Peter Kaiser beim Faschingsumzug
Österreich

Kärnten-Wahl: Der milde Kaiser

Ausgerechnet in Kärnten regiert Peter Kaiser, ein Paradetyp des Anti-Populisten. Seine SPÖ versucht das Comeback der FPÖ zu bremsen – und bekommt dabei Hilfe von einem Mann, der als „hemdsärmeliger Haider“ gilt.

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Igendwo zwischen einem Pipi-Langstrumpf-Kostüm und einer Piraten-Verkleidung bekommt Peter Kaiser eine Ladung Konfetti ins Gesicht. Die Schnur um seinen Oberkörper, an der ein Heliumluftballon hängt, ist oft im Weg, wenn er mit Leuten spricht. Das riesige Kartonherz vor der Brust ist auch nicht praktisch in der Menge. Und die Herzerl-Sonnenbrille muss sich Kaiser ins Haar stecken, damit er seine optische Brille aufsetzen kann. Die SPÖ-Mitglieder um ihn herum tanzen Macarena, und die Leute rufen „Wai, wai!“ – die Begrüßung in der Faschingszeit in Waidmannsdorf, einem Teil von Klagenfurt.

Der Kärntner Fasching ist laut, bunt und schrill. Und damit alles, was Peter Kaiser nicht ist. Trotzdem zieht der Landeshauptmann am Faschingsdienstag hier zwei Stunden durch die Menge. Er schunkelt mit, verteilt „Zuckerlan“, und wenn ihm jemand vorgestellt wird, begrüßt er ihn überschwänglich mit Begrüßungskuss: „I bin der Peter!“ Jugendliche wollen mit ihm Selfies, es hilft, dass der Kärntner Musiker und Influencer Ian Jules mit ihm herumzieht.

Wünscht ihm jemand viel Glück, antwortet er: „Danke, kann ich gebrauchen.“

Erstaunlich, dass Peter Kaiser beim Faschingsumzug am Ende doch nicht fehl am Platz wirkt. Dabei ist er der zurzeit wohl sprödeste Spitzenpolitiker Österreichs. Typ Großkoalitionär und Verfechter der Sozialpartnerschaft, kein großer Showman, ein bisschen farblos. Lautes Sprechen vor einer großen Menge musste er sich erst antrainieren.

 

Wie passt das zusammen? Seit zehn Jahren ist Kaiser, 64, Landeshauptmann – ausgerechnet dort, wo der Rechtspopulismus mit Jörg Haider groß wurde. Erst nach Haiders Unfalltod kam Kaiser 2010 an die Spitze der SPÖ und 2013 an die der Landesregierung. Bei der Landtagswahl am 5. März wollen Kaiser und die SPÖ das Comeback der FPÖ bremsen.

Kärnten ist politisch anders. In keinem Bundesland gab es so viele Farbwechsel: Rot-Blau-Schwarz-Blau-Orange-Blau-Rot lautet die Abfolge bei der Landeshauptmannpartei. Nicht nur Wähler, auch Politiker wechseln: Der Klagenfurter Bürgermeister besitzt schon sein viertes Parteibuch. Kärnten ist das einzige Bundesland, in dem Superstar Sebastian Kurz die ÖVP nie nach oben zog – und in dem die Grünen nicht im Landtag sitzen. Der Tiefenpsychologe Erwin Ringel zitierte einst bei einem Vortrag zur „Kärntner Seele“ den Witz: „Was ist Kärnten? Antwort: Ein Punschkrapferl, außen rosa, innen braun und immer unter Alkohol.“

Mit Kaiser sind die ausgelassenen Lei-Lei-Zeiten vorbei. Die Haider-Jahre waren eine rauschende Party mit gigantomanischen Projekten wie See-Bühne, Stadion, Tibetanisches Zentrum. Der Kater verlief umso bitterer: Die Protzbauten entpuppten sich als Millionengräber, die Luftblase Hypo-Bank platzte. Noch immer laboriert Kärnten an den finanziellen Folgen.

Peter Kaiser, ein Paradetyp des Anti-Populisten, war für die Ausnüchterung der richtige Mann. Nach dem charmanten Draufgänger Haider der solide Landesvater Kaiser. Intellektuell, fundiert, derart top-seriös, dass die Grenze zur Fadesse manchmal überschritten wird. Der unglamouröse, aber verlässliche Stabilo-Boss. Bei der Landtagswahl 2018 schrammte er sogar knapp an der absoluten Mehrheit vorbei.

Das war vor Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Teuerungswellen. Mittlerweile ist die FPÖ wieder im Aufwind. Bei der Bundespräsidentschaftswahl im Herbst 2022 war Kärnten das einzige Bundesland, in dem Alexander Van der Bellen keine absolute Mehrheit schaffte. Wird ausgerechnet in Kärnten der Höhenflug der FPÖ gebremst – und das ausgerechnet vom knochentrockenen Peter Kaiser?

Meinungsforscher Peter Hajek beantwortet beide Fragen mit vorsichtigem Ja. „Ein Erdbeben wie in Niederösterreich wird es in Kärnten nicht geben, die SPÖ wird verlieren, liegt aber stabil über der 40-Prozent-Marke“, analysiert er. Und: „Die Menschen finden Kaiser zwar ein bisschen fad, aber sie wollen keine Veränderung. Aufregung gab es davor genug.“ Zwei weitere Vorteile hat Kaiser im Vergleich zu Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner: Seine Partei sitzt nicht in der Bundesregierung, Chataffären gibt es auch nicht.

Das Thema Teuerung hingegen, das den FPÖ-Sieg in Niederösterreich befeuerte, zieht, das Thema Corona-Zorn genauso: Die Anti-Corona-Demos wurzeln in Kärnten, Corona-Aktivist Martin Rutter saß zwischen 2013 und 2018 für das BZÖ im Landtag und organisierte schon im Mai 2020 Demos in Klagenfurt. Auch die Impfskepsis ist verbreitet: Nicht mehr als 16,8 Prozent der Bevölkerung haben die vierte Impfung intus, in Niederösterreich immerhin 21 Prozent.

Dennoch wird die FPÖ, die vom hohen Niveau von 23 Prozent ausgeht, keine Höhenflüge feiern, prognostiziert Hajek. Der Grund dafür hat einen Namen: Gerhard Köfer. Sein „Team Kärnten“ könnte sich auf 13 Prozent verdoppeln. Köfer „wildert stark im blau-türkisen Umfeld. 40 Prozent seiner Fans wählten im Bund Sebastian Kurz, 25 Prozent die FPÖ.“

Dabei wurde Köfer eigentlich in der SPÖ groß: Als Bürgermeister in Spittal an der Drau, als Abgeordneter im Nationalrat. Die Entfremdung passierte auf Raten: 2010 scheiterte Köfer mit einer Gegenkandidatur zu Kaiser, 2012 wechselte er zum Team Stronach. Dass er Frank Stronach kennenlernte, weil er für ihn als Energetiker arbeitete, bestreitet Köfer. Er hatte allerdings den Gewerbeschein als Energetiker, um mit seinen Händen „Blockaden zu lösen“. Später spaltete er sich mit seinem eigenen „Team Kärnten“ ab.

Gerhard Köfer

Köfer ist politisch schwer zu fassen. Das hört er nicht gerne. Zu negativ klinge das, er orientiere sich eben nicht nach einer Ideologie. Und beschreibt sich als „nicht rechts, nicht links“. Er möchte „den Ärmsten helfen“, aber auch einen „Asyl-Stop“. Er will den Rechtsruck stoppen, würde aber mit der FPÖ koalieren. Wer Köfer fragt, was ihn politisch ausmacht, hört Sätze wie: „Es muss Personen geben, die sich für Veränderung zur Verfügung stellen. Wenn ich es nicht mache, macht es niemand.“ Oder: „Der Feind der Entwicklung ist: ,Das haben wir schon immer gemacht.‘“ Konkrete Visionen hat er wenige, er möchte die Macht der SPÖ aufbrechen und die Parteienförderung kürzen. Köfer spricht sich gegen die -Abgabe aus („wenn, dann nur für SUV“) und startete ein Volksbegehren gegen den „E-Auto-Zwang“.

Wer sich nicht klar positioniert, lässt Raum für Interpretation. Das ist eine Erklärung, warum Köfer Stimmen gewinnen könnte. Eine andere ist schlicht: Er kommt menschlich gut an. Nicht ohne Grund wird er als „hemdsärmeliger Haider“ bezeichnet, ein Vergleich, der ihm recht gut gefällt – vom Hypo-Skandal und „hetzerischen Parolen“ natürlich abgesehen.

An diesem Mittwochmorgen sitzt er, wie so oft, im Spittaler Stadtcafé, um die Ecke vom Rathaus. Köfer dreht seine Runde bei den Gästen, spendiert Kaffee, stößt mit Prosecco auf einen Geburtstag an. Hier wäre Köfer wohl die absolute Mehrheit sicher. Die zwei Männer, die im Bund SPÖ wählen, geben auf Landesebene ihm die Stimme. Ihr Tischnachbar blieb bei der Nationalratswahl zu Hause, jetzt wählt er Team Kärnten. Ein anderer hat auf Bundesebene „aus Protest“ FPÖ gewählt, jetzt stimmt er für Köfer.

Beliebt sei er, das sagen hier alle, weil er als Bürgermeister engagiert sei. Große politische Ideen erwartet man sich nicht: Sorgen anhören und sich darum kümmern genügt. Für eine Frau bedeutet das auch, dass ein Asylquartier verhindert wurde: 250 junge Afghanen und Syrer hätten in einer Halle untergebracht werden sollen, Köfer weigerte sich. Über Nacht habe das Innenministerium angerufen und über das Quartier informiert. Das sei erstens schlechter Stil, findet Köfer, und zweitens sei die Stadt dafür zu klein.

Köfer ist wie Kaiser lange in der Kärntner Politik dabei. Er hat die Strohfeuer von Jörg Haider miterlebt: Kindergeld, Jugendstartgeld, Eventkultur, Straßenbauprojekte. In meterweise Prüfberichten des Landesrechnungshofes ist dokumentiert, wie regelmäßig Kosten ausuferten und Auftragsvergaben „nicht nachvollziehbar“ waren. Die Schulden stiegen, schon lange vor dem Hypo-Desaster, das Kärnten an den Rand der Insolvenz brachte. Das wirkt nach, die Pro-Kopf-Verschuldung von 6418 Euro ist die höchste Österreichs.

Die Arbeitslosenquote ist mit 8,8 Prozent nach Wien am zweithöchsten, zur österreichischen Wertschöpfung trägt Kärnten gerade einmal 5,5 Prozent bei. Gravierender noch die Demografie: Kärnten ist das einzige Bundesland, das seit 2009 an Einwohnern verliert. Die Konsequenz: Überalterung. Fast ein Drittel der 557.529 Kärntnerinnen und Kärntner ist 60 Jahre oder älter.

Politisch hat die FPÖ einen Superlativ in Kärnten zu vermelden – auf den sie wohl gern verzichtet hätte: Satte 28,04 Prozentpunkte verlor sie bei der Wahl 2013. Diesmal tritt Erwin Angerer für die FPÖ an, er versucht mit TikTok-Gruselvideos („Sie haben die Alten weggesperrt und zwangsgeimpft“ oder „Sie wollen, dass wir Insekten fressen“) und Polemiken gegen „Slowenisierung“ zu punkten. Der Kärntner und FPÖ-Obmann Herbert Kickl tourt im Wahlkampf eifrig durch sein Heimatbundesland, mit typischen Kickl-Rundumschlägen gegen Krieg-Teuerung-Corona-Van-der-Bellen.

Jörg Haider

Er und die Freiheitlichen bemühen sich, die „Jörg-Haider-Saga“ zu beleben. „Die Haider-Verehrung ist wieder da“, analysiert der in Kärnten lebende Psychoanalytiker und Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer. Und: „Sie haben kein Zugpferd, sie müssen auf das Erinnerungsbild Haider setzen.“ Ottomeyer forscht seit Jahren über Rechtspopulismus, ist Autor der Bücher „Jörg Haider. Mythos und Erbe“ und „Angst und Politik“ und erklärt sich die Nostalgie so: „Haider war frech und fröhlich, er nahm Menschen Ängste, war eine Art Angsttherapeut. Derzeit grassieren viele berechtigte Ängste, vor Krieg, Teuerung, Klimaerwärmung. Da ist das Thema Ängstenehmen aktueller denn je.“

Ein wenig in Vergessenheit geraten sind hingegen die Strafverfahren. Haiders Nachfolger als Landeshauptmann Gerhard Dörfler wurde verurteilt, ebenso sein Stellvertreter, Haiders Pressesprecher und Büroleiter. Genauso wie der frühere ÖVP-Obmann und Wirtschaftslandesrat Josef Martinz, der 2017 seine mehrjährige Haftstrafe abgesessen hatte.

An diese Zeiten will man hier nicht mehr denken. Wer sich aber an das große Selbstbewusstsein der Volkspartei unter Sebastian Kurz gewöhnt hat, war lange nicht mehr in Kärnten. 15,5 Prozent erhielt die Partei im Jahr 2018. Am politischen Aschermittwoch versucht die ÖVP mit erfrischender Demut und beinahe krampfhafter Sorglosigkeit Stimmung zu machen: 700 Gäste sind in die Messehalle gekommen. Es ist die einzige Großveranstaltung, die die Wahlkampfkostenobergrenze von 500.000 Euro zulässt. Auch Prominenz ist da: Bundeskanzler Karl Nehammer und Ministerin Karoline Edtstadler sind gekommen, der ehemalige steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer muss allerdings mit dem „GruBär“, dem Bären-Maskottchen von Spitzenkandidat Martin Gruber, am Tisch sitzen. Peter L. Eppinger führt durch den Abend inklusive „Millionen-Show“. Preisfrage zum Streitthema Klagenfurter Flughafen: „Wie viel hat der Mehrheitseigentümer pro Quadratmeter besten Grund geboten, sodass die SPÖ gleich alles blanko unterschreiben sollte?“ Weil es um „gewaltige Summen“ geht, sollten die Gäste auch „laut summen“, sobald die richtige Antwort, 40 Euro pro Quadratmeter, vorgelesen wurde.

profil-Blick auf Kärnten

Peter Kaiser: "Genügend zum Essen" SPÖ: Jetzt kann nur noch Kaiser Rendi-Wagner retten Missbrauch in Kärnten: "Wennst nicht spurst, kommst zum Wurst."

Spitzenkandidat Martin Gruber, sonst eher zurückhaltend und unauffällig, will offenbar die Aufmerksamkeit an diesem Abend nutzen: Er schimpft gegen die „Alpen-Adria-Uni“, die man in „Karl Marx“ umbenennen sollte: „Da wird freudig Gender Studies unterrichtet, obwohl niemand in der Wirtschaft solche Absolventen überhaupt braucht.“ Jugendliche würden lieber „auf die Work-Life-Balance schauen, statt eine Lehre zu machen“. Dann fordert er die Politik noch auf, eine „Arbeitspflicht für Asylwerber“ einzuführen. Und sagt zu seinen Parteikollegen: „Vergesst’s die Umfragen.“ Dieses Mal könnte die Partei auf Platz vier hinter Köfer landen.

Von einer Seite hat die ÖVP wenig Konkurrenz zu befürchten: den NEOS. Für die Pinken ist Kärnten (neben dem Burgenland) der härteste Boden, sie schafften es dort noch nie in den Landtag. Diesmal versucht der Unternehmer Janos Juvan als Spitzenkandidat sein Glück, setzt als Leitthema auf Leistung und auf Aussagen wie: „Krise ist nicht Zeit für Work-Life-Balance.“ Einen Popularitätswettbewerb wird er damit eher nicht gewinnen.

Olga Voglauer

Wie die NEOS müssen die Grünen um den Einzug in den Landtag zittern, auch sie laborieren daran, dass Kärnten kaum urbane Zentren aufweist. Ihre beste Phase erlebten sie 2013 bis 2018, als Hypo-Aufdecker und Kabarettist Rolf Holub in die Regierung einzog. Danach ging es bergab: interne Streitereien, Listenabspaltungen, Rauskick aus dem Landtag, Landessprecher Matthias Köchl wegen Schlepperei-Vorwürfen der Justiz zurückgetreten.

Seit die Kärntner Slowenin, Biobäuerin und Nationalratsabgeordnete Olga Voglauer 2019 die Grünen übernahm, ist wieder Ruhe eingekehrt. Voglauers Faschingsverkleidung ist ein Aerobic-Kostüm im Stil der 1980er-Jahre, ihr Thema Klimaschutz. Und zwar, das ist ihr wichtig: „In einer Sprache, die die Menschen verstehen. Vorigen Sommer tobten Unwetter in Kärnten, Kinder starben dabei, daher ist das Thema sehr präsent.“

Auf den Plakaten der Grünen wird Kaiser direkt angesprochen: „Peter, 150 Windräder? Gemma!“ Und auch am Klagenfurter Fasching geht man ein Stück des Weges gemeinsam: „Mitten unter Grünen!“, ruft Kaiser, als er sich ein paar Meter vom eigenen Faschingswagen entfernt. „Schön so“, sagt Voglauer. Wenn es nach ihr ginge, könnte es auch nach dem 5. März so bleiben.

Tatsächlich wäre eine Koalitionsvariante mit den Grünen für Kaiser vorstellbar, falls diese es in den Landtag schaffen. Köfer schließt eine Zusammenarbeit mit Kaiser aus – das sind wohl noch Rivalitäten aus der Vergangenheit. Am wahrscheinlichsten gilt die Verlängerung von Rot-Schwarz. Auch deswegen warnt Kaiser wohl davor, dass eine Stimme für Grüne oder NEOS „verloren sein könnte“, falls sie nicht in den Landtag einziehen.

Weit hinter der SPÖ-Faschingsgruppe zieht Martin Gruber durch die Klagenfurter Straße. Auch die FPÖ-Delegation ist weit hinter den roten Faschingsnarren zurück.

Kaiser wäre es wohl am liebsten, dass es die nächsten fünf Jahre so bleibt.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin