BVT-Chef Peter Gridling
BVT-Ermittlungen: Gridling wusste seit Wochen Bescheid

"Keine Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit"

Der Fall BVT. Eine geheim vorbereitete Hausdurchsuchung und die absurden Begründungen von Justiz- und Innenministerium. BVT-Chef Peter Gridling wusste schon Wochen vor der Blitz-HD von laufenden Ermittlungen im Umfeld seiner Behörde. Er hatte ein offizielles Schreiben des Bundeskriminalamts erhalten.

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Bald drei Wochen nach den Hausdurchsuchungen im und um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) steht eine zentrale Frage unbeantwortet im Raum: Warum so?

Wie ausführlich berichtet, hatte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) am 27. Februar um 22.30 Uhr eine (zunächst nur mündliche) Genehmigung eines Journalrichters am Landesgericht für Strafsachen erwirkt, auf deren Grundlage tags darauf das BVT auf den Kopf gestellt wurde.

Die Staatsanwälte kamen nicht etwa in Begleitung der "Cobra" – den Polizeieinsatz orchestrierte die Sonderheit EGS, die Einsatzgruppe zur Bekämpfung von Straßenkriminalität unter der Leitung eines FPÖ-Politikers. Die EGS war in aller Eile verständigt worden – wobei bis jetzt nicht restlos klar ist, wer im Innenministerium für den Einsatzbefehl letztverantwortlich war. Generalsekretär Peter Goldgruber? Oder doch Innenminister Herbert Kickl?

Der weitaus größte Teil der Wiener Polizeiführung war vom Kabinett des Innenministers vorab nicht informiert worden. Sie erfuhr davon erst, als die Hausdurchsuchung bereits im Gange war – wie übrigens auch Christian Pilnacek, Generalsekretär des Justizministeriums. Donnerstag Vormittag traten Pilnacek und Justizminister Josef Moser vor die Presse, um einen Untersuchungsbericht zu präsentieren. Moser begründete Eile und Geheimhaltung der Operation gegen das BVT damit, dass dem Verfassungsschutz keine Zeit gegeben werden sollte, Beweismittel noch vor der Sicherungsstellung durch die WKStA zu vernichten – womöglich sogar mittels "Fernzugriff". Oder wie es Generalsekretär Christian Pilnacek formulierte: Die diskrete Einschaltung der EGS habe dem Zweck gedient, möglichst keine Informationen "in die Breite und die Tiefe" des Apparats "sickern" zu lassen.

Justizminister Josef Moser (rechts) und Generalsekretär Christian Pilnacek

Das soll auch erklären, warum zum Beispiel das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK), das eigentlich für Untersuchungen in den eigenen Reihen zuständig wäre, nicht in die Vorbereitungen der Hausdurchsuchung eingebunden war.Dem BAK wurde schlicht nicht getraut – die ominösen Zeugen der Staatsanwaltschaft sollen unter anderem ausgesagt haben, dass man Korruptionsbekämpfern nicht über den Weg trauen dürfe, weil diese ja mit dem BVT verbandelt seien. Die von Moser und Pilnacek vorgetragenen Begründungen für den Hauruck-Einsatz (Ähnliches war dazu auch schon aus dem Innenministerium zu hören) sind vollkommen absurd.

Das BVT hätte jede Zeit der Welt gehabt, ungeliebte Beweismittel aus der Welt zu schaffen, die jetzt in einem der Ermittlungsstränge eine wichtige Rolle spielen. Spätestens seit dem 2. Februar, also 26 Tage vor der HD, wusste Behördenleiter Peter Gridling, dass im Umfeld des BVT ermittelt wird. Das geht aus Ermittlungsakten hervor, die profil und die Tageszeitung "Der Standard" einsehen konnten. An diesem 2. Februar hatte Gridling eine Anfrage des Bundeskriminalamts im Zusammenhang mit der sogenannten Passaffäre erhalten. Gridling hatte also annähernd einen Monat Zeit, um seinen Leuten die Löschung potenziell belastender Daten aufzutragen.

Innenminister Herbert Kickl

Wie ausführlich berichtet, ermittelt die WKStA gegen den nunmehr suspendierten BVT-Direktor, dessen früheren Stellvertreter Wolfgang Z. und drei weitere Beamte wegen des Verdacht des Amtsmissbrauchs.

Erster zentraler Punkt: Das BVT soll illegal Daten aus der Kanzlei des Wiener Rechtsanwalts Gabriel Lansky besessen, ausgewertet, möglicherweise auch weitergeleitet haben. Dieser Vorwurf trifft hauptsächlich Gridling und Wolfgang Z. und den gleichfalls suspendierten IT-Chef des BVT. Nichts ist bewiesen, beide bestreiten die Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung.

Zweiter zentraler Punkt: die "Passaffäre". Bereits im Oktober des Vorjahres hatten profil, "Der Standard" und die ORF-"ZiB 2" berichtet, dass das BVT den südkoreanischen Sicherheitsbehörden 2016 drei nordkoreanische Passrohlinge aus österreichischer Produktion beschafft hatte. Die Oesterreichische Staatsdruckerei hatte schon 2015 von Nordkorea den Auftrag zur Herstellung biometrischer Reise-, Dienst- und Diplomatenpässe erhalten.

Das BVT organisierte in weiterer Folge 30 Rohlinge, wovon 27 Stück eingelagert wurden und drei an die Südkoreaner gingen – zu "Schulungszwecken", wie es damals aus dem von ÖVP-Innenminister Wolfgang Sobotka regierten Innenressort hieß: eine reguläre BVT-Operation als Teil der Kooperation internationaler Sicherheitsbehörden. Die WKSta ermittelt hier allerdings wegen der vermuteten Verletzung der Rechte Nordkoreas. Der Vorwurf richtet sich gegen zwei bereits am 28. Februar suspendierte BVT-Beamte. Auch hier: kein Beweis, die Beschuldigten bestreiten jedwedes Fehlverhalten, Unschuldsvermutung.

Was bisher sowohl das Innen- als auch das Justizministerium unerwähnt ließen: Schon am 23. Jänner dieses Jahres, also mehr als einen Monat vor der Hausdurchsuchung, übermittelte ein Oberstleutnant des Bundeskriminalamts dem Verfassungsschutz eine schriftliche Anfrage – ein "Ersuchen um weiterführende Stellungnahme" in Zusammenhang mit ebendieser "Passaffäre". Der Kriminalbeamte begehrte vom BVT Auskunft darüber, unter welchen Umständen die Passrohlinge vom BVT beschafft und an Südkorea weitergegeben worden waren; er wollte wissen, wer die Operation wann angeordnet hatte; wie und wo diese abgelaufen war; wer, wann an wen herangetreten war; welchem Zweck das Ganze dienen sollte; und auf welcher gesetzlichen Grundlage die Übergabe überhaupt erfolgt war.

Ein sehr ausführliches, offizielles Auskunftsbegehren also. In wessen Auftrag das Bundeskriminalamt die Erkundigungen einholte, geht es aus dem Akt interessanterweise nicht hervor. (Es musste sich aber um die Staatsanwaltschaft handeln, die schon seit dem Herbst 2017 ein Ermittlungsverfahren führte.)

Peter Goldgruber, Generalsekretär im Innenministerium: War er für den Einsatzbefehl letztverantwortlich?

Was sich aus dem Akt herauslesen lässt: Peter Gridling persönlich nahm das Schreiben des BKA am 2. Februar 2018 in Empfang. Spätestens ab diesem Zeitpunkt muss der BVT-Direktor gewusst haben, dass etwas im Busch war. Er hätte also ziemlich viel Zeit gehabt, seinen Leuten die Löschung belastender Dokumente und Daten aufzutragen – ehe Staatsanwälte und Straßen-Cops sich am 28. Februar ins BVT verfügten, um genau das zu verhindern.

Doch auch das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung, das zunächst nicht bei der Hausdurchsuchung dabei sein durfte (weil nicht vertrauenswürdig) und nun doch mit den internen Ermittlungen beauftragt werden soll (weil eigentlich zuständig), war schon einmal mit der "Passaffäre" befasst worden. Es erklärte sich für unzuständig, weil es aus den vorliegenden Informationen keinen Amtsmissbrauch durch BVT-Beamte ableiten konnte.

Wie aus dem Ermittlungsakt hervorgeht, erreichte das BAK bereits Ende Oktober des Vorjahres eine Anfrage des Bundeskriminalamts. Schon damals wollte das Bundeskriminalamt wissen, ob an der Weitergabe nordkoreanischer Passmuster an Südkorea strafrechtlich etwas dran sei. Das Schreiben, eine "Bitte um inhaltliche Prüfung", richtete sich direkt an BAK-Direktor Andreas Wieselthaler, er übernahm es am 25. Oktober 2017.

Am 28. Oktober veröffentlichten profil, "Der Standard" und die "ZiB 2" ihre Rechercheergebnisse zur "Passaffäre" – mit einer Stellungnahme des damals noch ÖVP-regierten Innenministeriums, wonach die Aktion rechtlich gedeckt gewesen sei. Am 30. Oktober 2017 antwortete Wieselthaler dem Bundeskriminalamt. "Nach Prüfung" des Falles habe das BAK "keine Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit" gefunden. Das BAK ist für Amtsmissbrauch und Korruption in den Reihen des Behördenapparats zuständig. Keine Zuständigkeit heißt: nichts gefunden.

Im Herbst hatte das Bundesamt für Korruptionsbekämpfung keine Anhaltspunkte für einen Amtsmissbrauch im Fall Nordkorea gefunden. Das Amt wurde dann bei der Hausdurchsuchung gezielt außen vor gelassen – und soll nun erneut diesen Amtsmissbrauch (und andere) untersuchen. Das muss einem erst einmal einfallen.

Die jüngsten Äußerungen des Justizministers und seines Generalsekretärs sind nur so zu interpretieren: Hätte man das BAK im Vorfeld der Hausdurchsuchung eingebunden, hätte das BVT von Ermittlungen Wind bekommen und Beweismaterial vernichten können. Wenn dem so ist, dann müsste Peter Gridling eigentlich schon Ende Oktober vergangenen Jahres von Zuträgern im BAK erfahren haben, das in einem der nunmehr zentralen Ermittlungsstränge, ebendieser "Passaffäre", Untersuchungen des Bundeskriminalamts laufen. Dann hätte er sogar vier Monate Zeit gehabt, um den Shredder anzuwerfen. Das macht die Inszenierung der Hausdurchsuchung nur noch fragwürdiger.

Das Bundeskriminalamt wollte sich auf Anfrage von "Standard" und profil nicht äußern und verwies auf die Staatsanwaltschaft. Diese verwies auf das Justizministerium. Das Justizressort hat die Vorgänge gegenüber profil und "Standard" bestätigt.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.