Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) (r.), Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) (m.) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)

Flüchtlingskrise: Wie die Grünen mit der ÖVP um eine Koalitionslinie ringen

Eine Flüchtlingskrise wie 2015 darf sich nicht wiederholen, das ist politischer Konsens in Österreich. Auch die Grünen kämpfen derzeit nur vorsichtig für ihre einstigen Ideale -und ringen mit der ÖVP um eine Koalitionslinie.

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Werner Kogler sah nicht sonderlich vergnügt aus, als er am Dienstag vergangener Woche vor den Journalisten stand. Es ist ja nie ein Spaß, wenn man vor Publikum kapitulieren muss: "Ich kann meine Meinung zum Ausdruck bringen, ohne dass mir ein Zacken aus der Krone bricht, wenn es keinen Konsens gibt", erklärte der Vizekanzler schließlich.

Vor Kogler hatten Bundeskanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer beim selben Termin klargestellt, dass es Einigkeit so schnell nicht geben wird. In der Frage, wie Österreich auf die Lage an der griechischen Grenze reagieren soll, liegen die Koalitionspartner weit auseinander. Die Grünen würden gerne Frauen und Kinder aus den überfüllten Camps auf den Inseln holen, die ÖVP hält das für eine gut gemeinte, aber nicht sehr clevere Idee. "Wenn wir jetzt dem türkischen Druck nachgeben, dann werden Hunderttausende nachkommen, und das Europa ohne Grenzen nach innen wird Geschichte sein", sagte Sebastian Kurz.

Am längeren Hebel

Grüne Minister und Mandatare wirkten in den letzten paar Tagen mitunter wie Teenager, die maulend zur Kenntnis nehmen müssen, dass ihre peinlichen Eltern leider am längeren Hebel sitzen. In der Regierung ist eindeutig die ÖVP der Haushaltsvorstand. Den Grünen bleibt nur, immer wieder darauf hinzuweisen, dass sie selbst gerne ein bisschen großzügiger wären -sich damit aber leider nicht durchsetzen können.

Schon bei den Regierungsverhandlungen waren Migration und Asyl der einzige Punkt gewesen, der sich auch nach mehreren Anläufen nicht harmonisch finalisieren ließ. Deshalb wurde, für den Fall der Fälle, ein Krisenmechanismus vereinbart: Sollte es in einer Ausnahmesituation nicht gelingen, sich auf gemeinsame Maßnahmen zu verständigen, haben beide Partner das Recht, sich im Parlament andere Mehrheiten zu suchen. Ob eine Regierung so etwas aushält, ist ungewiss; probiert hat es in Österreich noch niemand. Steht der Testbetrieb etwa demnächst bevor?

"Ihr seid arme Würstl"

Die Kommentare auf den Twitter-und Facebook- Accounts von grünen Mandataren geben durchaus Anlass zur Besorgnis. Als etwa Werner Kogler jüngst seine Fans und Follower in den sozialen Medien darüber informierte, dass Österreich drei Millionen Euro für Soforthilfe in Syrien bereitstellen werde, löste er damit einen mittleren Shitstorm aus. "Sorry, liebe Grüne, dass ihr euch nicht in Grund und Boden schämt", schrieb ein User: "Gestern noch dachte ich, Werner Kogler hat Mumm und bewegt was. Heute sag ich nur mehr, ihr seid arme Würstl, euch von den Türkisen so vorführen zu lassen." Gleich darunter empörte sich der nächste Ex-Fan: "Was bringt eine grüne Regierungsbeteiligung, wenn die Taten der Regierung immer noch rechtsextrem sind?"

Die Grünen gehörten stets zu den Guten; da können einen solche Kommentare schon aus der Fassung bringen. Man dürfe nicht jedes beleidigende Posting persönlich nehmen, meint indes der grüne Abgeordnete Georg Bürstmayr, der auch als Asylanwalt tätig ist: "Weh tut es nur, wenn einem private Bekannte vorwerfen, dass man alle Grundsätze über Bord geworfen habe." Auch das sei schon vorgekommen, gibt Bürstmayr zu: "Aber es waren nur ein paar." Die Erwartungshaltung vieler Grün-Wähler und -Sympathisanten an die Partei sei nun einmal sehr hoch, vor allem beim Thema Migration. Deutlich schärfer formuliert der Abgeordnete Michel Reimon: "Diese Forderungen nach moralischer Reinheit gehen mir schwer auf die Nerven. Ich hab kein Verständnis für Leute, die uns sagen, wir sollen sofort alles hinschmeißen."

Vertreter der reinen Lehre

Als sie noch in Opposition waren, galten die Grünen in Asylfragen als Vertreter der reinen Lehre. Im Oktober 2015 -damals war Rot-Schwarz an der Macht, und der Kanzler hieß Werner Faymann - hatte etwa die Ankündigung baulicher Maßnahmen am steirischen Grenzübergang Spielfeld für Empörung gesorgt. Eva Glawischnig, zu dieser Zeit Grünen-Chefin, bezeichnete die geplanten Zäune als "ein Zeichen der Entsolidarisierung und der Orbanisierung der ÖVP". Das berüchtigte "Türl mit Seitenteilen" wurde kaum gebraucht, weil bald nach der Fertigstellung der Flüchtlingszustrom nachließ. Aber das Equipment wurde nicht weggeworfen, nur verstaut. "Wir könnten das komplette System jederzeit binnen drei, vier Stunden hochfahren", zitierte die "Kronen Zeitung" jüngst den steirischen Vizemilitärkommandanten Ernst Trinkl. Alles sei noch da, die Computer, Fingerabdruckscanner, Toiletten, Zäune, Zelte. Aktuell werde die Ausstattung "auf ihre Gebrauchsfähigkeit" überprüft, so der Oberst.

Von den Grünen kommt zu solchen Geschichten kein Mucks. Und das ist nicht bloß Koalitionsräson, sondern schlicht politische Vernunft. Dass sich Ereignisse wie im Herbst 2015 keinesfalls wiederholen dürfen, ist mittlerweile Konsens im Land. Sogar die Caritas würde dem vermutlich zustimmen. Grenzen kann man schützen, auch darüber ist man sich weitgehend einig. Sebastian Kurz hat mit seiner harten Linie in vielen Fragen nicht nur recht behalten -er verdankt dem Thema auch zwei Wahlsiege. Diese Lektion haben alle verstanden.

Gewisse Ernüchterung

Österreich hat in den vergangenen fünf Jahren sehr viele Asylwerber aufgenommen, und der Zustrom ist nach wie vor größer als in den meisten anderen EU-Ländern. Die Bevölkerung hat mehrheitlich erst einmal genug davon, Hilfsbereitschaft gibt es derzeit nicht en gros (siehe Umfrage). Grün-Mandatar Bürstmayr versteht das. "Es ist natürlich schwierig, wenn große Fluchtbewegungen zu rasch hintereinander stattfinden", meint er. Dazu gesellt sich auch eine gewisse Ernüchterung, weil die Realität doch weniger perfekt ausfiel, als in den Zeiten der Willkommenskultur viele gehofft hatten. Gekommen sind letztlich nicht nur gut ausgebildete Musterdemokraten, die es kaum erwarten konnten, sich mit der europäischen Lebensart vertraut zu machen. Die ÖVP schickte am Donnerstag noch Integrationsministerin Susanne Raab in den Ring, um darzulegen, was ohnehin jeder weiß: Die Integration so vieler Menschen aus anderen Kulturkreisen ist ein bis dato nicht bewältigter Kraftakt. "Österreich hat die Folgen von 2015 noch nicht überstanden", erklärte Raab.

Die Pressekonferenz der Ministerin wurde von Aktivisten sozialdemokratischer Jugendorganisationen gestört. "Grenzen schließen heißt Menschen erschießen" stand auf einem der mitgebrachten Transparente. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner würde das eher nicht unterschreiben. Sie weigerte sich in Interviews standhaft, die Frage zu beantworten, ob sie dafür sei, Frauen und Kinder aus Griechenland zu holen. Stattdessen plädierte sie mehrfach für "Hilfe vor Ort".

"Das reicht vielen nicht"

Noch ist das Problem, zumindest geografisch, weit weg. Auch in anderen EU-Ländern wird gestritten, ob und wenn ja, wie man den Menschen in den Elendsquartieren auf den griechischen Inseln helfen soll. Entschieden wurde in Brüssel bisher nichts, es eilt also auch in Österreich nicht. Viele Debattenbeiträge sind hauptsächlich an die eigenen Fankurven gerichtet: Die ÖVP demonstriert Härte, weil sie dafür gewählt wurde, die Grünen zeigen Mitgefühl, weil ihre Wähler das gerne sehen. Auf die Frage, ob er jetzt lieber in der Opposition säße, um von dort den Regierungskurs zu geißeln, hat Michel Reimon eine klare Antwort: "Nein, sicher nicht. Es wäre natürlich einfacher, aber da könnten wir überhaupt nichts bewirken." So sei es immerhin gelungen, die drei Millionen Euro Soforthilfe für Syrien aufzustellen: "Das reicht vielen nicht, aber es ist auch nicht nichts."

Einen Grund, den Koalitionsmechanismus in Gang zu setzen, gebe es derzeit nicht, heißt es in der Partei. "Das wäre anders, wenn an der österreichischen Grenze Tausende Flüchtlinge stehen", meint ein grüner Funktionär. Aus Jux und Tollerei oder wegen ein paar beleidigter Twitter-Follower werde man die Notbremse sicher nicht ziehen: "Weil dann ist es mit dieser Regierung wahrscheinlich vorbei."

Und das will wirklich keiner. Birgit Hebein, grüne Vizebürgermeisterin in Wien, könnte aus Wahlkampftaktik schärfer formulieren als die Kollegen im Bund - vermeidet das aber tunlichst. Sie halte die Zustände in Griechenland für eine Katastrophe, sagt sie: "Aber es ist keinem Kind geholfen, wenn ich jetzt irgendwem etwas ausrichte. Der Dialog mit der ÖVP läuft, und das ist gut."

Rosemarie Schwaiger