IS-Prozess in St. Pölten: Schuldspruch ohne Anschlagsplan auf die Pride
Es war ein Samstag im Juni 2023. Drei Jugendliche in St. Pölten werden aus dem Schlaf gerissen, bei einem Polizei-Einsatz, den – so die Verteidigung – die ganze Stadt mitbekommen hat. Begründet wurde der Einsatz mit einer direkten Anschlagsgefahr auf die Wiener Pride-Parade – allerdings ist dieser „Plan“ im Jahr 2025 nicht mehr Teil der Anklage gegen drei junge Männer, die heute 17, 22 und 19 Jahre alt sind. Zwei von ihnen sind Brüder.
Vorgeworfen werden ihnen von der Staatsanwaltschaft St. Pölten, dass sie einer terroristischen Vereinigung und einer kriminellen Organisation angehören, der Drittangeklagte soll sich zusätzlich Körperverletzung und Nötigung zuschulden kommen lassen haben. Der jüngste Angeklagte wird alles bis auf den letzten Anklagepunkt gestehen. Der Drittangeklagte (17) hat in der Zwischenzeit ein Deradikalisierungsprogramm absolviert, das Schöffengericht verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten bedingt mit drei Jahren Bewährung, das Urteil ist nicht rechtskräftig.
„Beim Schlafen festgenommen“
Die Staatsanwaltschaft wirft den jungen Männern vor, dass sie gewaltbereite Anhänger des Islamischen Staates und des Ablegers Islamische Republik-Provinz Khorasan (ISPK) waren. Sie sollen, so die StA, alle Mitglieder einer einschlägigen Telegram-Gruppe gewesen sein. Dort sollen Propagandavideos und Spendenaufrufe geteilt worden sein.
Zehn bis 15 Mitglieder hatte diese Gruppe, alle in Europa ansässig. Der Erstangeklagte hatte angegeben, ein Messer oder auch ein AK 47-Maschinengewehr in Tschechien zu besorgen; der Drittangeklagte hatte Bombenbauanleitungen gedownloadet. Vorgeworfen werden den dreien auch mutmaßliche Chats mit einem radikalisierten Ukrainer – allerdings: Die einschlägigen Chats sind nicht Teil der Anklageschrift. Ins Rollen kamen die Ermittlungen der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) durch einen Hinweis eines ausländischen Nachrichtendienstes, deren Bericht wurde der Verteidigung allerdings nicht weitergegeben.
Und hier setzt die Kritik des Strafverteidigers Andreas Schweitzer an. Er verteidigt den Drittangeklagten. Die DSN erhielt einen Tipp aus dem Ausland zu den drei Österreichern in der Chatgruppe – damit ging sie zur Staatsanwaltschaft, die auf Basis des Offizialdelikts aktiv werden musste. Im Akt sei vermerkt, dass diese Daten nicht gerichtsverwertbar sind. Deshalb hätten diese Daten nicht weitergegeben werden dürfen, so Schweitzer. „Es war ein mediales zur Schau stellen von Ermittlungsergebnissen, die es nicht gegeben hat“, meint er zu der Pressekonferenz, die die DSN am Tag vor der Pride-Parade 2023 abhielt.
In der Nacht von 17. auf 18. Juni 2023 werden die Brüder in St. Pölten von rund 30 Beamten und Beamtinnen geweckt. Die Beiden werden verhaftet – eine Spielzeugwaffe wurde bei ihnen sichergestellt, erklärt der Verteidiger. Bis heute habe der Erstangeklagte mit Folgen dieser Aktion zu kämpfen. Der Zweitangeklagte wäre in Kontakt mit zwei IS-Anhängern in der Ukraine und Belgien gewesen, gegenüber der DSN gab er sich kooperativ, so sein Verteidiger. Faktisch konnte kein Zusammenhang zwischen dem Erstangeklagten und den beiden IS-Anhängern festgestellt werden. Der Kontakt habe stattgefunden, eine Verbindung zum IS wäre dem Jugendlichen aber nicht bewusst gewesen. Erst nach längerem Kontakt habe sich das herausgestellt — der Zweitangeklagte hätte den Kontakt an dieser Stelle blockiert.
„Das ist ja alles zwei Jahre her“
Der Drittangeklagte habe zwar selbst IS-Telegram-Gruppen betrieben und sich informiert, wie er nach Syrien in den Dschihad ziehen könne. Der Konsequenzen war sich der Jugendliche damals nicht bewusst und er habe nichts Konkretes geplant.
Der Drittangeklagte ist geständig, bis auf den Vorwurf der Nötigung, erklärt Strafverteidiger Schweitzer bereits im Eingangsplädoyer. Er verweist auch auf den Fall Maria G. in Hallein, die mit 17 Jahren zum IS ausreiste. „Was wäre passiert, wenn wir das nicht so gemacht hätten“, so Schweitzer mit Verweis auf die Arbeit mit dem Deradikalisierungsverein bOJA und der Familie des Angeklagten. Es habe hier einen Sinneswandel gegeben.
Nach den Eingangsplädoyers wird die Öffentlichkeit mit Verweis auf Alter und Privatsphäre der Beschuldigten ausgeschlossen.
Sechs Monate bedingt – nicht rechtskräftig
„Mit diesem Urteil haben Sie eine echte zweite Chance bekommen“, betont der Richter bei der Urteilsverkündung. Er werde den Werdegang des Jugendlichen für die kommenden drei Jahre beobachten.
Das Ermittlungsverfahren habe bereits nach einigen Tagen gezeigt, dass es eigentlich keine Anschlagspläne gab, behauptet der Verteidiger des Erstangeklagten, Markus Sommerauer. Am 5. August werden die Brüder erneut vor Gericht stehen. Geladen sind etliche Beamten und Beamtinnen der DSN.
Für die DSN geht es bei diesem Verfahren um ihre Glaubwürdigkeit. Der Tag im Juni 2023 war einer der großen Fälle der DSN seit ihrer Neuorganisation. Bis heute heißt es auf der Website der DSN, dass ein “Anschlag auf die Wiener Regenbogenparade vereitelt wurde” – aber das wird niemandem mehr vorgeworfen.