Österreich

Heeresgeschichtliches Museum: Aufstand der HistorikerInnen

Eines der größten Museen Europas, das Wiener Arsenal, soll offenbar auch in Zukunft von jenem Mann geführt werden, der Uniformen, Panzer und NS-Propaganda-Gemälde ausstellen lässt und jede Reflexion über Kriegsschuld und Kriegsverbrechen vermeidet.

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Ein offener Protestbrief, gerichtet an Verteidigungsministerin Claudia Tanner, bekommt stündlich neue Unterstützer. Namhafte Historiker und Historikerinnen, Museumsleiter, Kuratoren, Kulturwissenschaftler und Kunsthistoriker aus dem In-und Ausland haben bereits unterschrieben. 

Unter diesem Link können Sie den Protestbrief lesen.

Dass ein solcher Aufschrei notwendig wurde, liegt an einer einzigartigen Konstruktion: das heeresgeschichtliche Museum ist direkt dem Verteidigungsministerium unterstellt und so ist auch die Bewertungskommission des Ministeriums zusammengesetzt: in ihr sitzen Militärs, Ministerialjuristen und Personalvertreter. Kein unabhängiger Experte, keine unabhängige Historikerin hat hier ein Wort mitzureden. Und so kommt es, dass sich der umstrittene, bisherige Direktor des Museums, Christian Ortner, wieder beworben hat und an aussichtsreicher Stelle  gereiht wurde.

Das „Museum im Arsenal“, so hat es die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann in ihrem Roman „Malina“ genannt, gehöre, „ohne besonders aufzufallen zu den merkwürdigsten Einrichtungen Wiens“-  so beginnt der Historiker Peter Melichar seinen  Essay über das „Elend der Traditionspflege“ in diesem Haus, das in den vergangenen Jahren augenfällig wurde. Und zwar durch kleine und größere Skandale.

Christian Ortner

Der Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums steht schon länger in der Kritik, zuletzt wurden Mobbing-Vorwürfe gegen ihn erhoben. Zudem wirft man dem HGM einen fragwürdigen Umgang mit der militärischen Vergangenheit Österreichs vor.

Es begann im Jahr 2019 mit Berichten über einschlägige Bücher und Wehrmachts-Replika, die im Museumsshop zu kaufen waren. Auf Flohmärkten am Rande von Panzer-Events, die das Museum einmal im Jahr abhielt, tauchten NS-Devotionalien auf; es wurde bekannt, dass einige Mitarbeiter mit ausgewiesen rechter Gesinnung dort tätig waren. Historiker, die sich die Dauerausstellung daraufhin einmal genauer ansahen, waren entsetzt. „In Deutschland wäre das längst zugesperrt worden“ urteilte etwa der Zeithistoriker Walter Manoschek. 

In der Ausstellung „Republik und Diktatur“ stößt der Besucher auf NS-Propaganda-Gemälde, Hitlerporträts und lebensgroße Figuren mit Wehrmachtsuniformen. Als Blickfang, mit robusten Ketten von der Decke hängend, wird ein Flugzeug der Wehrmacht, ein Fieseler Storch mit reichsdeutschen Hoheitszeichen,  das den ganzen Raum füllt, präsentiert. Das wirke „wie  Requisiten eines Stücks, deren Text nicht vorgegeben ist“, so die Historiker Hannes Leidinger und Verena Moritz.

Natürlich war das alles schon länger bekannt, doch nun wurde genauer hingeschaut. In den Ausstellungsräumen für die historischen Perioden davor hat man ebenfalls den Eindruck, die Zeit sei stehen geblieben. Hier werden habsburgische Heerführer verehrt und hochgehalten – der „stille Held“ ist Prinz Eugen. Die Kriegsverbrechen des Ersten und Zweiten Weltkriegs dagegen werden mit keinem Wort erwähnt. Dem Christ-Church Attentäter hatte das Museum seinen Postings nach zu urteilen, offenbar konveniert und der Identitären-Aktivist Martin Sellner gestaltete dort einen Video-Clip.

Im Herbst 2019 reagierte Thomas Starlinger, Kurzzeit-Verteidigungsminister im Kabinett der Übergangsregierung von Brigitte Bierlein, und setzte eine Kommission ein, der daraus folgende Bericht vom Jänner 2021 war vernichtend: Kein Gesamtkonzept, Habsburger-Kult,  Tradierung von Feindbildern. Die Ausstellung „Republik und Diktatur“ fand man „verstörend.“ Ein zweiter Bericht, der sich den Musemsshop vornahm, hatte nur gegen 72 Prozent der Bücher keine Einwände. Auch der Rechnungshof fand „gravierende Mängel“: Die Organisationsform (dem Ministerium unterstellt) sei zu hinterfragen. Keiner wisse, wo 3000 verliehene Objekte verblieben seien. In Außenstellen des Museums habe man „Bunker mit Panzerersatzteilen gefüllt“ gefunden. Museumsdirektor Ortner gab an, davon nichts gewusst zu haben.  Doch zweifellos wusste er von einem eigenartigen Geschäft, dass der Rechnungshof ebenfalls beanstandete. 54 Objekte hatte das Museum Ortner und seinem Stellvertreter abgekauft. In bar.

Der Leiter des DÖW (Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands), Gerhard Baumgartner fordert jetzt einen sofortigen Stopp des Vergabeverfahrens, die Offenlegung aller BewerberInnen und eine Einbeziehung des wissenschaftlichen Beirats  in das Auswahlverfahren.  „Dass ausgerechnet jener Direktor, dessen eklatante Führungsmängel zur Neuausschreibung geführt haben, sich nun wieder als aussichtsreicher Kandidat auf dem aktuellen Dreiervorschlag für die Besetzung der Direktion wiederfindet, erscheint absurd und völlig inakzeptabel“, schreibt er in einem Brief an Ministerin Tanner.

Die Entscheidung ist noch nicht gefallen.

Michael Bauer, Sprecher des Verteidigungsministeriums

Ministeriumssprecher Michael Bauer kalmiert: Die Ministerin sei strikt nach dem Ausschreibungsgesetz vorgegangen, habe vom wissenschaftlichen Beirat eine Expertise eingeholt und eine externe Beratungsfirma engagiert, deren Hearings noch laufen. „Die Entscheidung ist noch nicht gefallen.“

Christa   Zöchling

Christa Zöchling