Leonore Gewessler

Populisten und Aktivisten: So ticken die neuen Grünen

Vier Grünen-Nationalräte im Porträt. Wer sind Barbara Neßler, Lukas Hammer, Leonore Gewessler und David Stögmüller?

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Was war der spannendste Moment in deinem bisherigen politischen Leben?", fragte der Coach bei einem Teambuilding-Seminar im vergangenen Sommer die 30 aussichtsreichsten Grünen, die bei den Nationalratswahlen kandidierten. Heute fiele die Antwort leicht: "Sonntag, 29. September, 17:10 Uhr. Der Moment, in dem der grüne Balken nach oben schießt und erst bei 14,3 Prozent stoppt."

Das war trotz konstant verheißungsvoller Umfrageergebnisse ein kleines Wunder: 2017 aus dem Parlament geflogen, zwei Jahre später zurückgekehrt, und zwar triumphal. Als das gesickert war, begannen die Funktionäre und Anhänger der Grünen bei der Wahlparty im Wiener Metropol" im Kopf zu addieren und kamen rasch auf eine rechnerische Mehrheit mit der ÖVP. Aus dem Nichts wieder aufzutauchen und gleich als erstgereihter potenzieller Regierungspartner zu gelten - dafür gibt es in der Zweiten Republik keinen Präzedenzfall.

Aber für die meisten Grünen, die sich hinter dem Spitzenkandidaten Werner Kogler scharen, ist ohnehin alles, was jetzt kommt, ein Neuanfang. Sie heißen Barbara Neßler, David Stögmüller, Leonore Gewessler und Lukas Hammer, und wer diese Namen noch nie gehört haben sollte, braucht sich dafür nicht zu schämen. Die grünen Abgeordneten kannten einander bis vor wenigen Wochen auch nicht. Nun rücken sie ins Rampenlicht, und jeder will wissen: Wer sind sie? Was wollen sie?

David Stögmüller

Der Populist

Als die Grünen vor knapp zwei Jahren aus dem Nationalrat flogen, war David Stögmüller einer von lediglich zwei verbliebenen Mandataren im Parlament - als Abgeordneter zum Bundesrat. Ohne Klub und ohne Mitarbeiter fokussierte sich Stögmüller in der kaum beachteten Länderkammer auf eine Kernaufgabe der Opposition: Kontrolle. Wie Nationalräte können auch Bundesräte parlamentarische Anfragen an den Bundeskanzler und die Minister einbringen, und von diesem Recht machte Stögmüller ausführlich Gebrauch. Rund 160 Mal verlangte der 32-jährige Oberösterreicher in den vergangenen zwei Jahren Auskunft von Regierungsmitgliedern und brachte damit einige brisante Details in Erfahrung -etwa, dass Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) die durchschnittliche Dauer von Asylverfahren fälschlicherweise mit sechs Monaten bezifferte. Die tatsächliche Zahl liegt bei 16 Monaten. Weil die Grünen nur zwei Abgeordnete im Bundesrat stellen, für Anfragen aber die Unterschriften von drei Bundesräten Voraussetzung sind, musste Stögmüller zu den SPÖ-Mandataren betteln gehen. Meistens einte Rot und Grün das gemeinsame Interesse gegen die Regierung. Trotzdem habe er noch "circa 20 fertige Anfragen herumliegen, wo mir die SPÖ die Unterschrift verweigerte", sagt Stögmüller. Eine davon betrifft den Waffenproduzenten Glock. Denn der Ferlacher Bürgermeister vertritt die SPÖ im Bundesrat - und dort hat Glock seinen Firmensitz.

Im neuen grünen Nationalratsklub will Stögmüller an die Tradition der Parteipioniere anknüpfen: "Der Rechnungshof ist der Anwalt der Steuerzahler", zitiert er die verstorbene Grünen-Nationalrätin Gabriela Moser. "Für diese Themen muss man natürlich ein bisschen ein Nerd sein", sagt Stögmüller. Mit dem Ex-Grünen Peter Pilz, der die Korruptionsjagd zu seinem Markenzeichen gemacht hat, will er sich lieber nicht vergleichen. Eine Eigenschaft könne er sich von Pilz aber abschauen: "Manchmal muss man einfach populistisch sein."

Die Mentorin

Leonore Gewessler war in den vergangenen Jahren so etwas wie der Telefonjoker von Grünen-Chef Werner Kogler. Wann immer Kogler für die politische Auseinandersetzung fundierte Kritik an den geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA brauchte, konnte er die damalige Geschäftsführerin der Umweltschutzorganisation Global 2000 konsultieren. An einem Freitagnachmittag im Juni 2019 klingelte wieder einmal Gewesslers Handy; allerdings wollte Kogler diesmal keinen Rat, sondern versuchte, die hauptberufliche Umweltaktivistin zu einer Kandidatur für die Grünen zu bewegen. Es musste schnell gehen, schließlich hatte niemand mit Neuwahlen gerechnet. Gewessler sagte zu und steht nun symbolisch für die von Kogler beschworene "Öffnung der Partei".

Die Klimaaktivistin kann stundenlang über "falsche Anreize" und "ungenützte Potenziale" reden. Sie hat sich für ihre erste Legislaturperiode ein ehrgeiziges -und kostspieliges - Programm vorgenommen: "Die Photovoltaik-Förderung ist zu Jahresbeginn nach drei Minuten ausgeschöpft. Das zeigt: Die Leute wollen, aber wir lassen sie oft nicht." Auch im öffentlichen Verkehr denkt Gewessler in großen Dimensionen. Besonders in Niederösterreich und dem Burgenland ortet sie ein "hohes Pendleraufkommen" und "ein unterausgeprägtes Öffi-Angebot". Allein im Burgenland müsste laut grünen Berechnungen zumindest eine Milliarde Euro in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs fließen. Dafür will die Ökopartei auf Autobahnprojekte verzichten. Selbstverständlich zählt auch eine "ökosoziale Steuerreform samt CO2-Steuer" zum Forderungskatalog der frischgebackenen Grünen. Eine Oppositionspolitikerin kann so etwas leicht einfordern. Ob es auch in einer allfälligen Regierungskoalition durchzusetzen ist?

Lukas Hammer

Der Heimkehrer

Lukas Hammer wurde von den Grünen als "Quereinsteiger" präsentiert. Dabei ist er das gar nicht, denn der Spitzenkandidat der wichtigsten grünen Landesorganisation, jener von Wien, arbeitete sechs Jahre als Fachreferent für Energie und Umwelt im grünen Parlamentsklub. Als hätte Hammer das Debakel bei den darauffolgenden Wahlen geahnt, verließ er die Grünen im Mai 2017 Richtung Greenpeace.

Der Frust über die eigene Partei machte ihm den Wechsel leicht: "Wir haben uns damals vor den Schlagzeilen im Boulevard gefürchtet und uns deshalb vor klaren Positionen weggeduckt. Es hat sich gezeigt: Damit gewinnt man nichts", sagt Hammer.

Bei der global bekannten Umweltschutz-NGO musste er keine Rücksicht auf Meinungsumfragen nehmen. Im Gegenteil: Mit Aktionismus und maximaler Zuspitzung versucht Greenpeace, das Bewusstsein in der Bevölkerung zu drehen. Manchmal führt auch sanfter Druck zum Erfolg. Durch Hammers Überzeugungsarbeit stellte der Molkereibetrieb Berglandmilch von Einweg-Glasflaschen auf ein Mehrwegsystem um. Das reicht Hammer aber nicht: "Wir können das auch gesetzlich verpflich tend einführen." Dem Grünen schwebt ein Pfandsystem wie in Deutschland vor, das auch für Dosen sowie Plastikflaschen gilt. "Wenn die Konsumenten sowieso alle Behälter zurückbringen müssen, greifen sie eher zu Mehrwegflaschen", glaubt Hammer.

Der 36-jährige Wiener kennt ökologische Mindeststandards bis ins kleinste Detail: Vor seinem Grünen-Engagement arbeitete er für den europäischen Verbraucherschutzverband. "Dieses iPhone ist eigentlich gesetzwidrig", deutet er auf das Smartphone am Tisch: "Denn der Akku ist fix verbaut. Aber Apple nimmt lieber die geringen Strafen in Kauf, als das Gerät so zu bauen, dass man es leichter reparieren kann."

Barbara Neßler

Das grüne Schaf

Im elterlichen Wirtshausbetrieb im Bregenzerwald sorgte die jugendliche Barbara Neßler als Kellnerin für reichlich Verwunderung unter den Stammgästen. Wenn die Männerrunde an der Theke politisierte, war Neßler so gut wie immer anderer Meinung. "Die haben meine Eltern schon gefragt, was los mit mir ist - ob ich denn grün sei." Eine solche Zuschreibung galt in dem kleinen, konservativ geprägten Dorf in Vorarlberg eher nicht als Kompliment. Die Wirtsleute konnten den Stammgästen die Ansichten ihrer Tochter nicht erklären, zumal Neßlers Vater einst ÖVP-Ortsvorsteher war. "Von uns hat sie das nicht", sagten sie dann beschwichtigend.

Der Einzug in den Nationalrat ist der bisherige Höhepunkt einer politischen Blitzkarriere: Erst 2016 begann sich Neßler bei der grünen Studentenorganisation an der Uni Innsbruck zu engagieren. Zwei Jahre später zog sie in den Innsbrucker Gemeinderat ein. Und nun ist sie Nationalrätin. Neßlers wichtigstes Projekt in Innsbruck: "Wir haben ein Hilfskonzept für Frauen im Nachtleben umgesetzt. Über einen Verein schulen wir Gastronomen, wie sie reagieren können, wenn sich Frauen belästigt fühlen." Das Konzept funktioniert mit einem Code: "Ist Luisa da?" - "Wenn ich dem Kellner als Frau diese Frage stelle, bringt er mich in einen 'safe space'", erklärt Neßler. 16 Lokale machen mit, sie sind durch "Luisa ist da"-Sticker am Eingang zu erkennen.

Um ihr Lehramtsstudium in Deutsch und Geschichte abzuschließen, fehlt der ersten Studentin in der Familie noch das Unterrichtspraktikum. In den kommenden Jahren wird dafür eher keine Zeit bleiben. Ihr Aufgabenfeld im grünen Klub wird erst bei der Klausur in dieser Woche definiert.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.