WIEN-LIESING: Behördlich nicht genehmigter Unterricht.

Integration: Wie gefährlich sind Imam-Hatip-Schulen?

Türkische Werbefilme, türkische Fahnen im Klassenzimmer, türkische Abschlusszeugnisse: Wie bedenklich sind Imam-Hatip-Schulen?

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Am 28. Jänner 2017 geht ein You-Tube-Video online, das ein Versprechen ist: Eure Kinder sind bei uns in den besten Händen, lautet es. Man hört türkische Musik, sieht junge Männer, fast alle mit Bart, und Frauen, ausnahmslos mit Kopftuch; im Klassenzimmer hängt die türkische Fahne, auf einem Tisch liegen Bücher: islamisches Recht, osmanisches Türkisch, Geografie, Mathematik. Man hört und sieht kein deutsches oder englisches Wort.

Bis Redaktionsschluss klickten rund 1800 Menschen den Werbefilm der Imam-Hatip-Schule Wien (Viyana İmam Hatip Lisesi) an. Nun könnte er die Behörden interessieren. "Imam" steht für Vorbeter, "Hatip" für Prediger, "Lisesi" bedeutet Gymnasium. Der Name bezeichnet also eine Schule für Koranlehrer und Seelsorger. Nach etwa einer Minute erscheint Mesut Koca im Bild, der laut Insert der Direktor ist, preist den Wert von Bildung und mahnt, mindestens genauso wichtig sei jedoch die religiöse Erziehung.

Vergangene Woche platzte in den Wahlkampf die Nachricht, im ehemaligen Electrolux-Werksgebäude in Wien-Liesing finde nicht genehmigter Unterricht statt. Der Stadtschulrat erstattete Anzeige. Es steht der Verdacht im Raum, dass Geld aus der Türkei fließt. Das vor zwei Jahren beschlossene Islamgesetz verbietet islamischen Vereinen, den laufenden Betrieb mit ausländischer Hilfe zu bestreiten. Das im Bundeskanzleramt angesiedelte Kultusamt legte einen Zwischenprüfbericht vor. 150 Einrichtungen wurden unter die Lupe genommen. Die Regierungsparteien signalisieren, Kontrollbefugnisse ausweiten zu wollen. Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz kritisiert Versäumnisse.

Unter diesen Umständen will die Viyana İmam Hatip Lisesi nun keine Schule mehr sein. Der "Direktor" wurde zum Vereinsobmann und ist für Medien nicht zu sprechen. Die Debatte, welches Verständnis von profanen und religiösen Belangen in einer Imam-Hatip-Schule vermittelt wird und wie sie sich finanziert, ist wahlkampfbedingt aufgeladen. Ausländische Schulen sind nicht per se verwerflich. Österreich betreibt am renommierten St.-Georgs-Kolleg in Istanbul eine Handelsakademie und ein Gymnasium und in Guatemala das angesehene Instituto Austriaco Guatemalteco. Umgekehrt gibt es in Wien eine amerikanische Schule und ein per Staatsvertrag abgesichertes französisches Gymnasium.

Reserviertes Verhältnis zur Öffentlichkeit

Dass die Dinge bei den Imam-Hatip-Schulen anders liegen, hat sowohl selbstverschuldete als auch innen-und außenpolitische Gründe. Die Betreiber pflegen, freundlich ausgedrückt, ein reserviertes Verhältnis zur Öffentlichkeit. 2014 begann der Bau der Schule in Wien-Simmering. Österreich setzte bereits auf universitäre Imame-Ausbildung im eigenen Land. Der Obmann der Islamischen Föderation Wien (IFW), Mehmet Arslan, sprach hartnäckig von einem Kulturzentrum mit Kindergarten. Als ruchbar wurde, dass auf dem Areal in Wahrheit eine Schule für islamische Seelsorger entstehen sollte, war die Empörung groß. In die Proteste mischten sich rasch von der FPÖ geschürte antimuslimische Ressentiments.

Auch in Linz spielte man mit verdeckten Karten. Von der Absicht, an der Voest-Einfahrt im Industriegelände eine Imam-Hatip-Schule zu eröffnen, erfuhr die Öffentlichkeit im Mai, als die deutsche Milli-Görüs-Zentrale aufrief, für neun Vorhaben in Europa zu spenden, unter anderem in Linz. Obmann des Linzer Vereins Austria Linz Islamische Föderation (Alif) ist Resul Koca. Ob er mit dem Wiener Vereinsobmann Mesut Koca verwandt ist, ließ sich nicht eruieren, weil auch er -wie einige andere kontaktierte Gesprächspartner -bis Redaktionsschluss nicht antwortete. Auf seine Pläne lässt ein Werbefilm schließen, in dem Koca von offenem Unterricht für 200 Schüler spricht und die Kamera kurz auf den in Glas geätzten Worten "Bölge merkezi ve imam hatip lisesi" (Regionalzentrum und Imam-Hatip-Gymnasium) verweilt.

Ideologisch richten sich die ImamHatip-Schulen an der fundamentalistisch-religiösen, nationalistischen Milli-Görüs-Bewegung aus, als deren politisches Vehikel in der Türkei die Saadet Partisi fungiert. Dem Politikwissenschafter Thomas Schmidinger zufolge pflegt sie "kein dschihadistisches, sehr wohl aber ein problematisches türkisch-nationalistisches Islamverständnis". Die Grüne Alev Korun spricht sich seit Jahren -in seltenem Gleichklang mit der FPÖ - gegen Imam-Hatip-Schulen aus, die "durchaus als Teil einer Islamisierungsstrategie von Milli Görüs in Europa zu sehen sind". Ausbildungen an europäischen Universitäten seien der Bewegung schlicht "nicht konservativ genug". Der Verleger und Obmann des Vereins Türkische Kulturgemeinde, Birol Kilic, pflichtet bei: "Diese Schulen richten sich gegen säkulare und republikanische Werte und sind in Österreich fehl am Platz."

Durch Erdoğan aufgewertet

Unter Recep Tayyip Erdoğan, selbst ein Imam-Hatip-Absolvent, wurden die Berufsschulen für Koranlehrer und Prediger zum Politikum. Als seine Partei AKP 2002 an die Macht kam, wertete sie die religiösen Ausbildungsstätten auf und ebnete deren Absolventen den Weg an die Unis. 2005 zählten die Imam-Hatip-Schulen 44.000 Schüler; mittlerweile sind es weit über eine Million. Im Gefolge einer höchst umstrittenen Reform 2012 wurden rund 700 Mittelstufen in Imam-Hatip-Schulen umgewandelt. Im heurigen Sommer strich das türkische Bildungsministerium die Evolutionstheorie aus den Lehrplänen und verpflichtete alle Schulen, Gebetsräume einzurichten. Seit Erdoğans Bruch mit dem einstigen Weggefährten Fetullah Gülen werden dessen Schulen verstärkt torpediert und durch Imam-Hatip-Institute ersetzt - auch im Ausland.

Zurück nach Wien-Liesing. Nicht einmal Bezirksvorsteher Gerald Bischof (SPÖ) weiß, wie lange in der Herziggasse bereits unterrichtet wird. "Es gab keine Hinweise aus der Bevölkerung, ich habe nie eine Einladung bekommen." Bis Mitte 2015 residierte der Hausgerätehersteller Electrolux in dem Komplex. 2016 verkaufte das Unternehmen die Liegenschaft. Laut Grundbuch steht sie nun im Besitz einer Immobiliengemeinschaft der Muslime Österreichs (IGMÖ). Deren Präsident ist Fatih Vural, der zugleich eine bedeutsame Rolle in der Islamischen Glaubensgemeinschaft spielt. Vural sitzt dem Schiedsgericht vor, einer Art Verfassungskontrollorgan. Sein älterer Bruder Ümit Vural leitet den Schurarat, eine Art "Parlament" der Glaubensgemeinschaft.

"Verein hält sich an Vorschriften"

Laut Fatih Vural wurden die Grundstücke in Wien-Simmering und Wien-Liesing der gemeinnützigen IGMÖ übertragen, um sie aus Besitz- und Erbstreitigkeiten herauszuhalten und für kulturelle und religiöse Zwecke zu bewahren. "Alle unsere Liegenschaften, ob in Wien, Salzburg, Niederösterreich oder Oberösterreich, werden aus Mitgliedsbeiträgen, Kursgebühren, Spenden und dem Erlös aus Festen finanziert", sagt Vural. Das Electrolux-Gebäude habe die Islamische Föderation Aksa finanziert, einer von 22 Zweigvereinen der Islamischen Föderation Wien (IFW). Dieser habe zuvor ein Grundstück in der Breitenfurter Straße "um eine schöne Summe" abgestoßen und damit drei Viertel des Kaufpreises für die 7500 Quadratmeter in der Herziggasse aufgebracht. Konkrete Beträge nennt der Jurist nicht. Nur so viel: "Ich bin selbst in der Steuerberatung tätig, wir vertreten auch Imam Hatip. Der Verein hält sich an die Vorschriften sowohl des Islam - als auch des Steuerrechts."

Kritiker wie der Ex-Grüne und nunmehrige Liste-Kurz-Kandidat Efgani Dönmez bezweifeln, dass sich mit Spenden aus dem Inland große Sprünge machen lassen: "Wie sollen Gastarbeiter solche Summe aufbringen? Allein die Liegenschaft in Linz hat meinen Informationen zufolge 600.000 Euro gekostet." In der Türkei existiert eine Stiftung namens Maarif, die für das Bildungsministerium Projekte im Inund Ausland fördert und finanziell abwickelt. Auf der Website finden sich Meldungen, wonach mit Maarif-Mitteln Schulen der Gülen-Bewegung in Afrika übernommen wurden. In dem Werbefilm über die Imam-Hatip-Schule in Wien-Liesing rückt für ein paar Sekunden eine Broschüre ins Bild, die diesen Namen trägt. Darauf angesprochen, sagt Schurarats-Chef Ümit Vural: "Das muss eine Namensgleichheit sein und hat mit einer Stiftung nichts zu tun. Es ist natürlich nicht klug, einen verwirrenden Namen verwenden."

Für reichlich Konfusion sorgen auch doppelte Botschaften, was die Zeugnisse betrifft. Ümit Vural, Chef des Schurarats in der Glaubensgemeinschaft, spricht ostentativ nicht von einer "Schule", sondern von einem "Lehrgang" und versichert, er setze sich "für Kooperationen mit Volkshochschulen und ähnlichen Einrichtungen in Wien ein". Man wolle Imame nicht "aus dem Ausland importieren". In den ausschließlich türkischsprachigen Videos und Broschüren jedoch wirbt man mit türkischen Abschlüssen, die Absolventen aus Wien-Liesing berechtigen, sich als Auslandsstudenten an türkischen Universitäten einzuschreiben. Auf der Website des türkischen Bildungsministeriums findet sich ein Foto, das Schulleiter Mesut Koca vor türkischen Flaggen und mit einer Schülerin bei der Zeugnisverteilung zeigt. Auf einem profil vorliegenden Folder ist zudem von drei Terminen im Jahr die Rede, bei welchen staatliche Prüfer aus der Türkei persönlich Examen abnehmen. Auf all das müssen sich auch die österreichischen Behörden erst einmal einen Reim machen.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges