Karl-Lueger-Statue in Wien: Das Schandmal

Das Karl-Lueger-Denkmal im 1. Bezirk wurde ein Menschenalter lang nicht beachtet. Jetzt zieht ein Sturm herauf. Soll man es sprengen?

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Ein Schatten, aus dem Augenwinkel. Ein Riesentrumm, 27 Meter hoch. Ringsum brandet das Leben, doch das Denkmal wurde lange Zeit nicht wahrgenommen. Man bemerkte es, aber sah es nicht an. Der Schriftsteller Robert Musil schrieb über dieses Phänomen: „Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler.“

1926, vor knapp 100 Jahren, war das Lueger-Denkmal am Wiener Stubenring mit privaten Spendengeldern auf öffentlichem Boden errichtet worden. Der sozialdemokratische Bürgermeister Karl Seitz hielt die Einweihungsrede. Der Platz, auf dem es steht, heißt seit damals Karl-Lueger-Platz.

Karl Lueger, Wiener Bürgermeister von 1897 bis 1910, Gründer der christlich-sozialen Partei, war mit pöbelndem Antisemitismus und Kleine-Leute-Rhetorik an die Macht gekommen und hatte einen hysterischen Kult um seine Person entfacht. Man betete zu Lueger wie zu einem Herrgott („Erlöse uns von dem Juden-Übel“), man dichtete und sang für ihn; Männer trugen Lueger-Bart, Frauen träumten sich in eine Heirat mit dem ledig Gebliebenen. Es gab massenhaft Würstelteller mit seinem Konterfei, Häferln und Postkarten. Nur Kaiser Franz Joseph, der Luegers Bestellung zum Bürgermeister drei Mal ablehnte, war ähnlich beliebt.

Lueger-Sessel unterm Glassturz

Populismus ist eine Verführung. Der ebenfalls beliebte, 2008 verstorbene ehemalige Bürgermeister Helmut Zilk hatte den Lueger-Sessel unter einem Glassturz in seinem Büro im Rathaus stehen. Dort stand er noch ein paar Wochen nach Zilks Abgang, ehe ihn sein Nachfolger Michael Häupl diskret ins Depot zurückbringen ließ.

Die Wiener Kleinbürger, Geschäftsleute, Fleischhauer, Handwerker, kleine Beamte, Lehrer gaben Lueger ihre Stimme. Die christlich-soziale Frauenorganisation, Lueger nannte sie seinen „Harem“ – ging für ihn auf die Straße und rief die Leute dazu auf, nicht beim Juden zu kaufen, sondern beim Christen. Wählen durften Frauen ja noch nicht. Und die Masse der Arbeiter auch nicht. Erst ab einer gewissen Steuerlast war man um die vorige Jahrhundertwende wahlberechtigt.

Karl Lueger, Sohn eines Hausmeisters, der ins elitäre Theresianum ging, weil sein Vater dort jemanden kannte; der die Dynamik der sozialen Unterschiede beobachten, ein Sensorium für Stimmungen ausbilden konnte; der mit Drill und Ehrgeiz seine Klassenkameraden überflügelte und mit jedem Erfolg hochfahrender wurde.

Das Denkmal von 1926 stand da für die Ewigkeit. In der offiziellen Erinnerung ging es darum, was Lueger für die Modernisierung der Metropole Wien geleistet hatte: die Kommunalisierung der Gaswerke, der Tramway, die Elektrifizierung, die Errichtung der Altenpflegeanstalt Lainz, der II. Wiener Hochquelleneitung, den Bau von Schulen.

Um das Jahr 2000 kam das Wiener Lueger-Denkmal ein bisschen ins Gerede. In Brüssel war man entsetzt, dass die rechtspopulistische FPÖ unter ihrem damaligen Chef Jörg Haider in eine Regierung genommen, auf diese Weise salonfähig gemacht wurde. Luegers Populismus wurde mit dem Haiders verglichen: demagogischer Stimmenfang, das Sagbare ausreizen, in den hinteren Reihen eine noch rabiatere Wortwahl zulassen.

Die zweite Anti-Lueger-Welle baute sich um Luegers 100. Todestag 2010 auf. „Schämt sich denn niemand, ein bissel?“, fragte die Schriftstellerin Ruth Klüger, die 1942 mit ihrer Mutter nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert worden war. Immerhin werde mitten in Wien eines Antisemiten gedacht, den Adolf Hitler für den „gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten“ hielt.

Der Multimediakünstler Martin Krenn und Studierende der „Angewandten“ riefen einen Wettbewerb zur Umgestaltung des Denkmals aus. Es gewann die Idee von Klemens Wihlidal, die Lueger-Statue um 3,5 Grad nach rechts zu kippen. Doch es geschah nichts.

Reformer und Antisemit

Neue Biografien über Lueger kamen heraus. Jetzt ging es nicht mehr allein um die Modernisierung Wiens, sondern um Luegers politische Strategie. Kommunalisierungen waren damals im Trend der Zeit, Lueger nicht ihr Vorreiter gewesen. Aber er hatte hohe Kredite genommen, kein Risiko gescheut, allem seinen Stempel aufgedrückt – „Errichtet unter“ –, und er hatte Tausende Gemeindeposten neu geschaffen, um gesinnungstreue Parteigänger zu belohnen.

Er lancierte eine Wahlrechtsreform, die ihm die sogenannten 5-Gulden-Männer zutrieb, Geschäftsleute, Händler und Beamte, die ihre enttäuschten Ambitionen an den „Geldjuden“ auslebten. „Er hat der allgemeinen Unzufriedenheit den Weg in die Judengasse gewiesen“, so urteilte ein Zeitgenosse, der Schriftsteller Felix Salten.

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Der profil-history-Podcast sucht die Spuren des Vergangenen im heutigen Geschehen. Er erscheint jeden zweiten Sonntag. Gast von Christa Zöchling in der aktuellen Folge ist der Historiker Tim Corbett. Ein Gespräch über das umstrittene Lueger-Denkmal und seine Wirkungsgeschichte.

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Auch bei aktuellen rechtspopulistischen Politikern beobachtet man diesen Weg. Der ungarische Premier Viktor Orbán begann seine politische Karriere als liberaler Stipendiat der Soros-Stiftung. Ex-ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz, der anfangs die Leistung von Zugewanderten in den Mittelpunkt stellte, spielte später auf der ausländerfeindlichen Klaviatur oder ließ spielen. Alle wurden sie mitgerissen vom Erfolg.

So gesehen sei es nicht ganz falsch, Lueger und Kurz miteinander zu vergleichen, sagt der Historiker Tim Corbett, der sich eingehend mit Luegers Wirkung auseinandergesetzt hat (siehe Podcast).

Das Phänomen Kurz könnte erklären, warum die Denkmal-Debatte so hitzig verläuft. Viele würden das Denkmal am liebsten in die Luft sprengen.

„Das wäre eine Lösung für immer. Ich wünschte mir jedoch einen immer wieder veränderbaren Umgang mit dem Denkmal“, sagt Barbara Staudinger, designierte Direktorin des Jüdischen Museums in Wien. Am Beispiel der historischen Figur Lueger lasse sich vieles diskutieren: „Antisemitismus, Rechtspopulismus, Radikalisierung in der Gesellschaft, Verschiebung der Grenzen“.

1910 waren die Nachrufe auf Lueger freundlich. Die Israelitische Kultusgemeinde hatte für Lueger sogar einen Bittgottesdienst in der Synagoge abgehalten und für das Denkmal gespendet. In der „Arbeiter-Zeitung“ erklärte man: „… das, was demokratisch und antikapitalistisch war in Luegers Anfängen, das zu vollenden ist die geschichtliche Mission des Roten Wien.“

Der Feuilletonist Anton Kuh schrieb 15 Jahre später: „Ein Vorzeitname. Von der Sonne der historischen Distanz verklärt, als sei er nie mit aktuellem Bierstubendunst vermengt gewesen. Er war nicht bloß im erfreulichen Sinn für Wien symbolisch.“

Eine Zukunft hat dieses Denkmal sicher nicht mehr: im Musil’schen Sinn vergessen zu werden. Die Graffiti ziehen alle Aufmerksamkeit auf das Denkmal. Es sagt: Schaut hin! Denkt nach! Informiert euch!

Christa   Zöchling

Christa Zöchling