Ärztin Stephanie Neuhold auf der Covid-Intensivstation
profil-Morgenpost

Impftiraden und kühle Köpfe auf der Intensivstation

Von verhärteten Fronten in der Pandemie und Ärztinnen, die trotzdem die Ruhe bewahren.

Drucken

Schriftgröße

Geht es Ihnen auch so, dass Sie kaum noch Menschen treffen, die einen kühlen Kopf bewahren? Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich versuche, die Causa prima nur beiläufig zu streifen oder – wie den sprichwörtlichen Elefanten im Raum – ganz auszublenden. So zu tun, als wäre die Pandemie nicht so wichtig oder überhaupt nicht da, ist kein sehr erwachsener Zugang, das gebe ich gerne zu. Aber ich habe in diesem Punkt ein bisschen Verständnis für mich. Und natürlich auch für alle anderen, die sich in den aufgeheizten Impfpflicht-Debatten und angesichts zunehmend aggressiver Manifestationen auf der Straße ab und zu wegducken. Man hofft halt, „im Leo“ ein bisschen erholsame Abkühlung zu finden.

Das Gespräch mit der Intensivmedizinerin Stephanie Neuhold für die Geschichte im aktuellen profil war eine wohltuende Ausnahme und hat schon deshalb einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Man möchte meinen, dass einer Ärztin, die im wichtigsten Corona-Spital der Millionen-Metropole Wien die Intensivstation leitet und seit eineinhalb Jahren hautnah miterlebt, wie Menschen nach einer Covid-19-Infektion mit dem Tod ringen, dass so jemandem auch einmal „das Geimpfte aufgeht“.  Es wäre nachvollziehbar. Zumal das Gros ihrer Patienten ungeimpft ist und die Ärztin sich ausrechnen kann, wie oft ein dramatischer Überlebenskampf vermeidbar gewesen wäre. Aber nein.

Als Neuhold vergangene Woche eine Dienstpause für ein profil-Video opferte, sagte sie, viele hätten „aus welchen Gründen auch immer den Sinn der Impfung noch nicht verstanden“. Auf das kleine „noch“ im Satz kommt es an, weil damit die Tür einen Spalt offen bleibt. Sie sagte das nicht bloß für das Video. Als meine Kollegin Patricia Bartos ihr Mikro und die Kamera eingepackt hatte, hakte ich nach: Sollte jemals Triage im engeren Sinne nötig werden, würden Geimpfte und Ungeimpfte immer noch gleich behandelt? Empfinde sie das insgeheim nicht doch als Zumutung? Für sie seien alle schwerkrank, antwortete Stephanie Neuhold – off the record, wie das im Journalistenjargon heißt. Fange man erst einmal an, die einen für behandlungswürdig zu halten und die anderen nicht – „machen wir uns doch selbst kaputt“.

Auf der Intensivstation haben sich Debatten erübrigt

Das ist die Tür, die sie nicht einmal einen winzigen Spalt offenlassen will. Wenn Menschen auf Neuholds Intensivstation landen, haben sich Debatten ohnedies erübrigt. Die meisten sind nicht mehr lange wach und müssen rasch intubiert werden. Davon abgesehen bewegt sich die Intensivmedizin ständig in der Nähe der Triage, weil Behandlungen in der Regel so arg und auch schmerzhaft sind, dass sie – erstens – nicht jeder aushält, und die behandelnden Ärzte – zweitens – auch zu normalen Zeiten darauf achten müssten, dass sie damit noch ein sinnvolles Ziel erreichen. Für Triage im engeren Sinn gäbe es Kriterien in der Schublade. Sie, Neuhold, hoffe, diese nie öffnen zu müssen. Und wenn doch? Dann können wir anderen nur hoffen, dass sich Ärztinnen und Ärzte von der Politisierung der Covid-Erkrankung und der Impfung nicht irre machen lassen und weiter mit kühlem Kopf ihre wertvolle Arbeit tun.

Kommen Sie gut durch die Woche,

herzlich,

Edith Meinhart

PS: Hat Ihnen die Morgenpost gefallen? Dann melden Sie sich jetzt an, um Ihren Werktag mit aktuellen Themen und Hintergründen aus der profil-Redaktion zu starten:

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges