Kassensturz mit Fragezeichen: ÖVP-Finanzen auf dem Prüfstand

Der Rechnungshof hat Zweifel hat Zweifel an der Wahlkampfkostenabrechnung der ÖVP für das Jahr 2019. Versuch einer Erklärung.

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von Emilia Garbsch

"Wir tun alles Menschenmögliche, um es einzuhalten." Und: "Wir sind wirklich sehr genau." So kündigte Sebastian Kurz, damals ÖVP-Spitzenkandidat in seiner ersten Ex-Kanzlerschaft, eine Woche vor der Nationalratswahl 2019 an, die Wahlkampfkostenobergrenze diesmal nicht erneut zu überschreiten.

Genau das ist spätestens seit der Vorwoche durch die Veröffentlichung des ÖVP-Rechenschaftsberichtes durch den Rechnungshof fraglich. Bei zahlreichen Fällen vermutet der Rechnungshof verdeckte Parteienfinanzierung. Insgesamt sollen es nicht deklarierte Spenden in Millionenhöhe sein, die beim Unabhängigen Parteien-Transparenz-Senat angezeigt wurden.

Doch neben den Spendenangaben misstraut der Rechnungshof einer weiteren Zahl: 5,6 Millionen Euro. So viel Geld will die ÖVP im für den Bericht relevanten Zeitraum, vom 9. Juli 2019 bis 29. September 2019, für den Nationalratswahlkampf ausgegeben haben. Rund 6,9 Millionen Euro flossen laut Partei hingegen in den EU-Wahlkampf 2019. Für den Rechnungshof ist das "schwer mit der politischen Lebenswirklichkeit in Einklang zu bringen". Denn die EU-Wahl ist für Parteien eher zweitrangig, die Nationalratswahl entscheidend.

Der Rechnungshof vermutet, die ÖVP-Wahlkampfkosten für die Nationalratswahl 2019 seien nicht ordentlich verbucht, das Kostenlimit von sieben Millionen Euro eigentlich überschritten worden-wie schon 2013 und 2017. Ein Wirtschaftsprüfer soll nun die Angaben erneut prüfen. "Die Obergrenze für beide Wahlkämpfe wurde auf Punkt und Beistrich eingehalten und sogar unterschritten", teilt hingegen die ÖVP mit. Man habe alle Kosten lückenlos und korrekt angegeben. Nationalratswahl und die EU-Wahl seien durch verschiedene Kostenstrukturen nicht miteinander vergleichbar. Hat sie damit recht? Und entkräftet das die Zweifel des Rechnungshofs?

"Beim EU-Wahlkampf ging das Match um die Vorzugsstimmen los. Da wurde deshalb relativ viel Geld aktiviert", sagte Werner Suppan, Rechtsanwalt der ÖVP bei der ORF-Sendung "Im Zentrum" vergangenen Sonntag. Die Partei hatte sich ein internes System verordnet: Einem Kandidaten mit mehr Vorzugsstimmen musste unabhängig von der Listenreihung, der Vortritt gelassen werden. Das motivierte zu Parallelwahlkämpfen einzelner Kandidaten, deren Teilorganisationen kräftig die Werbetrommel rührten.

Der heutige EU-Abgeordnete Alexander Bernhuber, damals 26, schaffte etwa den Einzug mit 30.338 Vorzugsstimmen-intensive Unterstützung erhielt er vom Niederösterreichischen Bauernbund. Insgesamt gaben erkleckliche 40 Prozent der ÖVP-Wähler eine Vorzugsstimme ab. Zum Vergleich: Bei der zweitplatzierten SPÖ taten das 20 Prozent ihrer Wähler.

Zusatzargument der ÖVP: Die Partei sei weniger sparsam im EU-Wahlkampf gewesen, weil sie die Kostenrückerstattung einplanen konnte, argumentierte ÖVP-Rechtsanwalt Suppan. 4,6 Millionen Euro bekam die ÖVP retour-die Anzahl der erreichten Stimmen ist dabei entscheidend, rund 13 Millionen werden insgesamt aufgeteilt. Bei Nationalratswahlen hingegen wurde die Rückerstattung 2012 gestrichen.

Die Kostenangaben für die EU-Wahl scheinen also plausibel-aber der Rechnungshof stellt diese auch gar nicht in Zweifel. Fragwürdig finden die Kontrolleure, dass für die Nationalratswahl nicht ähnlich viel-oder sogar deutlich mehr-ausgegeben worden sein soll. Grund dafür sind laut Rechnungshof authentische Unterlagen aus unbekannter Quelle, die ihm zugespielt wurden. Sie sollen Einblicke in die Buchhaltung der ÖVP geben. "Die Dokumente lassen die Angaben, die Wahlkampfosten-Obergrenze wurde eingehalten, zweifelhaft erscheinen", schreibt der Rechnungshof in seinem Statement. Die ÖVP spricht von internen Dokumenten für die Planung und Einschätzung der Kosten, die so nicht angefallen seien.

Bei den Nationalratswahlen 2019 waren die Grundvoraussetzungen jedenfalls ganz andere als beim ersten türkisen Wahlkampf mit Spitzenkandidat Sebastian Kurz 2017. Die Neuwahl kam unerwartet, die Partei war hoch verschuldet. Das im Sommer 2019 überarbeitete Parteiengesetz nahm der ÖVP die zuvor wichtige Finanzierungsquelle der Großspenden. Einzelpersonen und Unternehmen dürfen seitdem maximal 7500 Euro pro Jahr an eine Partei spenden, die jährliche Spendenobergrenze liegt bei 750.000 Euro.

"Wegen der Wahlkampfkostenüberschreitung 2017 musste die ÖVP rund 800.000 Euro Strafe zahlen. Dieselbe Überschreitung hätte bei der Nationalratswahl 2019 bis zu 5,8 Millionen Euro gekostet", sagt der auf Parteienfinanzierung spezialisierte Politikwissenschafter Hubert Sickinger. Zur Erinnerung: 2017 gab die ÖVP beinahe doppelt so viel aus wie erlaubt.

Und dennoch plante die ÖVP auch 2019 eine Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze unter Täuschung der Öffentlichkeit – zumindest ursprünglich. Das belegen Unterlagen, die dem "Falter" vorliegen. Ob es dieselben Dokumente sind, die dem Rechnungshof zugespielt wurden, ist unklar, aber nicht unwahrscheinlich. Die ÖVP bestreitet die Recherchen des "Falter" bis heute, die Unterlassungsklage war aber weitgehend erfolglos.

"Die eigentliche Frage ist: Hat die ÖVP alle relevanten Kosten in die Wahlkampfkosten eingerechnet oder nicht?", sagt Sickinger: "Dass insgesamt mehr Geld für den Nationalratswahlkampf 2019 von der ÖVP ausgegeben wurde, erscheint mir evident. Aber sie muss ja nicht alles in die Wahlkampfkosten einrechnen." Tatsächlich sind für die Frage der Kostenüberschreitung nur Ausgaben für die letzten 82 Tage vor der Wahl relevant, die direkt dem Wahlkampf zugutekommen.

"Was dazugerechnet werden muss, ist eine juristische Frage", so Sickinger. 2017 sei etwa getrickst worden, indem Social-Media-Clips teilweise nicht dem Wahlkampf, sondern der allgemeinen Kommunikation zugeordnet wurden. Auch 2019 kalkulierte die ÖVP die Wahlkampfkosten speziell. Die "Wandertour" von Sebastian Kurz plante sie etwa nicht als Zusatzkosten für die Wahl ein. Es handle sich um eine reguläre jährliche Veranstaltung, die auch 2018 in einem Jahr ohne Wahl stattgefunden habe. Gutachterin Barbara Sommerer, die für den Unabhängigen Parteien-Transparenz-Senat die Wahlkampfausgaben der Parteien prüfte, sah das anders – die ÖVP habe Bildmaterial und Videoschnipsel des Wandertags zur Wahlmobilisierung verwendet.

Ob der Wandertag in die Wahlkampfkosten miteinbezogen wurde, ist unklar - die ÖVP ließ eine Anfrage von profil dazu unbeantwortet. Auch eine detaillierte Aufschlüsselung der Ausgaben für beide Wahlen 2019 wollte sie nicht übermitteln und verwies stattdessen auf ihren Rechenschaftsbericht, in dem sich aber nur die Angabe findet, dass man die Obergrenzen in den Wahlkämpfen eingehalten habe.

Auch Nachfragen des Rechnungshofs seien teilweise nicht beantwortet worden, erklärt dieser in seinem Statement. Eine Befugnis zur Einsicht der Parteibücher hat er nicht. Die für den Sommer geplante Novellierung des Parteiengesetzes soll das ändern. Bisher war der Rechnungshof auch nicht direkter Auftraggeber der Wirtschaftsprüfer-und konnte sich deshalb mit Fragen nur an die Partei wenden. Das wird bei der erneuten Prüfung anders laufen.

Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Karl Nehammer, der als ehemaliger Generalsekretär für die Wahlkämpfe 2019 verantwortlich ist, gab sich in der "ZiB 2" dennoch betont gelassen: "Wenn zwei Wirtschaftsprüfer schon testiert haben, soll noch einer kommen, und wenn der Rechnungshof will, kann er auch noch einen vierten schicken. Wir haben da nichts zu verstecken."

Das nächste Kapitel in der langen Geschichte der ÖVP-Parteifinanzen kommt bestimmt.