Wladimir Putin mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel im Februar 2001 bei der Ski.-WM in St. Christoph am Arlberg.

Österreichs Politiker und Russland: Eine Entschuldigung ist fällig

Putins Regime haben sich österreichische Politiker schöngeredet. Mit furchtbaren Folgen für uns alle.

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Emil Brix, Leiter der Diplomatischen Akademie in Wien, bedrückt die Erinnerung an seine ersten Wochen als österreichischer Botschafter in Moskau. Im eiskalten Jänner 2015 hatte er sein Amt angetreten, und im Februar fielen, einen Steinwurf von seinem Domizil entfernt, Schüsse in der Nacht. Es war so, als wäre er dabei gewesen. Am Morgen erfuhr er: Boris Nemzow ist tot. Der populäre Oppositionsführer hatte am Vortag in einem Radiosender zu einem Protestmarsch gegen Putins Krieg in der Ostukraine aufgerufen. Viele wütende, traurige Menschen strömten zum Tatort und wurden von der Staatssicherheit auseinandergetrieben. Blumen und Kerzen wurden zertreten und entsorgt.

In den Staatsmedien hieß es, die Überwachungskameras seien ausgefallen, eine Spur deute auf ein tschetschenisches Killerkommando hin. Eineinhalb Jahre später wurde eine Gruppe von Tschetschenen verurteilt. Einer von ihnen hatte zunächst gestanden, "unter Folter", wie er angab, und das Geständnis wieder zurückgenommen; die anderen bestritten bis zuletzt die Tat. In dem Glaskobel, in dem Angeklagte dem Gericht vorgeführt werden-man kennt diese Einrichtung mittlerweile aus Verfahren gegen den ehemaligen Oligarchen Michail Chodorkowski, Alexej Nawalny, Pussy Riots usw. – , erschien bei der Urteilsverkündung für einen Augenblick das Wort Lüge, mit einem Finger auf die behauchte Scheibe geschrieben.

"Lüge" stand auch auf jener Tafel, die die Moskauer TV-Journalistin Marina Owsjannikowa nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hinter einer überrumpelten Nachrichtenmoderatorin in die Kamera hielt. Die junge Frau hatte todesmutig die Live-Sendung gecrasht und wird nun mit einer Anklage nach der anderen zermürbt.

In Russland wurden in den vergangenen Jahren Aberdutzende Bürgerrechtler, Politiker und Journalisten vergiftet, erschossen, inhaftiert oder ins Ausland vertrieben. Auch fern der Heimat fielen manche Anschlägen zum Opfer. In der regen Besuchsdiplomatie, die es zwischen Österreich und Russland bis zum Ukraine-Krieg gab, wurde das immer wieder diskret angesprochen. Doch die öffentlichen Bilder erzählten eine andere Geschichte: die von lächelnden Staatsmännern, besten Freunden, kumpelhaften Gesten und gegenseitigen Schmeicheleien – "Wir sind beide kulturelle Großmächte", sagte Putin bei einem seiner Wien-Auftritte.

Kaum vorstellbar ist heute jene Szenerie aus dem Juli 2014, als der damalige Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl am Rednerpult über seine Dauerpräsidentschaft scherzte, während Staatsgast Putin, der mit Bundespräsident Heinz Fischer am Podium saß, amüsiert einwarf, "ein Diktator, aber ein guter" und alle hell auflachten. Schon als Putin den Raum betrat, hatte es Standing Ovations gegeben, obwohl es gerade einmal vier Monate her war, seit die Krim von Russland völkerrechtswidrig annektiert worden war. Von den beschlossenen Sanktionen der EU hielt die österreichische Elite schon damals nicht viel. Wandel durch Handel sei besser. So hörte man es rundum.

2014 war ein Sündenfall. Fischer beschwor bei diesem Besuch die "verlässlichen und seriösen Beziehungen". Die Lage in der Ukraine beschrieb er als "schwierige Situation, in der es Meinungsverschiedenheiten gibt", etwa in der Frage der Krim. Putin kündigte an, "ethnische Russen" und jene Bevölkerungsteile zu schützen, die "unzertrennbar mit Russland verbunden" seien.

Alle verteidigten den Besuch: Kanzler Werner Faymann, Vizekanzler Michael Spindelegger. Österreich sei ein "Brückenbauer", so der Tenor. Kritisch äußerten sich nur die Grünen. Und ein Schriftsteller. "Österreich war das erste Land nach dem Anschluss der Krim, das Putin empfangen hat", sagte Martin Pollack bei der Leipziger Buchmesse.

Zur Moral in den Außenbeziehungen eines Landes sagt Ex-Bundespräsident Heinz Fischer heute gegenüber profil: "Es ist nicht die Frage, ob Putins Russland ein demokratisches, an westlichen Werten orientiertes Land ist. Natürlich wusste man, wie das System funktioniert. Aber für diplomatische Beziehungen und den wirtschaftlichen Austausch ist das nicht die entscheidende Frage. Fast alle glaubten, dass Putin ein rationaler Staatschef und auf wirtschaftlichem Gebiet ein weitgehend verlässlicher Partner sei. Würde man moralische Standards an wirtschaftliche Beziehungen anlegen, dürften wir mit einer deutlichen Mehrheit aller Mitgliedsstaaten der UNO keinen Handel treiben. Das wäre eine völlig neue und de facto sehr problematische Handlungsweise." – Als wäre zwischen Handel treiben und sich in gefährliche Abhängigkeiten begeben nicht ein entscheidender Unterschied.

Es ist nicht die Frage, ob Putins Russland ein demokratisches Land ist. Für Diplomatie und Wirtschaft ist das nicht entscheidend."

Heinz Fischer, Ex-Bundespräsident

Das Ergebnis zeigt: Im Falle Putins war das ein Irrweg. Mit einem Diktator kann man nicht verhandeln. Mit Gazprom-Verträgen, deren Laufzeit bis 2040 reichen, hat sich Österreich ausgeliefert. Man hätte es wissen können. Selbst Geheimdienste warnten davor, einen Putin-Vertrauten wie Rainer Seele zum Chef von Österreichs Mineralölkonzern OMV zu machen. Allein bis 2006 hatte Putin mehr als 50 Mal unbotmäßigen Ländern den Gashahn abgedreht oder damit gedroht. Doch Österreichs Politiker glaubten, ihnen könne das nicht passieren. Man war stolz auf die besondere Beziehung. Der ehemalige russische Energieminister Wladimir Milow (2002 abgesetzt) hatte Europa schon 2007 davor gewarnt, sich durch Gas und Öl erpressbar zu machen. Martin Malek, ein Experte der österreichischen Landesverteidigungsakademie, fand "Aussagen westeuropäischer Politiker, wonach Russland ein extrem verlässlicher Partner sei, kaum noch nachvollziehbar". In einer Studie aus 2009 fragt Malek "warum das Selbstbewusstsein der Kreml-Führung immer größer werde, während die Staats- und Regierungschefs der EU unentschlossen, eingeschüchtert, jedenfalls uneinig wirkten".

Emil Brix quittierte seinen Botschafter-Posten in Moskau Mitte des Jahres 2017, früher als erwartet. Die nachfolgenden Jahre, in denen die türkis-blaue Koalition die Kontakte zu Putin noch einmal auf die Spitze trieb, die FPÖ ihren Freundschaftsvertrag mit Putins Partei genoss, Außenministerin Karin Kneissl mit Putin auf ihrer Hochzeit tanzte, während Europa ihn schon zunehmend isolierte, hätten dem Intellektuellen die Erfüllung seiner diplomatischen Pflichten schwer gemacht.

Brix konnte nicht wissen, dass FPÖ-Chef Heinz Christian Strache im Mai 2019 über das Ibiza-Video stolpern würde. Was darin besprochen wurde – Medien kaufen, die Öffentlichkeit manipulieren, Wasserreserven privatisieren – klingt heute wie ein putinsches Kleinganovenformat.

Putin war um die Jahreswende 2000 von Präsident Boris Jelzin, dem allmählich alles aus der Hand glitt, zu seinem Nachfolger vorgeschlagen worden. In diesen Wochen hielt die österreichische Botschaft in Moskau ein Symposion mit Experten und Intellektuellen beider Länder ab. Man sprach über Russlands Identität, über Kant und Metaphysik. Die russische Wirklichkeit blieb ausgeblendet: Mafiabosse, die sich in wilden Privatisierungen gegenseitig Killer an den Hals hetzten, Hunger und Elend auf den Straßen, sagenhaft reiche Oligarchen aus Jelzins Umfeld, die sich im Westen Villen kauften und ihre Kinder in Eliteinternaten einschrieben. "Was ist mit dem Tschetschenienkrieg?", war eine Frage aus dem Publikum. Und ein Referent zitierte die Schlagzeile einer populären russischen Zeitung: "Machen wir Europa süchtig – nach unserem Gas. Noch etwas deutete sich an: "Das Geraune vom natürlichen russischen Imperium, vom Erdesammeln", wie es Solschenizyn kritisch genannt hatte und die Klage über die "Kolonisierung durch westliche Werte".

Die ersten Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten waren für österreichische Geschäftsleute, Baufirmen, Banken und Versicherungen ein Eldorado gewesen. Aber mit Risiko. Als im August 1991 die Altkommunisten in Moskau putschten, der Reformer Michail Gorbatschow auf der Krim in Hausarrest kam, veröffentlichte der Wiener Ballhausplatz eine anbiedernde Stellungnahme. Die Putschisten-Clique wurde darin als neue "sowjetische Führung" begrüßt. Eine Radiostation in Moskau kommentierte sarkastisch: "Österreich ist wohl das letzte sozialistische Bruderland." Die vermeintlich neuen Machthaber hielten sich nur wenige Stunden.

Die falsche Einschätzung könnte damit zu tun gehabt haben, dass sich die österreichische Politik mit einer berechenbaren, selbst autoritären Kraft immer schon leichter tat als mit unruhigen Zuständen.

Putin versprach "Ordnung und Sicherheit". 2001 wurde er mit Pomp und Trara in Wien empfangen. Neugierige säumten die Straßen. Kanzler Wolfgang Schüssel ging mit Putin in St. Anton Ski fahren, und die Skilegende Karl Schranz nahm Putin auf eine Skitour mit.

"Die Devise war: Wir arbeiten mit dem dortigen Regime möglichst eng zusammen, weil uns das wirtschaftliche Vorteile bringt und es uns ermöglicht, eine größere Rolle zu spielen, als es sonst dem kleinen Österreich möglich wäre. Da muss man dem Wolfgang Schüssel eine gewisse Verantwortung zuschreiben. Das war ein bewusster Schritt hin zu Putin. Das ist ihm nicht nur passiert", sagt Brix im profil-history-Podcast.

Die britische Journalistin Catherine Belton beschreibt in ihrer Studie "Putins Netz" (HarperCollins 2022), wie Putin in hohem Tempo die Oligarchen aus der Jelzin-Zeit entmachtete und durch Gewährsmänner aus dem Geheimdienst und loyale Jugendfreunde ersetzte. Sie führt all das zusammen, was man wusste oder ahnte, und belegt es mit Dokumenten und Zeitzeugen – auch das Versagen des Westens. Als der einst mächtige Chef des Erdölkonzerns Yukos Michail Chodorkowski verhaftet, enteignet und in ein Lager nach Sibirien verfrachtet wurde, standen westliche Investoren Schlange, um ein Stück seines zerschlagenen Unternehmens zu ergattern. Ein weiterer Jelzin-Mann, Roman Abramowitsch, konnte sich gerade noch "freikaufen" und bekam für seine Firma 13 Milliarden Dollar.

Belton zitiert aus einem im Jahr 2007 geführten Gespräch mit Oleg Deripaska, Anteilseigner des österreichischen Baukonzerns Strabag: "Wenn der Staat sagt, wir müssen es abtreten, treten wir es ab."

Belton beschreibt, wie Schwarzgeld-Konten im Westen und staatliche Öl- und Gasgewinne benützt wurden, um radikale Parteien – rechte wie linke – in Europa zu unterstützen, durch Kredite, Konferenzen und Thinktanks. Marine Le Pens Rassemblement National, die ungarische Jobbik, die italienische Lega Nord und die Fünf-Sterne-Bewegung, die griechische Syriza, die FPÖ und die AFD zählen dazu. Auch die österreichisch-russische Freundschaftsgesellschaft wurde im Jahr 2000 gegründet. Ex-Politikern wurden in den Jahren danach Aufsichtsratsposten in Unternehmen, hinter denen Putin und ein enger Kreis von Vertrauten steht, angeboten. Ex-SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern legte sein Mandat bei der russischen Staatsbahn in der ersten Kriegswoche zurück. Wolfgang Schüssel, bei Lukoil engagiert, brauchte etwas länger. Er meinte, Lukoil sei doch ein börsennotierter Konzern.

Der Philanthrop George Soros hatte dazu früh Bedenken angemeldet. "Aus moralischen und ethischen Gründen" hätte man "Unternehmen, die als Instrumente des Staates dienen", nicht an der Börse akzeptieren dürfen.

Österreich hatte allmählich den Ruf eines unsicheren Kantonisten in Europa. Österreichs Empörung über die Vorgänge in Russland waren nie so heftig und empört wie die der anderen europäischen Staatschefs. Auch Österreichs Intellektuelle waren schweigsam. Im Gegensatz zu Frankreich – wo sich etwa Bernard-Henri Lévy schon früh mit scharfen Worten gegen Putins Machenschaften wandte.

Die Grünen protestierten hin und wieder mit NGOs vor der Russischen Botschaft in Wien, wenn wieder einmal ein Oppositioneller, eine Feministin oder ein LGBTI-Aktivist verhaftet worden war.

Eine Debatte über Geschäfte und Menschenrechte hatte die langjährige außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulrike Lunacek im Jahr 2004/05 angestoßen. Ausgerechnet in der österreichisch-russischen Freundschaftsgesellschaft. Nach einem Referat des damaligen SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer hatte sie sich zu Wort gemeldet und gemeint, dass Unternehmen in Demokratien stärker florieren als in Diktaturen und ob es nicht auch für Wirtschaftsunternehmen von Vorteil sei, sich für eine Verbesserung der Menschenrechte einzusetzen. "Die Reaktion war eine Mischung aus Unglauben und Ablehnung", so Lunacek. Die allgemeine Ansicht dort war, mit Diktaturen könne man gute Geschäfte machen.

Nach der Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaja und aus Anlass von Putins Besuch in Wien im Jahr 2007 erinnerte Ulrike Lunacek an deren – heute erschreckend aktuell klingenden – Worte: "Ich gebe zu, dass mich Depressionen befallen, wenn ich sehe, wie Europa sich Putins Russland gegenüber verhält. Es erinnert fatal an die Jahre des Kommunismus, an das altbekannte menschenverachtende Prinzip: Soll es dort ruhig einen Eisernen Vorhang geben, soll dort Tyrannei herrschen, solange wir uns nur heraushalten können und davon unbeschadet bleiben, solange Erdöl und Erdgas nur schön weiter zu uns fließen."

Als Kanzler hat Gusenbauer Putin nur einmal empfangen. "Ich hatte 2007 mit ihm einen Vieraugentermin. Ich kann mich erinnern, dass er angebissen war, da gab es Menschenrechtsfälle – Politkowskaja und Litwinenko – und er wurde fuchtig und sagte, jetzt hört er diese Geschichte schon zum dritten Mal. Auch Bundespräsident Fischer und Nationalratspräsidentin Prammer hatten das angesprochen. Ich sagte: Wir haben keine gelenkte Demokratie, sondern eine koordinierte Demokratie. Das fand er witzig. Klar war, dass in dieser Zeit die österreichischen Wirtschaftsinteressen massiv waren, alle waren der Meinung, man muss nach Russland gehen. Dort wartet das neue Geschäft."

2007 war ein angespanntes Beziehungsjahr. Bei der Sicherheitskonferenz in München hatte Putin Europa gedroht und prophezeit, es werde sich selbst von innen heraus zerstören. Auf den Nordpol meldete Russland Ansprüche an. Eine russische Expedition war unterwegs, um wissenschaftliche Beweise zu sammeln, dass das Unterwassergebirge am Nordpol mit dem russischen Festland verbunden sei. Das Ergebnis stand von vornherein schon fest.

Die EU hatte die Notwendigkeit einer gemeinsamen Energiepolitik entdeckt und hoffte, Russland werde eine Energiecharta ratifizieren und den nationalen Markt für ausländische Investoren öffnen. "Njet", hieß es dazu aus Moskau. Und Alexej Miller, Chef des russischen Energiemonopolisten Gazprom: "Wenn man uns nicht in Europa expandieren lässt, dann liefern wir unser Gas eben nach China." Oder es gäbe "Lieferengpässe".

Gusenbauer sagt, der Krieg sei für ihn keine große Überraschung gewesen. Putin habe sein Hegemoniestreben schon 2007 bei der Sicherheitskonferenz in München angekündigt. Nur, dass es ein Krieg werden würde, wusste man damals noch nicht. "Putin hat aber auch schon in diesen Zeiten Aussagen gemacht, die einigermaßen sonderbar waren. Zum Beispiel, dass Kasachstan nie ein unabhängiges Land gewesen sei."

Die Weltlage sieht Gusenbauer düster: "Wenn Putin mit seiner Strategie durchkommt, war die Ukraine vielleicht nicht das letzte Land." Auch die mentale Verfasstheit von Putin sieht er kritisch. "Nicht mir persönlich, aber meinem Freund Aleksander Kwaśniewski, dem früheren polnischen Präsidenten, hat er einmal gesagt, er sehe drei große Persönlichkeiten in der russischen Geschichte: Peter den Großen, Katharina die Große, Stalin und dann, so meinte er, wäre er der vierte. Putin lebt zweifellos in einer anderen Welt."

Mit seiner Ideologie, der Beschwörung von Größe, Heimatland und Seele könne man schwer etwas anfangen. Sie stamme aus einer vormodernen Zeit, als Kapitalismus, Demokratie und Freiheit noch keine Themen waren. "Das ist insofern gefährlich, weil man nicht weiß, wo die Grenzen dieses Glaubens sind. Ob er dafür Atomwaffen einsetzen würde, ist ein hochspekulativer Bereich. Da gibt es keine historische Empirie."

Ihm wurde nie ein Posten angeboten, sagt Gusenbauer, fast etwas beleidigt. Für sein Engagement bei einem russischen Thinktank, den Experten als Teil der "hybriden Kriegsführung" betrachten, wurde Gusenbauer kritisiert. Er habe dort Referate gehalten und sagen können, was er wollte, rechtfertigt er sich.

Anders als die große Mehrheit der EU-Länder weigerte sich die ÖVP/FPÖ-Regierung 2018 nach dem Giftgasanschlag auf den ehemaligen Geheimdienstagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia, russische Diplomaten auszuweisen. "Wir sind ein Land mit traditionell guten Kontakten zu Russland", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz damals.

Emil Brix kommentiert das so: "Unter Sebastian Kurz war klar, dass man mit den besonderen Beziehungen von Österreich zu Russland wirtschaftlich Profit zu machen versuchte. Man hat sich offenbar geschmeichelt gefühlt. Man hatte wenig einzuwenden gegen den Vorwurf, dass Österreich ein Land der Putin-Versteher sei. Es war unter EU-Botschaftern klar, dass Österreich ein unsicherer Kantonist geworden ist."

Der ehemalige Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl sagte zu Kriegsbeginn, er habe die Punzierung als Putin-Versteher so lang auf sich genommen, als "mit ein bisschen Einfühlsamkeit und Verständnis für alle Seiten eine Lösung möglich gewesen wäre". Dann habe Putin entschieden, "die Ukraine zu nehmen, ein aggressiver und brutaler Akt, der durch nichts zu rechtfertigen ist". Jetzt sei auch bei ihm der letzte Rest an Verständnis verbraucht. Heute wolle er dazu nichts mehr sagen.

Und so bleibt nur, all jenen, die in den vergangenen Jahren die Putin-Politik geprägt haben, die Studie von Catherine Belton dringend ans Herz zu legen.

Der profil-history-Podcast sucht die Spuren des Vergangenen im heutigen Geschehen. Er erscheint jeden zweiten Sonntag.

Christa Zöchling spricht mit Emil Brix, dem Leiter der Diplomatischen Akademie, über das Land der "Putin-Versteher".

Christa   Zöchling

Christa Zöchling