Interview

Christian Kern: „Mir ist mein Anteil am Schlamassel bewusst“

Ex-SPÖ-Chef Christian Kern sagt, er sei schuld an der jetzigen SPÖ-Krise, weil er damals überstürzt den Parteivorsitz hinwarf. Im „verrückten Prozess“ Mitgliederbefragung kandidiert er nicht. Und kritisiert: Die SPÖ sei verengt und ein Intrigantenstadl.

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Sie haben damals Pamela Rendi-Wagner als Ihre Nachfolgerin vorgeschlagen. War das ein Fehler?
Kern
Rendi-Wagner war Nummer zwei bei der Nationalratswahl, eine exzellente Gesundheitsministerin, die Herzen sind ihr zugeflogen in der Partei. Es ging mir damals nicht nur um den Personalvorschlag, wir hatten auch ein neues Programm mit stärkeren Akzenten Richtung Klimaschutz erarbeitet und eine Parteireform durchgesetzt. Die Nummer 1 sollte diesen Aufbruch der SPÖ glaubwürdig symbolisieren. Insofern war Rendi-Wagner die Richtige. Ich hatte auch Doris Bures gefragt, aber sie wollte nicht.
Der Aufbruch passierte nie.
Kern
Ganz offensichtlich. Das Konzept Erneuerung ist nach meinem Abgang schnell einkassiert worden, die Parteireform auf Druck des Parteiestablishments eingestampft, das neue Programm schubladisiert.
Hans Peter Doskozil nannte das neue Parteiprogramm links-grüne Fundi-Politik. War die SPÖ schon damals gespalten?
Kern
Die Konflikte in der SPÖ haben deutlich früher begonnen. Ich habe 2016 den Parteivorsitz übernommen, nach der katastrophalen Präsidentenwahl, dem Eklat am 1. Mai, mit einem heillos überzogenen Bankkonto und einem tief frustrierten Faymann-Camp. Am Tag eins meiner Kanzlerschaft haben Parteifreunde den enormen Skandal der „Krone“ gesteckt, dass Heinz Fischer das Jubiläumsjahr 2018 präsidieren sollte und ihm dafür eine Assistentin und ein Raum zur Verfügung gestellt werden. Und so ging das munter dahin. Mein schwieriges Verhältnis zu den Boulevardmedien hatte auch damit zu tun, dass gewisse Zirkel aus den eigenen Reihen gegen mich Stimmung machten. Die hatten ihren Spaß mit uns.
Die Liesinger Partie?
Kern
Jeder weiß, wen ich meine. Das sind die Leute, die absurderweise ein Leben lang von der Partei gelebt haben.
Christian Deutsch?
Kern
Wenn man sieht, wie schwer sich die SPÖ tut, ein Verfahren für die Mitgliederbefragung zu organisieren, dann kann man sich vorstellen, wie schwierig es damals war, eine Parteireform durchzusetzen, die echte Öffnung gebracht hätte, oder den Kampf gegen den Klimawandel auf die Agenda zu setzen. In der jetzigen verfahrenen Situation muss man einen Weg nach vorne finden. Dann bedeutet der große Krach eine Chance auf Katharsis.
Rächt sich, dass die Parteireform nicht durchgeführt wurde?
Kern
Eindeutig. Mir war klar: Es gibt keine Bestandsgarantie für die Sozialdemokratie. Der Geist, für den wir brennen, also das Leben der Menschen besser zu machen, dafür braucht es eine gewisse Blutauffrischung, intellektuell und persönlich. Also hätte die Partei sich öffnen müssen. Jetzt passiert in der SPÖ aber etwas völlig anderes: Zwei Handvoll Menschen glauben, die Partei gehört ihnen – und übersehen, dass ihnen die Realität unter den Fingern zerbröselt. Und so stolpert man in eine Mitgliederbefragung, ohne dass man Regeln festgelegt hat. Schlimmer noch: Ein Teil will die Mitgliederbefragung, ein anderer Teil setzt alles daran, das Verfahren lächerlich zu machen.
Werden nach der Mitgliederbefragung alle beschädigt sein?
Kern
Das Problem ist, dass da persönliche Animositäten herrschen, die ungesund sind. Es gibt weder gemeinsame Konzepte noch gemeinsame Auftritte. Wir diskutieren, wer den Parteivorsitz der SPÖ gewinnt. Aber die eigentliche Herausforderung ist doch: Wie kann man den drohenden Lebensstandardverlust verhindern – und eine schwarz-blaue Mehrheit? Das ist die Aufgabe der SPÖ. Wer mit Landbauer und Waldhäusl koaliert, hat auch keine Skrupel, mit Kickl zu regieren. In Österreich brechen gerade Eiterbeulen an Korruption und Bestechung auf. Ich will nicht erleben, dass eine rechtspopulistische Regierung die Justiz gefügig macht und Verfahren erschlägt, die ihr nicht passen.
Ist diese Hoffnung auf ein reinigendes Gewitter nicht naiv?
Kern
Natürlich gibt es in der SPÖ ein Führungsvakuum. Es gibt keine Autoritäten mehr, denen alle gerne folgen. Wenn die verschiedenen Lager nicht zueinanderfinden, dann wird die SPÖ länger keine Rolle spielen. Da ist die Parteibasis klüger als die emotionalisierten Hauptdarsteller. Denen reicht es schon zu Recht. Das Paradoxe ist, die drei Frontrunner – Pamela Rendi-Wagner, Hans Peter Doskozil, Andreas Babler – sind allesamt respektable Persönlichkeiten. Zusätzlich haben spannende Köpfe wie Niki Kowall aufgezeigt, es gibt die Länder, den Parlamentsklub. Die SPÖ könnte ein Regierungsteam dreimal mit qualifizierten Leuten besetzen. Daraus nähre ich meine Hoffnung auf ein reinigendes Gewitter.
Sind Sie schuld an diesem Schlamassel – weil Sie überstürzt den Parteivorsitz hingeworfen haben?
Kern
Ja, das bin ich. Natürlich trage ich Mitverantwortung, das ist überhaupt keine Frage. Umso mehr ist es mir ein Anliegen, dass dieser Prozess in vernünftige Bahnen kommt. Ich wollte die SPÖ öffnen und modernisieren. Stattdessen hat sie sich nach meinem Abgang weiter verengt, thematisch, inhaltlich und personell. Und insofern habe ich natürlich Mitverantwortung dafür, wo wir heute stehen.
Warum haben Sie hingeworfen?
Kern
Erinnern wir uns: Wir haben am Höhepunkt der Migrationsdebatte gegen einen Gegner, der die Wahlkampfausgaben illegal ums Doppelte überzogen hat und auch noch Steuergeld missbraucht hat, um sich die größten Zeitungen einzukaufen, Stimmen dazugewonnen – trotz aller Fehler, die ich gemacht habe. Die letzte Umfrage vor meinem Abgang lag für die SPÖ trotz des Kurz-Hypes bei 29 Prozent. Und dennoch gab es jeden Tag Querschüsse aus dem eigenen Haus, Intrigen, Auseinandersetzungen. Ich habe das nie öffentlich thematisiert, weil es der Partei geschadet hätte. Aber irgendwann hat man den Eindruck, dass man nicht der Richtige für die Aufgabe ist. Mir ist mein Anteil am jetzigen Schlamassel absolut bewusst. Und ich verstehe alle, die nachtragend sind. Es tut mir leid, dass ich ihnen nicht einmal widersprechen kann.
Zum Beispiel Michael Ludwig nicht, der gesagt hat, ein Comeback von Ihnen komme nicht infrage.
Kern
Ludwig ist ein guter Wiener Bürgermeister. Wenn ich ihm etwas zu sagen habe, dann rufe ich ihn an.
Haben Sie überlegt, zu kandidieren?
Kern
In diesem verrückten Prozess? Schon gar nicht. Erst gibt es einen Parteitag, dann doch eine Mitgliederbefragung, dann zwei Kandidaten, dann 73 plus allerlei Getier, und niemand weiß, wie verbindlich das alles sein soll. Das ist Chaos pur. Ich bin CEO eines internationalen Unternehmens. Dort ist mein Platz. Aber natürlich habe ich Interesse, dass die SPÖ als wichtige demokratische Kraft eine Zukunft hat.
Heißt das, Sie würden vielleicht am Parteitag als Kompromiss- oder Kanzlerkandidat antreten?
Kern
Das ist eine leere Spekulation. Ich liebe meine Aufgabe in der Privatwirtschaft und bleibe einfaches Parteimitglied.
Wen unterstützt das einfache Parteimitglied Kern: Rendi-Wagner, Doskozil oder Babler?
Kern
Die erste Frage ist: Wer kann Schwarz-Blau verhindern? Die SPÖ hat eine demokratiepolitische Verantwortung, und da muss man persönliche Vorlieben hintanstellen. Die zweite Frage ist: Wer ist bereit, auf die Verlierer der Abstimmung zuzugehen? Wenn man die Auseinandersetzung nicht mit dem politischen Gegner, sondern zuerst mit den eigenen Leuten führen muss, wird es schwer.
Und wer garantiert das?
Kern
Der das überzeugendste Programm vorlegen kann. Auf jeden Fall braucht die SPÖ inhaltliche Erneuerung: Inflation, Energie, Mieten, Lebensmittelpreise – das erzeugt Abstiegsängste in der Mittelschicht. Das muss man ernst nehmen, das darf man nicht der FPÖ überlassen. Energiekonzerne vervielfachen ihre Gewinne, und ihre bedrängten Kunden zahlen die Party. Oft genug handelt es sich dabei noch um Staatskonzerne. Absurd. Eine österreichische Bank zahlt dem Vorstand in zwei Jahren 80 Millionen an Gehältern aus. Krachen die gegen die Wand, dürfen die Steuerzahler sie wieder retten. Wozu brauchen wir Pflegeheime, die profitorientiert geführt werden? Wir brauchen eine starke Wirtschaft, aber Exzesse müssen beendet werden. Außerdem müssen Arbeitseinkommen Menschen ein Leben in Würde erlauben. In Österreich sind Steuern und Abgaben auf Arbeit zu hoch, Vermögen werden de facto nicht besteuert. Da geht es um einen großen Umbau unseres Steuersystems, kombiniert mit enormen Investitionen, um die Klimawende durchzusetzen. Es gibt viele Themen, wo es eine starke Sozialdemokratie braucht.
Dafür hat die SPÖ keine Zeit, sie ist mit sich beschäftigt. Wie kann die SPÖ aus der Krise herauskommen?
Kern
Nur mit Einigkeit. Die SPÖ hat in den nächsten Wochen die Chance, mit Schwung aus der Abstimmung zu kommen, wie seinerzeit die SPD, oder sich zu zerstören. Jetzt sind die Granden der Partei gefordert.
Sie meinen etwa Michael Ludwig?
Kern
Ich möchte niemand herausheben und keine Haltungsnoten vergeben. Ich will nicht zu den Leuten gehören, die sich an den Niederlagen anderer weiden, statt am gemeinsamen Erfolg zu arbeiten. Jetzt braucht es eine Idee für den Tag danach.
Was kommt am Tag danach?
Kern
Die Einsicht, welch große Verantwortung die SPÖ trägt. Von Bruno Kreisky ist der Grundsatz überliefert: Wir müssen sozialpolitisch links, wirtschaftspolitisch pragmatisch und sicherheitspolitisch rechts sein. Das war sein Erfolgsrezept. Das muss die SPÖ reanimieren.
Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin