßnahmen über das Burgenland hinaus zu propagieren, scharte er zudem Kommunikatoren aus dem ehemaligen Stab von Werner Faymann und Christian Kern um sich. Anführer der Truppe wurde der frühere Bundesgeschäftsführer Kerns, Max Lercher. Der Obersteirer, der sich als „Partei-Rebell“ gegen das Wiener Machtzentrum einen Namen gemacht hatte, graste über Monate und Jahre Bürgermeister und Ortsfunktionäre quer durch Österreich ab und sammelte sie in WhatsApp-Gruppen, um sie vor dem Tag X auf Doskozil einzuschwören.

Landesparteien wurden zur wichtigsten Bastion Doskozils. Schon am Tag nach seinem Sieg bei der Mitgliederbefragung stellten sich fünf Landesparteien demonstrativ hinter ihn. Beim Parteitag entschieden ihre Stimmen, Doskozil konnte auch Babler besiegen. Die Ambitionen Bablers und das Feuer, das dieser bei linken Idealisten entfachte, hatte Doskozil zwar lange übersehen. Doch es bremste ihn nur kurz – konnte ihn aber nicht am Weg zur Parteispitze stoppen.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Hat ein Faible für visuelle Kommunikation, schaut aufs große Ganze und kritzelt gerne. Zuvor war er bei der "Kleinen Zeitung".