"Kriege gehören ins Museum! Aber wie?"

Hat das Heeresgeschichtliche Museum in Wien eine Zukunft?

Eine neue Historikergeneration sagt: Nein, in der Form nicht, und fordert eine Reflexion über Militär und Krieg, die einer Republik würdig ist.

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Bei der Lektüre eines Buchs von Ingeborg Bachmann war Elena Messner, unser Gast beim profil-history-Podcast, einst auf das Heeresgeschichtliche Museum (HGM) neugierig geworden. Die Figur Malina im gleichnamigen Roman, erschienen 1971, ist ein beamteter Angestellter des HGM, der „vorrückt, ohne sich zu bewegen, ohne sich je bemerkbar zu machen durch Einmischungen, Ehrgeiz, Forderungen oder unlautere Verbesserungsgedanken an den Prozeduren zwischen dem Verteidigungsministerium und dem Museum im Arsenal, das, ohne besonders aufzufallen, zu den merkwürdigsten Einrichtungen unserer Stadt gehört“. 

Als Messner dann in den 2000er-Jahren das erste Mal den riesigen, rot-ziegeligen, im maurisch-byzantinischen Stil gestalteten Bau betrat, war sie perplex. Die Welt des HGM war noch immer eine Welt von gestern. Als sei die Zeit stehen geblieben.  

Und sie steht noch immer. Lokalaugenschein Montag vergangener Woche: Weich knackendes Parkett, braun-schwarzes Mobiliar, warmes Licht von Kristalllustern – so hat Rembrandt gemalt. Saal um Saal, chronologisch angeordnet: lebensgroße Figuren in Uniformen; Lanzen, Piken, Säbel und Schwerter in artiger Anordnung, arrangiert wie Blüten nach japanischer Blumensteckkunst. Orden und Schlachtengemälde, Büsten, Kriegsreliquien und Schreine, mit denen mehr oder weniger erfolgreichen Heerführern der Habsburger gedacht wird; massenhaft Beutestücke und Trophäen. Die Machtdemonstration einer untergegangenen Welt. Was ist der Sinn dahinter?

Je näher man der Gegenwart rückt, desto unheimlicher und entrückter wirkt das Ausgestellte.  Da stehen lebensgroße Figuren in Wehrmachts-SS- und HJ-Uniformen, Wimpel, Schilder, Alltagsgegenstände aus der NS-Zeit ruhen in Vitrinen, die Beschreibung dazu ist kaum lesbar im sich spiegelnden Glas.  Der  lange Saal, der die Ausstellung „Diktatur und Republik“ beherbergt, schläft im trüben Zwielicht; über den Köpfen der Besucher baumelt der „Fieseler Storch“, offenbar ein Flugzeug der Wehrmacht, mit aufgemalten reichsdeutschen Hoheitszeichen.

Der Historiker und Kurator des Vorarlberg-Museums Peter Melichar ging der Herkunft dieses rätselhaften Objekts nach. Es stellte sich als Leihgabe des Technischen Museums und als eines der Flugzeuge heraus, die 1943 nach Schweden geliefert wurden und nie in der deutschen Luftwaffe im Einsatz waren. Nachzulesen ist das in „Kriege gehören ins Museum! Aber wie?“, herausgegeben von der Kulturwissenschafterin Messner und dem Historiker Peter Pirker.  

Der Band versammelt kritische Stimmen zum derzeitigen Zustand des Museums. Es fehle ein Gesamtkonzept; es gebe keine Reflexion über Kriege und seine Opfer; weder die Kriegsverbrechen des Ersten Weltkrieges noch jene des Zweiten Weltkrieges würden thematisiert, auch nicht der Holocaust. Aus ästhetischer und  museologischer Sicht ein Versagen. Nichts werde gebrochen, alles nur schön präsentiert. 

Im Museumsshop sieht man das noch krasser. Militaria ohne Ende. „Das atmet kein republikanisches Selbstverständnis“, resümiert Elena Messner im profil-Podcast, „die Ausstellung zum Zweiten Weltkrieg ist einfach katastrophal. Ich glaube nicht, dass das Ministerium das gewollt hat.“

Und so herrscht in der Historikerzunft große Empörung darüber, dass der derzeit amtierende Direktor des HGM, Mario Christian Ortner, im Zuge der Neu-ausschreibung des Leitungspostens von einer im Verteidigungsministerium angesiedelten Bewertungskommission an vorderster Stelle gereiht wurde.

Der umstrittene Direktor Ortner ist freilich nur das Symptom eines Konflikts, der tiefer geht. Was man mit diesem Museum tun soll, ist eine Generationenfrage geworden. Eine Historikergeneration, die die Kolonialgeschichte aufarbeitet, den österreichischen Opfermythos lächerlich findet und bereit ist, Denkmäler zu stürzen oder zumindest kritisch zu hinterfragen, findet ein Festhalten am Habsburg-Mythos und militaristischen Heldenlegenden einer Republik unwürdig. 

Im Haus herrscht tiefes Misstrauen zwischen der Direktion und Teilen der Belegschaft. Mobbing,  so lautet der Vorwurf. Ein Protestbrief mit Unterschriften von Mitarbeitern ging an das Büro von ÖVP-Verteidigungsministerin Klaudia Tanner. Es folgte ein Gegenbrief – wiederum mit Unterschriften, organisiert aus der Chefetage. Einem Mitarbeiter, der profil durch zwei, drei Räume führte, wurde bedeutet, er hätte vorher offiziell bei der Pressestelle des Ministeriums anfragen müssen.  

Ortners Leitungstätigkeit wurde in den vergangenen zwei Jahren kein gutes Zeugnis ausgestellt. Nach Berichten der Website „StopptdieRechten“, dass  im Museumsshop Bücher aus rechtsextremen Verlagen, idealisierende Wehrmachts-Memoiren und Wehrmachts-Spielzeugpanzer verkauft würden, überprüfte eine Kommission die Vorwürfe. Ein Jahr verging. Und noch immer fand die Kommission nur 72 Prozent der Bücher „einwandfrei“. 

Ein Rechnungshofbericht im Jahr 2020 stellte „Missstände im Bereich Sammlungen“, unklare Besucherregistrierung und das Fehlen eines „Compliance Management Systems“ fest. Der Rechnungshof empfahl dem Museum „die Etablierung einer Antikorruptionskultur auf allen Hierarchieebenen“.  

56 Gegenstände sollen von Ortner und seinem Stellvertreter privat erworben und vom Museum angekauft und bezahlt worden sein. In bar. Ein merkwürdiger Vorgang war laut Rechnungshofbericht auch ein Bunker auf einem Bundesheergelände, in dem Museumsangestellte privat Panzerteile horteten.  Aus der Direktion hört man, sinngemäß, man habe gegenüber dem Rechnungshof die Dinge aufgeklärt. 

Beschämend ist das inhaltliche Manko, das diesem Museum, einem der größten in Europa, von vielen Seiten attestiert wird.  Eine Expertengruppe rund um Wolfgang Muchitsch, den ehemaligen Leiter des Grazer Joanneums, stellte dem HGM einen vernichtenden Befund aus. „Nicht mehr zeitgemäß und insgesamt unzureichend“ sei die Ausstellung „Republik und Diktatur“.  Durch die Zusammenstellung der Objekte und deren „mangelhafte Kontextualisierung ergeben sich problematische Interpretationsspielräume“.  

Es seien zu viele Hakenkreuze, NS-Insignien und Wehrmachtsuniformen ausgestellt, die dadurch entstehende Stimmung der Objekte wirke durch fehlende Kontextualisierung „verstörend“. Es fehle die „Auseinandersetzung mit der Rolle der Wehrmacht“. Die „Opfer der Gewalt“ sowie deren Zahl seien „nicht wirklich ersichtlich“.

Generell: kein Gesamtkonzept, keine Erzählung und auch  keine Leitidee.  Nur immer „Ruhm und Ehre“ des Hauses Habsburg und seiner Heerführer sowie propagandistische Verzerrungen bis hin zu stereotypen Feindbildern.

Der einzige Bereich, der in diesem Bericht gut wegkommt, ist die Arbeit mit Schulklassen, die von historisch-pädagogisch ausgebildetem Personal durchgeführt wird. Doch diese Geschichtsvermittler kommen von außerhalb und haben mit der Museumsleitung nichts zu tun. 

Kein anderes Museum wäre theoretisch so sehr am Puls der Zeit. Der Krieg in Europa ist näher gerückt. In Talkshows sitzen Experten und reden bis ins Detail über Waffensysteme, fachsimpeln über Kriegsstrategien und wie der Krieg enden könnte. Der Krieg ist unter Laien zum Konversationsthema geworden. 

Doch das HGM hilft nicht bei der Debatte. Gegründet wurde das Arsenal mit sieben Kasernen, Gewehrfabriken und Werkstätten in Hügellage am Stadtrand, um von dort aus Aufstände zu bekämpfen. Das Museum inmitten sollte eine Art Weiheraum sein. 

Die Ausstellung zum Zweiten Weltkrieg ist katastrophal. Ich glaube nicht, dass das Ministerium das gewollt hat.

Elena Messner

Kulturwissenschafterin 

Der Architekt Theophil Hansen, der auch das Parlament und andere Ringstraßengebäude plante, überwarf sich mit dem Kaiser. Er wollte kein Museum als Waffenkammer, keine Feldherrnhalle, in der 56 marmorne Kriegsführer aus dem Boden wachsen. Die Ruhmeshalle, ein prachtvoll mit Fresken geschmückter Kuppelsaal, hätte nach Hansens Vorstellung ein Friedensraum werden sollen. Der Kaiser hatte andere Vorstellungen.

Der verstorbene Schriftsteller Gerhard Roth schrieb einmal über einen Besuch im HGM: „Hätte man die Namen aller Gefallenen dieser Kriege, denke ich mir jetzt, auch nur mit einem Bleistift an die Wände geschrieben, das gesamte Gebäude des HGM wäre zu klein dafür gewesen.“ Zur Tradition des Hauses gehört auch, dass man über die Nachkriegsdirektoren, die NSDAP-Mitglieder waren, nobel schweigt. Einer von ihnen, Heinz Zatschek, war sogar im Büro von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der mit der „Endlösung der Judenfrage“ beauftragt war, tätig gewesen. Im Museum findet sich auf der Tafel für Zatschek dazu kein einziges Wort. 

„Wie Kriege entstehen, wie sie geführt werden, welche politischen Ziele sie verfolgen, was sie kosten, wer von ihnen profitiert, was sie zerstören, wie sie enden, welche langfristigen Auswirkungen sie haben und wie Friede oder relative Gewaltlosigkeit möglich sind“, das müsste ein Museum von heute schon thematisieren, sagt Messner. 

Bis zu Redaktionsschluss haben mehr als 70 Historiker und Historikerinnen, Kuratoren, Ausstellungsmacher und Experten in einem offenen Brief an Ministerin Tanner eine Neuausschreibung des Direktorenpostens gefordert. 

Christa   Zöchling

Christa Zöchling