Der Fall İmamoğlu und die Spur nach Österreich
Es ist der 19. März 2025, als Ekrem İmamoğlu verhaftet wird. Der Bürgermeister von Istanbul, Aushängeschild der größten Oppositionspartei CHP, Schwesterpartei der SPÖ, und einer der profiliertesten Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, wird unter dem Vorwurf der Korruption in Untersuchungshaft genommen. Ein Mann, den viele in der Türkei und darüber hinaus als Hoffnungsträger gesehen hatten. Als möglichen Herausforderer Erdoğans bei der kommenden Präsidentschaftswahl 2028. Seither reißen die Schlagzeilen nicht ab. Kaum eine Woche vergeht ohne neue Ermittlungen, ohne neue Namen auf der Liste der Verdächtigen. İmamoğlu bestreitet die Vorwürfe, sein Anwalt spricht von einer politisch motivierten Kampagne. Vieles deute darauf hin, dass hier ein unbequemer Gegner frühzeitig aus dem Spiel genommen werden soll.
Doch der Fall İmamoğlu ist längst größer als ein einzelner Politiker. Die Justiz hat ihr Augenmerk mittlerweile auf weitere Spitzen der sozialdemokratischen Oppositionspartei gerichtet. Erst vor wenigen Tagen leitete die Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Parteivorsitzenden Özgür Özel ein wegen angeblicher „Präsidentenbeleidigung“. Auslöser war offenbar eine Äußerung Özels bei einer Pressekonferenz nach einer internen Parteisitzung, in der er sich kritisch über Erdoğan geäußert haben soll. Auch gegen die Bürgermeister von Antalya, Adana und Adıyaman laufen Ermittlungen wegen des Verdachts der Erpressung. Offiziell bestätigt ist wenig, nach Recherchen mehrerer türkischer Medien sollen inzwischen bis zu 15 CHP-Bürgermeister inhaftiert worden sein.
Wiener Restaurantkette im Visier
Was wie eine gezielte Zerschlagung der größten Oppositionspartei der Türkei wirkt, nimmt nun auch außerhalb des Landes Konturen an – und führt bis nach Österreich.
Türkische Medien berichten von einem mutmaßlichen Korruptionsnetzwerk, das sich rund um ein geplantes Hotelprojekt in Wien gebildet haben soll. Im Zentrum der Vorwürfe Ekrem İmamoğlu und die Betreiber der bekannten Wiener Restaurantkette „Kent“, die nun unverhofft ins Visier der türkischen Justiz geraten sind.
Ins Rollen gebracht hat die Affäre offenbar ein Mann, der sich selbst als Insider präsentiert: Adem Soytekin, Unternehmer und laut Staatsanwaltschaft mutmaßlicher Kronzeuge in einem weitreichenden Korruptionsermittlungsverfahren. In einer umfassenden Aussage, aus der türkische Medien inzwischen mehrfach zitiert haben, beschreibt Soytekin ein undurchsichtiges Geflecht aus Politik, Geschäft und persönlichen Verbindungen. Demnach soll Ekrem İmamoğlu gemeinsam mit seinem langjährigen Vertrauten und Berater Ertan Yıldız sowie den Unternehmern aus Wien – den Brüdern Ekrem, Temel und Şafak Tütüncü – ein Hotelprojekt in Wien geplant haben.
Ekrem İmamoğlu
Am 19. März 2025 wurde der einstige Bürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, verhaftet und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Für viele gilt er als Hoffnungsträger und größter Gegner des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan bei den Präsidentschaftswahlen 2028.
Klage wegen Rufschädigung
Für den Bau, so schildert es Soytekin, seien erhebliche Geldbeträge geflossen, angeblich aus der Türkei in Richtung Österreich. Über welche Summen genau gesprochen wird, bleibt unklar. Auch die Herkunft des Kapitals ist nicht belegt. Es bestehe jedoch der Verdacht, das Geld könnte aus der Staatskassa und korrupten Quellen stammen und in Wien gewaschen worden sein. Die Tütüncü-Brüder führen in Wien seit Jahren die bekannte türkische Restaurantkette „Kent“ und sind in der Community keine Unbekannten. Laut Soytekin bestand zwischen der Familie Tütüncü und İmamoğlu eine enge persönliche Verbindung, die nun Gegenstand von Ermittlungen geworden sei. Die regierungsnahe und islamisch-konservative türkische Tageszeitung „Yeni Şafak“ berichtet, die Istanbuler Staatsanwaltschaft habe internationale Haftbefehle gegen die Brüder Tütüncü erlassen, bislang allerdings ohne greifbare Wirkung.
Die Betroffenen, die teilweise die türkische Staatsbürgerschaft besitzen, leben in Österreich. Eine offizielle Auslieferungsanfrage liege bis dato nicht vor. Auf Nachfrage von profil zeigt sich die Familie überrascht. Ekrem Tütüncü, einer der Geschäftsführer von „Kent“, erklärt, er habe von dem Haftbefehl nur aus den Medien erfahren. „Wir haben keine schriftliche Benachrichtigung erhalten“, sagt er. Den Vorwurf, Teil eines groß angelegten Korruptionsprojekts zu sein, weist er entschieden zurück. „So ein Hotelprojekt existiert nicht, es gibt auch keine Investitionen in diese Richtung.“ İmamoğlu, so Tütüncü, habe er vor rund 15 Jahren in einem seiner Lokale kennengelernt. Damals sei dieser noch kein Bürgermeister gewesen. Beide stammen zwar aus der nordtürkischen Stadt Trabzon, ein engeres Verhältnis habe es aber nie gegeben. „Er hat bei uns gegessen. Mehr nicht.“ Auch zu İmamoğlus Vertrautem, Ertan Yıldız, gebe es keinerlei Verbindung.
Restaurantkette „Kent“
Die Familie Tütüncü führt in Wien seit Jahren die bekannte türkische Restaurantkette „Kent“, mit einer Filiale im 20. Bezirk, Brigittenau.
Ekrem Tütüncü betreibt neben der „Kent“-Kette und zwei weiteren Lokalen bereits ein Hotel im Domenig-Haus in Favoriten. Die Gründe, warum Erdoğans Justiz ausgerechnet gegen die Wiener Kette „Kent“ vorgeht, wirft insofern Fragen auf, da dem Lokal in der Vergangenheit immer wieder Nähe zum türkischen Präsidenten nachgesagt wurde. Beim Wien-Besuch Erdoğans im Juni 2014 hieß es mehrfach, „Kent“ habe das Catering in der Albert-Schulz-Halle übernommen. Die Betreiber dementierten das. Es habe diesbezüglich keinerlei Anfragen gegeben, heißt es.
Laut eines 107-seitigen Ermittlungsberichts der türkischen Polizei, aus dem die Zeitung „Yeni Şafak“ zitiert, soll İmamoğlus Vertrauter Ertan Yıldız derjenige gewesen sein, der das Geld aus der Türkei nach Österreich transferiert hat. Ein Teil des Kapitals sei dann in Wien „legalisiert“ worden, so zumindest die Version des Kronzeugen Soytekin. Die Tütüncüs prüfen derzeit rechtliche Schritte wegen Rufschädigung, heißt es auf Anfrage beim Anwalt der Familie.
Spur ins Rathaus?
Brisant ist auch ein weiterer Aspekt: In seiner Aussage erwähnte Soytekin eine angeblich involvierte Person aus dem Wiener Gemeinderat, die bei der Geldwäsche geholfen haben soll. Namen nannte er nicht. profil hat den Wiener Ableger der CHP mit den Vorwürfen konfrontiert. Eine Stellungnahme blieb bis Redaktionsschluss aus.
Unklar bleibt, ob tatsächlich Gelder aus der Stadtverwaltung von Istanbul nach Österreich geflossen sind – und wenn ja, in welcher Höhe. Weder Ort noch Umfang des angeblichen Hotelprojekts sind bislang dokumentiert. Es sind bisher auch keine Baupläne oder Immobilienankäufe bekannt. Auch vonseiten der österreichischen Justiz gibt es laut Wiener Staatsanwaltschaft keine offiziellen Ermittlungen.
Kritiker werfen Erdoğan und seiner Regierung vor, die Justiz zu instrumentalisieren, um politische Gegner auszuschalten. Für İmamoğlu selbst steht viel auf dem Spiel: In den vergangenen Jahren hat er sich als eine der zentralen Oppositionsfiguren profiliert, mit dem Anspruch, eine demokratische Alternative zu Erdoğan zu verkörpern. Doch dieser Anspruch wird nun systematisch untergraben. Und auch über 1500 Kilometer von Istanbul entfernt, im Wiener Restaurant „Kent“, hat der Fall İmamoğlu Spuren hinterlassen.