Kogler beim Bundeskongress

Milieu und Charakter: Spurensuche bei Werner Kogler

Viele halten ihn für einen Spätstarter. Tatsächlich war der junge Werner Kogler seiner Zeit um 30 Jahre voraus. Eine Spurensuche.

Drucken

Schriftgröße

Wenn langjährige Freunde von Werner Kogler an die Anfangsjahre zurückdenken, fällt ihnen ein politischer Kraftprotz ein, der zu mäandernden Wortmeldungen neigt und vom Hundertsten ins Tausendste kommt. Der Kogler-Sound hat sich eingeprägt, auch weil er manchmal an den Nerven zerrt: lautes Denken wie eine Selbstbefragung; ein Argument, das im Augenblick des Aussprechens schon wieder relativiert wird, um am Ende doch auf den Punkt zu kommen; rhythmisches Sprechdenken mit überraschenden Einschüben. In den vergangenen 40 Jahren, so lange betreibt Kogler schon Politik, hat er diesen Stil perfektioniert und zu einem Markenzeichen gemacht. Im Reden wie im Schreiben. profil hat sich Koglers Diplomarbeit und andere, unbekannte Schriften angesehen.

Der Name war Programm

„In Zeiten wie diesen ist fundiertes Reflektieren, Nachdenken und auf Erkenntnisgewinn ausgerichtete Arbeit wichtig. Die Frage ist, wie sehr das in Beratungen einfließen kann. Wir müssen uns gemeinsam damit beschäftigen, wie wir die richtigen Vokabeln, ein ganzes Sprachsystem finden für das Thema, denn sonst fliegt uns die jetzige Organisation des Gemeinwesens, die wir als Demokratie bezeichnen, um die Ohren.“ So beginnt Kogler einen Aufsatz über Bedingungen und Gefahren staatlichen Schuldenmachens in einer globalisierten Welt (erschienen 2018 in einem Sammelband zur Finanzsoziologie). Er outet sich darin als Skeptiker klassischer Vermögenssteuern, der bei „ganz hohen Erbschaften“ jedoch deutlich zugreifen würde – und als ein moderner Lord Chandos, der an der Unzulänglichkeit der Sprache verzweifelt, der der Sprache der Politik nicht traut. „Er hatte nie diesen Politiksprech, und ich hoffe, das bleibt so“, sagt Doris Pollet-Kammerlander, eine steirische Grüne der ersten Stunde.

Als sich AKW-Gegner, Friedensbewegte, Feministinnen, Bürgerinitiativen, Umweltbewegte und Antifaschisten Ende der 1970er-Jahre in Graz als „Alternative Liste“ formierten, trafen sie sich in der „dezentrale“, einem im Parterre gelegenen Straßenlokal in der Nähe des Grazer Hauptplatzes. Der Name war Programm. Alles schien möglich, nichts war fix. Geliebt und gefürchtet waren die sogenannten Plena. Mit langen Rednerlisten und dem Anspruch, auch Frauen zu Wort kommen zu lassen, erging man sich in uferlosen Streitereien und eitlen Rededuellen über Statuten und Geschäftsordnung. Es waren Lehrjahre der Machttechnik, und Kogler, noch Gymnasiast in Gleisdorf, saß mittendrin. Statutenjäger war er keiner. Ein Eiferer auch nicht. Dass er einmal an der Spitze stehen würde, damit rechnete niemand.

Zeitung der ALG für die Grazer Gemeinderatswahl 1983. Der 22-jäh-
rige Kogler (vorn, Mitte) im Zentrum des Geschehens.

Nach einer Analyse im „Österreichischen Jahrbuch für Politik“ 1983 waren in der „dezentrale“ vor allem junge Leute zwischen 20 und 29 Jahren aktiv, zwei Drittel der Aktivisten waren Männer, 8 Prozent Hausfrauen, 33 Prozent studierten, 40 Prozent hatten ein abgeschlossenes Studium, 50 Prozent waren im öffentlichen Dienst beschäftigt, meist Lehrer. Hier saßen die Bildungsaufsteiger der Ära Kreisky, denen die staatstragenden Parteien SPÖ und ÖVP zu engstirnig waren, zu undemokratisch und hierarchisch. Ein Teil von ihnen fühlte sich als die neue Sozialdemokratie. „Jetzt haben die Grünen wieder eine optimistische Vision wie zu Zeiten Kreiskys“ meint Gudrun Schreiner, die damals schon dabei war.

Wer seine Leute mobilisieren und zu Treffen herankarren vermochte, gewann jede Abstimmung. So war Basisdemokratie, intern als Bus-Demokratie verspottet. Kogler zeigte da keinen Ehrgeiz. In der Halbzeit 1985 kam er trotzdem in den Grazer Gemeinderat. In seiner ersten Rede stand er in kurzen Hosen am Pult.

Kogler eilte ein Ruf voraus. Unangepasst, leicht anarchistisch, in wichtigen Angelegenheiten jedoch ernsthaft und verlässlich. Die Matura absolvierte er mit Vorzug.

Studium mit Hindernissen

Dass Kogler ins Gymnasium nach Gleisdorf kam, war in seinem Milieu, als Sohn eines Getreidehändlers in St. Johann in der Haide, keine Selbstverständlichkeit. Die Aufnahmeprüfung war kurz zuvor abgeschafft worden, die feinen Unterschiede blieben bestehen. Da waren die Kinder aus den „besseren“ Gleisdorfer Familien – Kaufmann, Arzt oder Apotheker – und da die anderen: Zugereiste, die wie Kogler täglich mit dem Schulbus kamen. Die Kleinstadtatmosphäre war stockkonservativ. Ältere Lehrer aus den Nazi-Jahren waren umstandslos in die neuen Zeiten transferiert worden. Aber es gab auch junge Lehrer wie das Ehepaar Leyrer, die eine ganze Generation politisierten. Andrea Stangl, grüne Bezirksrätin in der Wiener Leopoldstadt, damals in Koglers Parallelklasse, erinnert sich an Debatten mit Künstlern aus dem Forum Stadtpark, an einen Besuch im ehemaligen KZ Mauthausen und an den Auschwitzüberlebenden Hermann Langbein, einen zerbrechlichen alten Herrn mit kraftvoller Stimme, der als Zeitzeuge zu ihnen an die Schule kam. Stangl wurde Historikerin. Kogler studierte Volkswirtschaft an der Universität Graz.

Ein Studium mit Hindernissen. Zuerst der Gemeinderat, und dann drohte eine Mülldeponie seine Heimatgemeinde zu verpesten. Das war Koglers erster politischer Erfolg. Das ganze Dorf war auf den Beinen. Die Anlage ging am Ende als Müllsortierung in Betrieb.

Alternativ auf allen Ebenen

Im Politikverständnis der Alternativen Liste Graz (ALG) bedeutete ökologisch mehr, als die Autos aus dem Grazer Landhaushof zu verbannen. Es war der Code für ein Wirtschaften, das sich nicht nur am Profit orientiert. Kreislaufwirtschaft statt Abfallwirtschaft, Müllvermeidung statt Müllbeseitigung, Verkehrs- und Stadtplanung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen und nicht den Autofahrer. Heute sind das Mainstream-Themen.

Kogler haben solche Fragen zeitlebends umgetrieben. Seine Diplomarbeit von 1993 trägt den Titel „Ökosteuern in und für Österreich“. Kogler stellte bei den Regierungsparteien SPÖ und ÖVP – wenig überraschend – eine „große Lücke“ zwischen programmatischem Anspruch und Handeln fest. Immer mit der Ausrede des internationalen Gleichklangs. Aber auch die Grünen, so Kogler, wollten nicht die Industrie verjagen und loteten den „nationalen Spielraum“ aus.

Am vergangenen Bundeskongress der Grünen fiel eine fast wütende Redepassage von Kogler auf, in der er politische Kommentatoren angriff, die keine Ahnung hätten, wovon sie reden, wenn sie glaubten, eine CO2-Steuer könne man so einfach implantieren, und genügend Modelle lägen ja schon vor. Er verwies auf seine Diplomarbeit. Er wisse um die tausend Schrauben, an denen gedreht werden und was alles bedacht werden müsse.

Koglers sozialpolitische Vorstellungen sind grundlegend anders als der Regierungspakt nahelegt. In der Sozialpolitik plädierte Kogler immer für eine allgemeine Grundsicherung statt sozialer Treffsicherheit und kritisierte die starke Erwerbs- und Familienzentriertheit bei Transferleistungen. Das Gerede vom Nulldefizit hielt er für eine konservative „Ersatzreligion“. Das sieht er heute differenzierter.

In einer Programmschrift, die Kogler gemeinsam mit dem nunmehrigen grünen Hauptverhandler Josef Meichenitsch 2010 herausgab, heißt es: „Die Auswege aus der Krise sind grün.“ Die Krise wurzle auch in ungerechter Vermögensverteilung. Ein Prozent der Bevölkerung besitze ein Drittel des Vermögens. In Privatstiftungen würden 60 Milliarden Euro steuerschonend gehortet und das gehöre geändert. Ein vernichtendes Zeugnis stellen Kogler und Meichenitsch dem damaligen Finanzminister Josef Pröll und dem Raiffeisennetzwerk aus.

Kogler der „Überzeugungstäter“

Das hinderte die ÖVP-eigene Julius-Raab-Stiftung nicht, 2013 eine Schrift zu publizieren, in der spekuliert wurde, was geschehen wäre, wenn es schon 2003 eine schwarz-grüne Regierung gegeben hätte. In dieser Vision ist Josef Pröll Kanzler – und der grüne Vizekanzler heißt Werner Kogler.

Es sieht aus, als hätten Teile der ÖVP den sachverständigen Kogler schon länger auf dem Radar gehabt als die Grünen selbst. Herausgeber der Broschüre war der heutige Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer. Unter den schwarz-grünen Denkern von damals findet sich eine Beate Meinl, heute Meinl-Reisinger und NEOS-Chefin.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat nach den Marathon-Verhandlungen gesagt, er habe Kogler in den Debatten als einen „Überzeugungstäter“ kennengelernt. Kurz hat das vermutlich respektvoll gemeint, wenn auch in seinen Kreisen das Wort einen gewissen Hautgout besitzt, den man gern Linken gegenüber anwendet.

„Überzeugungstäter ist nicht mein Begriff, aber er war beharrlich und hat nie aufgegeben, wenn ihm etwas wichtig war“, sagt Sigrid Binder, ebenfalls eine Gründerfrau.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling