Haslauer im Abschiedsinterview: „Ich werde in Zukunft nicht nur Rasen mähen“
Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer, ÖVP, verlässt die Politik. Ein Gespräch über Demokratie-Ermüdung, türkise PR und das Regieren mit der FPÖ.
Angesichts des Amoklaufs in Graz mit zehn Opfern verstummt auch die Politik. Was wäre die angemessene Reaktion auf diese Tragödie?
Wilfried Haslauer
Da verblasst alles andere und wird unwichtig. Es ist entsetzlich. Kinder gehen in die Schule und werden getötet. Der Amoklauf zeigt auch die Grenzen der Sicherheit auf. Es ist fraglich, ob wir uns gegen einen solchen Wahnsinn zu hundert Prozent schützen können. Wir wollen eine offene Schule und keine Sicherheitsschleusen, an denen die Taschen der Kinder und Jugendlichen durchsucht werden. Wir müssen uns jetzt fragen, wie sehr wir bereit sind, unsere Freiheit deswegen einzuschränken.
Sie treten am 2. Juli als Landeshauptmann zurück. Ihr Abschied aus den Funktionen vollzieht sich Schritt für Schritt. Aus dem Feuerwehrrat sind Sie schon ausgeschieden. Wehmut?
Haslauer
Nein, keine Wehmut, das ist einfach der Lauf der Dinge. 21 Jahre in der Landespolitik sind eine lange Zeit. Es ist gut, wenn jetzt eine jüngere Generation das Ruder in die Hand nimmt. Meine Nachfolgerin Karoline Edtstadler, Landeshauptmann-Stellvertreter Stefan Schnöll, aber auch Marlene Svazek gehören einer deutlich jüngeren Generation an.
FPÖ-Chefin Svazek hat kürzlich in einem Interview gemeint, sie habe in der schwarz-blauen Koalition als Landeshauptmann-Stellvertreterin auch einiges von Ihnen gelernt.
Haslauer
Freut mich, wenn sie das so sieht. Wir haben keine leichte Vergangenheit miteinander gehabt. Wir haben uns heftig ausgetauscht, auch im Wahlkampf. Ich habe auch kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich 2023 erhebliche Entscheidungsschmerzen hatte, mit den Freiheitlichen eine Koalition zu bilden. Es hat sich zum Guten gewendet. Wir pflegen eine sehr pragmatische und wertschätzende Zusammenarbeit.
Die Freiheitlichen verfolgen eine radikale Rhetorik.
Haslauer
Die Radikalität in der Sprache und im Auftreten hat zumindest in Salzburg entscheidend abgenommen. Das ist mir sehr wichtig, weil ich es für die weitere Entwicklung unseres Landes für entscheidend halte, wie man miteinander umgeht. Hier hat die Politik eine Vorbildrolle, die sie momentan in Summe nicht erfüllt.
Polarisierung in der politischen Auseinandersetzung ist kein neues Phänomen.
Haslauer
Ja, aber nun geht es immer mehr ins Persönliche. Man kann Meinungsverschiedenheiten mit Leidenschaft und gewürzten Argumenten austragen. Grundlage sollten immer Toleranz und Respekt vor anderen Meinungen und vor anderen Persönlichkeiten sein.
Stattdessen regiert rechthaberische Besserwisserei, wie Sie das einmal genannt haben.
Haslauer
Wenn jemand meint, den Alleinanspruch auf die Wahrheit zu haben, hat er Demokratie nicht verstanden. Das ist das Gefährliche daran.
Offenbar fällt es in Politik und Gesellschaft immer schwerer, fremde Meinungen auszuhalten.
Haslauer
Durch die Vielfalt der Medien, der klassischen und der sozialen, muss man offenbar derart hart und übertrieben in der Argumentation sein, um überhaupt noch vorzukommen. Das ist keine gute Entwicklung.
Niemand hat das so verinnerlicht wie der Bundesparteiobmann Ihrer Koalitionspartnerin. Herbert Kickl hat das Publikum der Eröffnungsfeier der Salzburger Festspiele im Vorjahr bekanntlich als „Inzuchtpartie“ bezeichnet.
Haslauer
Wir haben im Salzburger Landtag sehr unterschiedliche Parteien, die sehr rechts und sehr links angesiedelt sind, von der FPÖ bis zur KPÖ. Aber die Auseinandersetzung findet sachlich statt. Ich würde keiner Fraktion absprechen, im Rahmen ihres eigenen Gesellschaftsentwurfes das Beste für das Land zu wollen.
Als Sie 2013 Landeshauptmann wurden, stand das Land unter dem Eindruck eines Skandals um Wertpapierspekulationen. Sie meinten damals, Salzburg müsse wieder „ein Bundesland werden, das etwas Besonderes ist“. Gelungen?
Haslauer
Wir sind wirtschaftlich das Bundesland mit dem höchsten Brutto-Regionalprodukt pro Kopf, klar vor Wien. Wir haben die geringste Arbeitslosigkeit unter den Bundesländern. Wir profitieren von der Lage und Schönheit Salzburgs, von der Kultur. In Wissenschaft und Forschung haben wir aufgeholt. Wir haben eine für uns wichtige Industrie, sind stark dienstleistungsorientiert, nicht nur im Tourismus. Die großen Handelsketten haben Zentralen in Salzburg.
Alles schön und gut. Aber derzeit hat Salzburg finanzielle Probleme. Das Defizit wird heuer ohne Gegenmaßnahmen 480 Millionen Euro betragen. Für die Landesfinanzen sind Sie zuständig.
Haslauer
Man muss zunächst sagen, dass die Schulden des Landes in den letzten zehn Jahren mehr als halbiert wurden. Dazu war kein Kahlschlag notwendig. Jetzt trifft uns die schlechte wirtschaftliche Entwicklung voll. Aber wir haben uns in den letzten Jahren die Bewegungsspielräume erarbeitet, um gegensteuern zu können. Und von den angesprochenen Schulden geht der Großteil in Investitionen. Wir haben ein Investitionspaket mit an die 700 Millionen Euro geschnürt. Das Geld fließt in die Spitäler, in die Gesundheit, in Kulturbauten, in Schulen und Universitäten. Beim Wachstum schrammen wir an der Nulllinie entlang. Wir kommen schon wieder in die Gänge.
Dennoch muss kurzfristig auch eingespart werden, um das Defizit zu senken.
Haslauer
Natürlich ist jetzt auch eine gute Gelegenheit, sich einmal alles anzusehen und zu prüfen, was man wie macht und ob es effizienter ginge.
Vergangene Woche gab es ein Treffen der Bundesregierung mit den Landeshauptleuten und Gemeindevertretern in Leogang. Bund, Länder und Gemeinden wollen sich 18 Monate Zeit nehmen, um eine große Verwaltungsreform zustande zu bringen. Sie haben als derzeitiger Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz eine „Reformpartnerschaft“ versprochen, die einzigartig sein wird. Das klingt sehr optimistisch.
Haslauer
Wir haben den Startschuss abgegeben. Mir ist wichtig, dass diese Initiative von den Landeshauptleuten ausgeht. Wir kennen ja das Föderalismus-Bashing in Wien, das eine liebgewonnene Gewohnheit ist. Wir Landeshauptleute sind keine Fürsten der Finsternis, ganz im Gegenteil. Es stimmt schlichtweg nicht, dass wir gegen jede Änderung wären und gleichzeitig mehr Geld wollen.
Aber genau so war es bisher eigentlich.
Haslauer
Nein, die Länder waren immer bereit, Reformen mitzutragen. Der Unterschied zu früher ist jetzt, dass die Länder Mitgestalter sind. Früher waren wir immer diejenigen, die von der Bundesregierung informiert wurden, welche Reformmaßnahmen angedacht sind. Auch die Gemeinden können sich nun in den Reformprozess aktiv einbringen. Dass diese drei Ebenen zu diesem Projekt zueinandergefunden haben, ist in dieser Form neu. Die Frist von 18 Monaten ist allerdings außerordentlich ambitioniert. Aber Scheitern ist verboten.
Dass die Länder bei diesem Reformprojekt federführend sind, könnte man auch als Drohung sehen. Zentral gelenkt könnte das besser funktionieren.
Haslauer
Wir sind ein Bundesstaat. Reformen gehen nicht über den Kopf der Länder hinweg. Wir haben uns im Vorfeld der Landeshauptleutekonferenz intensiv mit der Bundesregierung ausgetauscht.
Aber die Skepsis der Bürger, dass es diesmal wirklich zu Reformen kommt, verstehen Sie schon?
Haslauer
Der gelernte Österreicher ist immer skeptisch, wenn etwas angekündigt wird. Jetzt ist einmal ein Startschuss für ein gemeinsames Vorhaben abgegeben.
Was für Reformen spricht, ist der enorme Leidensdruck angesichts des explodierenden Budgets und der schlechten Konjunktur.
Haslauer
Ich würde sagen, der Handlungsdruck ist enorm.
Man kann jetzt boshaft sagen, ein Landeshauptmann wie Sie, in statu abeundi, tut sich am Ende seiner Amtszeit leichter damit, Reformen anzukündigen, die er selbst nicht mehr umsetzen muss.
Haslauer
Man kann immer etwas Negatives finden, das ist klar. Jetzt müssen die ersten Schritte erfolgen. Alles Weitere ist dann Aufgabe der kommenden politisch Verantwortlichen. Ich habe den Eindruck, dass Bundeskanzler Christian Stocker entschlossen hinter diesem Projekt steht.
Ist der Zentralismus aus Sicht eines Landeshauptmanns noch schlimmer als der Föderalismus?
Haslauer
Die Schweiz hat 26 Kantone und einen stärker ausgebauten Föderalismus. Das ist ein weltweit anerkanntes Erfolgsmodell.
Die Kantone haben eigene Steuerhoheit und liefern sich einen Fiskal-Standortwettbewerb. So weit wird es bei uns ja nicht kommen.
Haslauer
Das wird bei uns nicht der Fall sein. Aber insgesamt ist der Föderalismus auch in Österreich ein Erfolgsmodell. Jetzt hängen wir etwas durch. Aber da kommen wir schon wieder raus. Ich wünsche mir mehr Zuversicht und Tatendrang und weniger Sorge und Angst vor dem Scheitern. Die Leute sind zutiefst verunsichert. Was passiert da auf der Welt? Ist mein Arbeitsplatz noch sicher? Und ist unsere Regierung überhaupt in der Lage, das Land in diese Zukunft mit all ihren Unsicherheiten zu führen?
Können Sie uns irgendein kleines Puzzleteil der zu erwartenden Reformen nennen? Beim Bildungsthema etwa? Wie lange wird es noch Landes- und Bundeslehrer geben?
Haslauer
Wir haben ein paar Bereiche in Österreich, die eine unfassbare Ausgabendynamik haben. Ob man etwa die derzeitigen Bildungsdirektionen, die Mischbehörden mit Bundes- und Landeszuständigkeiten sind, anders aufstellt, wäre zu prüfen. Bei der Gesundheit gibt es auch allzu komplizierte Strukturen. Bei der Energie müssen wir ein System finden, das die Energiekosten für die Wirtschaft und die Haushalte reduziert.
Sie haben einmal vor „wohlstandssaturierter Verhinderungsmentalität“ gewarnt. Geht es uns zu gut?
Haslauer
Auch wenn es viele Menschen mit finanziellen Sorgen gibt, stecken wir schon ein bisschen in der Wohlstandssaturiertheit fest. Es ist eine bemerkenswerte Demokratie-Ermüdung vorhanden und auch eine gewisse Wohlstandslangeweile. Wir müssen wieder in eine Dynamik, ins Gestalterische hineinkommen. Und natürlich, wenn alles und jedes durch irgendwelche Individualbetroffenheiten verhindert wird, dann wird es schon kompliziert.
Wie wollen Sie die Demokratiemüdigkeit überwinden?
Haslauer
Es stimmt ja: Demokratie kann mühsam und langatmig sein. Sie hat mit Diskussionen zu tun, auch mit Kompromissen. Aber im Endergebnis hat sie uns Wohlstand und Sicherheit beschert. Aber jetzt merkt man, dass sich etwas verändert, dass in der westlichen Welt unter Umständen eine andere Form sich entwickelt. Welche das sein wird, weiß man nicht so genau. Sind es autoritäre Reformen wie in Ungarn? Wir sind in einem Transformationsprozess, einer Zeitenwende vielleicht.
Auch Österreich hätte fast einen Rechtspopulisten als Bundeskanzler bekommen.
Haslauer
Fast, ja. Aber das ist ein österreichisches Fußballerschicksal. Kickl hätte international unser Ansehen sicher beschädigt.
Die Politik entwertet sich auch selbst, wenn etwa Politiker demonstrativ auf die gesetzlich festgelegte Erhöhung ihrer Bezüge verzichten.
Haslauer
Ich halte nichts davon, dass man sich als Politik selbst, wie es so schön auf Neudeutsch heißt, downgradet. Damit zeigt man nur, dass man sich selbst nichts wert ist. Wir haben ein System mit gewählten Volksvertretern und Politikern in Regierungsfunktionen. Und diesen sollte man auch Respekt entgegenbringen. In Salzburg haben wir daher die Bezüge für die Politiker wie gesetzlich vorgesehen angepasst.
Die Wiener Gemeinderatswahl im April hat wieder einmal gezeigt, dass die ÖVP ein Problem in Städten hat. In der Stadt Salzburg wurde die Volkspartei bei der Gemeinderatswahl 2024 nur Dritte, hinter den Kommunisten.
Haslauer
Bei der Landtagswahl 2023 war die ÖVP in der Stadt Salzburg die stärkste Partei. Und Wahlen sind nun einmal so. Manchmal bist du voran und dann wieder nicht.
Da machen Sie es sich jetzt aber schon leicht.
Haslauer
Wir sehen ein Auseinanderdriften der städtischen Lebenswelten gegenüber den ländlichen. Die Individualisierung in der Stadt ist größer, die Anonymität auch, das Unterhaltungsprogramm ist ein anderes. In den ländlichen Gemeinden haben wir eine stärkere Einbindung über die Vereine, über die Gemeinschaft. Hier ist die ÖVP präsent. In der Stadt fehlen uns diese Begegnungsräume.
Sie wollten die ÖVP als bürgerliche Partei der Mitte positionieren. Was ist denn Bürgerlichkeit in Ihrer Vorstellungswelt?
Haslauer
Aus meiner Sicht basiert Bürgerlichkeit auf zwei Fundamenten. Das eine ist das christliche Weltbild: die Einmaligkeit jeder Person, ihre Unverletzlichkeit, jeder Mensch ist ein Universum für sich. Daraus resultiert die Menschenwürde, die Solidarität, auch die Bereitschaft zur Vergebung. Aber auch die Verpflichtung, aus seinem Talent etwas zu machen, aus seinem Leben etwas zu machen, gehört zur Bürgerlichkeit. Wenn man irgendwann gefragt wird, was hast du aus deinem Leben gemacht, dann solltest du eine Antwort geben können. Und da geht es nicht nur darum, dass man für sich selbst das Optimale herausholt, sondern dass man auch Teil einer Gemeinschaft ist. Das zweite Standbein der Bürgerlichkeit resultiert aus der Aufklärung: Rechtsstaatlichkeit, ein geordnetes Zusammenleben, Glaube an die Wissenschaft, Vernunftbezogenheit. Mit Letzterer haben wir momentan ein bisschen Probleme.
Das meiste davon könnten andere Parteien auch unterschreiben.
Haslauer
Da gibt es schon sehr starke Abweichungen von anderen Gesellschaftsentwürfen, wie zum Beispiel dem sozialdemokratischen Glauben an einen paternalistischen Staat.
Wobei die ÖVP auch eine etatistische Partei sein kann.
Haslauer
Ja, bisweilen.
Sie blieben immer ein Schwarzer, der das Türkise in der ÖVP einmal „eine PR-Maßnahme“ genannt hat.
Haslauer
„PR-Maßnahme“ klingt ein wenig zu kritisch. Aber die PR-Nähe von Türkis war schon sehr ausgeprägt. Da bin ich persönlich etwas zurückhaltender.
Was haben Sie aus Ihrem Leben gemacht?
Haslauer
Es ist ja noch nicht zu Ende. Meine Aufgabe als Landeshauptmann ist erledigt. Jetzt kommt einmal ein schöner Sommer.
Und dann?
Haslauer
Ich werde in Zukunft sicher nicht nur Rasen mähen.
Das Amt des Bundespräsidenten reizt Sie nicht?
Haslauer
Für mich ist das Kapitel Politik abgeschlossen. Es war mir eine Ehre.
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und seit 2025 Leiter des Innenpolitik-Ressorts. Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl.