Österreich

Marlene Streeruwitz: Gedämpfte Österreichischheit

Die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz lebt derzeit in New York und wirft einen Blick von außen auf die Gegenwart der Republik und deren mentale und soziale Grundbefindlichkeiten.

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Ach. Der Antifeminismus der Linken. Weltweit und hier bei uns. Es geht weiterhin um die Aushandlung der Männlichkeitskonstruktionen. Statt in ein Zeitalter der Mitbestimmung einzutreten und so all die Krisen demokratisch lösen zu können, schlagen wir uns mit altmodischen Rollenfragen herum. Die hätten in den 1980er-Jahren erledigt werden können. Wurden sie aber nicht. Dohnal raus. Vranitzky rein. Die soziale Revolution gegen die wirtschaftliche ausgetauscht. Der Sozialist wird zum Sozialdemokraten, weil er mitregieren will. Dafür wurde und wird angepasst. Und Anpassung. Die wird verlangt, aber nicht belohnt.

In den USA, so lese ich in der Jefferson Market Library in New York. In den USA sind 40 Prozent der Bevölkerung creationists. Das heißt, die biblische Schöpfungsgeschichte ist die wissenschaftliche Wahrheit. Das heißt, dass Jesus 2050 wiederkehren wird. Er wird in Jerusalem erscheinen und dort während der letzten Tage der Menschheit die Dinge regeln. Deshalb unterstützt die Hälfte der Evangelikalen in den USA Israel und Donald Trump. Er hat die Botschaft der USA für diese 40 Prozent nach Jerusalem verlegt und damit die Bedeutung dieses Orts für die Bibelausleger bestätigt.

40 Prozent christlich Gläubige. Das bedeutet den pater familias. Das bedeutet Heteronormativität, die pro life ist. Ein Mann ist ein Mann. Die Waffen sind da selbstverständliche Beschreibung der Verteidigung gegen alle Gewalt von außen. Auch gegen die des Staats.

Wie ist das in Österreich, frage ich mich. 51,9 Prozent Katholiken. Nicht unähnlich. Und nicht unähnlich steht der katholische Mann in einer patriarchalen Erbschaft. Hier in der Hausvaternschaft der Monarchie. Da war der österreichische Mann an Rom ausgeliefert gewesen und durfte sich nicht scheiden lassen. Dafür war er zum Herrn über die Familie als seinem privaten Reich im Ausgleich für die Untertanenschaft im Kosmos des Öffentlichen gemacht. In der Ersten Republik wurde erbittert zwischen links und rechts über die Scheidung gestritten. Die bürgerlich-katholische Vorstellung wurde durchgesetzt. Erst die Nazis führten die Scheidung ein. Der „deutsche“ Mann sollte nicht durch die Familie behindert sein. Für den „deutschen“ Mann war Vielweiberei angedacht. Natürlich ging es da um das Zeugen von Soldaten, und die Frauen sollten Kinder produzieren und damit zufrieden sein. Aber. Die Scheidung blieb dann nach 1945 erhalten. Und dann. Die Familienrechtsreform 1975. Von da an. Die Familie ist aufgelöst. Die Bindungen werden über die Kinder beschrieben. Die Frauen sind durch das Kindergeld mit dem Staat verheiratet. Der österreichische Mann ist befreit und ist so der Kriegsgewinnler im sorgsam erhaltenen Geschlechterkrieg. Denn. Kulturell und damit wirtschaftlich ist die Überlegenheit des Manns weitergeführt. Und da hat die SPÖ mitgemacht. Weil eben jeder Mann an diesem kulturellen Vorteil beteiligt wird, wenn die Gleichheit nicht aktiv und gegen herrschende Umstände durchgesetzt wird. Für eine demokratische Gesellschaft. Eine sozialistische Demokratie, wie Kreisky das nannte. Es hätten die Männer sich vom Patriarchat als Sicherer ihrer Vorteile emanzipieren müssen. Wie die Feministinnen verlangten. Zu ihrem männlichen Vorteil rutschten die Sozialisten aber lieber ins sozialdemokratisch Koalitionsfähige und damit mitten in die Korruption solcher Machtaushandlung.

Die Schriftstellerin und Dramatikerin Marlene Streeruwitz, 72,zählt zu den wichtigen Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Zuletzt erschienen der Essay „Handbuch gegen den Krieg“ (Bahoe Books) in der von profil-Redakteur Wolfgang Paterno herausgegebenen Reihe „Bibliothek des Alltags“ und der Roman „Tage im Mai.“ (S. Fischer)

Aber wie geht das mit der Macht in Österreich. Hier. In den USA. Diese 40 Prozent verbindet heute die Gegnerschaft gegen den Staat, wenn der von der Demokratischen Partei regiert wird. Das sieht die FPÖ genauso und kann damit die Unzufriedenen versammeln. Die postkatholische Mitte wird hier mit dem Staat identifiziert und die SPÖ nebenbei mitgedacht. Weil sie ja auch regieren möchte, macht sie sich verdächtig, weil sie sich nicht wirklich unterscheidet. Oder unterscheiden will. Es ist sicher schwierig, sich als österreichischer Mann ohne Elitenzugehörigkeit das Regieren zuzutrauen. Macht auszuüben. Weil eben die ständischen Grenzen nicht durch die Anerkennung der Frauen in ihrer Gleichheit ein für alle Mal beseitigt wurden. Die Gleichberechtigung der Frauen in aller Praxis hätte zur Folge haben müssen, dass die Gesellschaft sich vollkommen neu anordnet. Es hätte Gleichheit unter den Männern geben müssen, die Frauen in diese Gleichheit zu integrieren. Das ist ein linkes Konzept, vor dessen Logik die Linken zurückschreckten. Und jetzt haben sie halt die alten ständischen Umstände und keine Arbeiterklasse. Damit werden sie nicht mehr fertig werden können. Denn. In Österreich. In der weltweit sozial angespannten Situation nach der Finanzkrise 2007/8. In einer Situation, in der sich politisch nichts mehr ausging, weil die Einsparungen wegen der Bezahlung der Bankschulden zu spürbar geworden waren. In dieser Situation hatten wir einen Staatsstreich von oben. Die Neueinfärbung der ÖVP mit Türkis und Kurz benutzte die Blaupause des Rechts-Faschistischen (gab es da nicht Berater aus den USA?) bis hin zur Jesus-Figuration. In bewährt gedämpfter Österreichischheit wurde alles erfüllt, was die Rechten hier in den USA befeuert: Geist, Wissenschaft und Demokratie sind der Feind. Der christliche Glaube evangelikaler Rechter wurde in Wien mit dem Mythos einer kulturnationalistischen Sendung Österreichs ersetzt. Austrian exceptionalism. Ein ideologischer Zirkelschluss verhindert dann aber sorgsam die Entwicklung einer Kultur. Anti-Intellektualität ist eine Triebkraft. Aber! Hinter der Einfärbung, den Jesus-Auftritten, den mit gepresster Kopfstimme vorgetragenen Beteuerungen, alles ganz anders zu machen. – Besseres wurde uns ja nie versprochen. – Es fand der totale Machterhalt statt. Die von der ÖVP repräsentierte Alt-Elite in Banken, Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer plus alle die informellen oberschichtigen und katholischen Beziehungen (siehe Chats) konnten in Ruhe weitermachen.

Eliten existieren für ihren Machterhalt. Eliten treibt der unbedingte Wille, sich die Macht bis in die übernächste Generation zu erhalten. Das ist das patriarchale Grundprinzip. In Österreich war das über den Kaiser repräsentiert, der durch die katholische Kirche von Gott selbst eingesetzt war. Das ist also unsere Glaubensform. Nicht die Schöpfungsgeschichte wie in den USA. Ein Kaiser als Medium Gottes. Kommt da diese Gedämpftheit her? Weil das patriarchale Grundprinzip nur auf diese Figur angewandt wird und nicht auf jeden einzelnen Mann. Wie in den USA? Mithilfe der katholischen Kirche konnte diese habsburgisch-monarchische Interpretation des patriarchalen Grundprinzips jedenfalls als Glaube an Gott in einem schönen Zirkelschluss für das Katholisch-Bürgerliche und Liberale weitergeführt werden. Die Erbschaft des normalen österreichischen Manns ist dann eben der Untertan, während die Eliten Anteil bekommen. Der normale Mann, der von einer Überwertigkeit doppelt ferngehalten wird. Der vermittelnde Priester und dann der vermittelte Kaiser und dann irgendwann dieser Gott. Und weil das Katholische wie jede Christlichkeit davon ausgeht, dass das Leben gottgegeben ist. Der österreichische Mann muss da bleiben, wo er geboren worden ist. Außer er ist schon in die Elite geboren.

Der Hausvater des ABGB von 1811 bis 1975 hatte ein kleines eigenes Reich. Das hat ihm das Demokratische genommen. Und Demokratisch. Seither ist es eher links angesiedelt. Und kulturell. Da ist der Hausvater erhalten. Als rechte Männlichkeitskonstruktion. Und. Ob rechts und links oder geradeaus. Jeder österreichische Mann ist weiterhin Kriegsgewinnler aus dieser alten Konstellation.

Und da zeigt sich ja auch das reaktionäre Genie schüssel-kurz’scher Strategie. Mit der Wiedereinführung der Schulnoten von Anfang an. Die österreichische Person wird über die Noten in ihr Gegebenes festgebunden. Auch in ihr Geschlecht damit. Wenn wir uns dazu noch erinnern, dass die Bildungsbiografie einer Person nun 60 Jahre aufbewahrt wird. Das österreichische patriarchale Grundprinzip wird über die Schule vermittelt. Diskret ist das. Das Kind müsse wissen, wo es stehe, wurde gesagt. Die SPÖ? Hat sie etwas dazu gesagt? Nicht viel, und die Veränderung blieb stehen. Es gibt ja keine Möglichkeit, wie beim Kopftuchverbot zum Verfassungsgerichtshof zu gehen und zu sagen, dass durch diese frühe Wiederbenotung des Kinds die Rückkehr in das ständische Glaubenssystem christlicher Bestimmtheit vollzogen wurde. Antidemokratisch nativistisch wird in die jeweilige Situation der Geburt zurückgebunden. Die Person bleibt da, wo sie von Staats wegen reaktionär gedacht hingehört. Die Gründungsaufgabe der österreichischen Schule seit der Aufklärung wird so weiterhin erfüllt. Der Schüler soll sich nach oben orientieren und nicht zu sich selbst kommen. Die Schülerin hing schon immer ein bisschen in der Luft. Für sie gibt es in diesem alten System ja kein oben. Und so. Auch die katholische Kirche hätte davon profitieren können, den Frauen die Gleichwertigkeit zu verschaffen.

Und die Eliten erfrischen sich genau damit. Das Patriarchat sowieso. Die Kinder gehen ja auch durch verschiedene Türen in ihre Schulen und lernen so sehr genau, was ihnen zusteht und was nicht. Und das mit dem Zustehen. Das hat noch mit dem Kaiser zu tun. Und das wieder. Das führt zum Wählen gegen die eigenen Interessen. Was ja vor allem rechts der Fall ist.

Kreisky hätte schon angefangen damit, das Demokratische aufzubauen. In den Personen. Weg von den Glaubensprinzipien. Weg vom Erhalt des Patriarchalen in den herrschenden Eliten. Aber wenn eine Partei das Interesse daran verliert?

Es reicht eben nicht, Eliten nachlernen wollen. Die richtigen Schuhe anziehen und mittanzen. Der österreichische Oberschichtmann, der heute auch eine Oberschichtfrau sein kann. Der aus der Elitenfamilie kommt und in Elitenschulen geschickt, sich dann auf einer der Eliteuniversitäten in den USA den letzten Schliff holt.

Dazu fällt mir die Geschichte ein, wie Grillparzer erzählt, dass Metternich mit seiner Familie über Kant philosophierte, während Kant zu lesen seit 1804 in der Monarchie verboten war. Solch anliberalisierte Führungsschicht. Es hat sich nicht viel geändert. Wer will da mitmachen wollen. Gediegenes Misstrauen ist dann doch die einzige Möglichkeit. Wenn eine Schicht die anderen ver-andert. Es gibt dann keine Verständigung mehr. Das bekomme ich hier jeden Tag neu vorgesetzt. Der Vorgang der Ver-Anderung führt zu Kampf, und das ist Absicht. Die Ver-Anderung, die in der ÖVP zu Hause ist. Sie drückt sich in den Chats aufs Genaueste aus. Die Regierungen Kurz & Co einigte ja die Technik solchen Ausschlusses. Ausgeschlossen waren wir. Die Bürgerinnen und Bürger. Und die SPÖ hätte uns in Solidarität abholen können. Aber dafür wieder. Wie kann das Problem einer ständischen Gesellschaft gelöst werden, in der die Klassen nichts von sich wissen. Nichts wissen können. Dafür sorgt die Verbannung ins Wohingehören der frühen Prägungen. Die revolutionäre Energie, die das alles hinter sich bringen hätte können. Die lag in der Arbeit an der Gleichstellung der Frau und aller anderen strukturellen Minderheiten. Die kam aus dem Ziel einer Transformation ins Demokratische. Das war mit dem Universitätsorganisationsgesetz 1975 begonnen worden. 1993 wurde dieses Gesetz still abgeschafft und die Universitäten in Bildungsfabriken verwandelt. Die ÖVP ist ja gediegen reaktionär, antiintellektuell wie christlicher Fundamentalismus überall. Die SPÖ ließ alles geschehen, dass Personen sich nicht aus dem ihnen Zugewiesenen per frühen Noten und verschultem Bildungsangebot in demokratische Teilnahme herausarbeiten können werden. Es bleibt dann nur der Weg der Anpassung an die Eliten, um mitmachen zu dürfen. Oder der Übertritt in das Glaubenssystem rechtsradikaler Verkündigung verschafft Geltung. Dafür ist der österreichische Mann gut vorbereitet. Die Frauen wurschteln weiter zwischen allen Pflichten und werden mit Altersarmut belohnt. Aber. Die nächste Frage überholt ohnehin alle solche Überlegung: Wer will überhaupt noch eine politische Partei? Wird die SPÖ das erste Opfer der neuen Umstände mit Internet und Individualismus werden? Ein bisschen ist es so, als hätte man sich das ohnehin schon gedacht. In der SPÖ.

Ach! Wie schön wäre ein unchauvinistische Linke, die die Klimakrise demokratisch bewältigen möchte. Hier. In den USA. Die Eliten betreiben ihre Rettung vor Klimakrisenfolgen in aller Eile, während sie die Krise in der Öffentlichkeit leugnen. Metternich und Kant fallen einem dazu ein. Glaubwürdigkeit ohne Glauben wäre es. Die Säkularisierung unserer Politik steht noch aus. Es wäre höchste Zeit.