Syrer haben einen Vorteil beim Deutschlernen: Im Vergleich zu Afghanen oder Tschetschenen brachten sie eine viel bessere Vorbildung mit.

Mindestsicherung neu: Diese 6 Punkte sollten Flüchtlinge wissen

Ab wann sie Geld verlieren, wen es trifft, wie schnell sie das nötige Deutschniveau erreichen, damit sie aus dem Schneider sind.

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Die schwarz-blaue Regierung hat ihre Reform der Mindestsicherung präsentiert. Nun beginnen die Detailauswertungen, welche Gruppe wie stark verliert oder profitiert. Eltern, Kinder, Alleinerzieher, Familien, Behinderte, Österreicher, Migranten, Ausländer, Flüchtlinge. Bleiben wir bei den Flüchtlingen. Ohne sie hätte es die Reform nie gegeben. Denn nach dem Fluchtjahr 2015 stieg der Anteil der Asylberechtigten in der Mindestsicherung auf knapp 30 Prozent. ÖVP und FPÖ leiteten daraus ihre Parole ab: „Zuwanderung ins Sozialsystem stoppen“ und machen nun Ernst. Entsprechend deutlich fallen die Kürzungen der Mindestsicherung für Asylberechtigte – und noch stärker – für subsidiär Schutzberechtigte auf den ersten Blick aus.

1) Wer verliert?

- Anerkannte Flüchtlinge, die noch kaum oder schlecht Deutsch sprechen. Messlatte ist das Sprachniveau: B1. Ab diesem Niveau spricht man die Sprache „fließend“, sagt Pierre Dauffer vom Bildungsinstitut BFI. „Man kann Wünsche äußern, die Möglichkeitsform verwenden und kennt gängige Redewendungen.“ Wer sehr gut Englisch kann ist von den Kürzungen ausgenommen. Messlatte ist das Niveau C1. Vergangenes Jahr bezogen 66.000 Flüchtlinge Mindestsicherung – Erwachsene und Kinder. Die größte Gruppen sind Syrer, Afghanen, Iraker, Iraner, Tschetschenen. Wie viele davon gut Deutsch können und damit aus dem Schneider sind, ist nicht bekannt.

- Subsidiär Schutzberechtigte. Das sind Personen, die kein Asyl erhalten, aber nicht in die Heimat abgeschoben werden können, weil Sie krank sind oder die Lage daheim zu unsicher ist. Sie fliegen aus der Mindestsicherung und werden auf jene Bezüge zurückgestuft, die sie als Asylwerber erhielten. In der Fachsprache: Grundversorgung. Wie viele subsidiär Schutzberechtigte aktuell Mindestsicherung beziehen, ist dem Sozialministerium nicht bekannt. Insgesamt waren 2017 rund 10.000 Menschen subsidiär Schutzberechtigt, der Großteil davon Afghanen. Auf ihre Rückkehr legt der blaue Innenminister ein besonderes Augenmerk, deswegen passt die massive Kürzung der Bezüge für die Zeit in Österreich in die Strategie.

2) Wie stark wird gekürzt?

Um rund ein Drittel. So verliert ein Asylberechtigter 300 Euro und fällt von rund 860 Euro auf 560 Euro. Eine fünfköpfige Flüchtlingsfamilie mit geringen Deutschkenntnissen bekommt künftig maximal 1500 Euro. Aktuell zahlt Wien an diese fiktive Familie rund 2600 Euro, in Tirol, Salzburg und Vorarlberg liegen die Bezüge darüber.

Subsidiär Schutzberechtigte sind in einigen Bundesländern (Wien) noch genauso gut abgesichert wie Asylberechtigte. Nun fallen sie von 863 Euro Mindestsicherung auf das Niveau der Grundversorgung (320 Euro). In anderen Bundesländern wie der Steiermark mussten sie schon bisher damit auskommen.

Flüchtlinge büffeln täglich für ihre B1-Deutsch-Prüfung, die Schwelle zur echten Integration

3) Ab wann wird gekürzt?

Spätestens ab Mitte 2021. Ab Mitte 2020 sollen die Vorgaben des Bundes von den Ländern in eigene Gesetze gegossen und exekutiert werden. In laufende Bezüge darf auch dann nicht eingegriffen werden. Allerdings müssen Bezieher die Mindestsicherung jährlich erneuern. Spätestens dann greift die Kürzung, also in den letzten Fällen Mitte 2021. Automatisch betroffen sind alle Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten, die danach in die Mindestsicherung kommen.

4) Gibt es Ausnahmen?

Ja. Wer Kinder betreut und schlecht Deutsche spricht, ist von Kürzungen ausgenommen, allerdings nur bis zu einem Kindesalter von (voraussichtlich) drei Jahren.

Bei höheren Wohnkosten, die in teuren Städten wie Innsbruck oder Salzburg anfallen, darf die Mindestsicherung um maximal 30 Prozent oder 259 Euro überschritten werden. Pensionisten sind ebenfalls von Kürzungen ausgenommen. Und wie verhält es sich mit älteren Menschen, die sich schwer tun, die Sprache in einer absehbaren Zeit zu lernen? Für sie könnte in Einzelfällen eine soziale Härte-Regelung greifen. Das Ausmaß wird stark von den Ländern abhängen.

5) Wie rasch spricht man Deutsch?

Ein Gedankenexperiment: Wie rasch würden Sie annähernd Arabisch beherrschen in Wort und Schrift? Der Fortschritt hängt natürlich stark von der Vorbildung und dem Alter ab. Ein Rundruf in einer Gruppe höher gebildeter Flüchtlinge aus Syrien, die 2015 ins Land kamen und mit profil diese Story erarbeiteten (Die Syrer kommen, Brunnemarkt), ergibt: Einer schaffte B1 und sogar B2 in nur zwei Jahren; ein anderer lernte selbstständig A1 und A2 in der Wartezeit auf seinen Asylbescheid und absolvierte B1 dann in einem Monat beim AMS. Ein Dritter legte den Weg von A1 bis B1 im Expresskurs in nur sieben Monaten zurück (diese Angebote dürfte es wegen der gekürzten Integrationsmittel künftig wohl aber deutlich seltener geben).

Ein Weiterer, der bei der Ankunft perfekt Englisch sprach, brauchte 1,5 Jahre „harter Arbeit“, um Deutsch auf B1 zu beherrschen. Alle vier sind Syrer, die daheim studiert oder einer Facharbeit nachgegangen waren. Sie alle haben die Mindestsicherung bereits wieder verlassen und arbeiten.

Im Vergleich zur Masse der Flüchtlinge sind diese Biografien aber nicht repräsentativ. „Ein Großteil hat wenig Schulbildung und bewegt sich auch in Österreich noch in einem Umfeld, wo wenig Deutsch gesprochen wird. Fünf Jahre bis B1 sind deswegen keine Seltenheit“, sagt BFI-Experte, Dauffer. Es sei durchaus der Fall, dass manche Personen alleine für B1 zwei Jahre intensiv durchlernen müssen und wiederholt antreten. Am BFI pauken täglich rund 300 Flüchtlinge Deutsch, drei Stunden täglich, fünf Tage die Woche. Inklusive Anreise und Pausen werden bis zu fünf Stunden dafür aufgewendet, dazu kommen Hausaufgaben. Die Kurse sind vom AMS vorgeschrieben, um die Mindestsicherung zu beziehen. 60 Prozent reüssieren beim 1. Mal, andere treten wiederholt an. So muss ein Teil der Flüchtlinge erst das Lernen lernen. In Kriegsgebieten wie Afghanistan liegen nicht nur das Land, sondern auch das Bildungssystem in Trümmern.

6) Sind die Kürzungen fair?

Flüchtlingen droht ohne gutes Deutsch ein Leben in der Mindestsicherung, weil sie am Arbeitsmarkt nicht gebraucht werden. Ein Zustand, der unbedingt vermieden werden muss. Denn die Akzeptanz dieses letzten sozialen Netzes durch die einheimische Bevölkerung würde noch stärker strapaziert werden. Aus dieser Perspektive kann der starke finanzielle Anreiz von 300 Euro, so rasch als möglich Deutsch zu lernen, helfen. Allerdings wird mit dieser Karotte das Konzept Mindestsicherung unterlaufen. Damit ist per Definition das Mindeste gemeint, das es zum Leben in Österreich braucht.

Diese Untergrenze sinkt nun auf 560 Euro. Man könnte argumentieren, Asylwerber werden nach ihrem Asylbescheid in einem Zwischenraum bis zum anerkannten Mitglied der Gesellschaft geparkt, bis sie Deutsch sprechen und sich für die Gesellschaft nützlich machen können. Fragt sich nur, wie lange dauert dieser Schwebezustand.

Die Kürzung trifft nicht nur junge, fitte Männer, sondern auch Kinder und Ältere. Sie trifft nicht nur Menschen mit Vorbildung, sondern überwiegend schlechter bis gar nicht gebildete Menschen, darunter viele Analphabeten. Je älter und schlechter gebildet, desto länger die Wartefrist in der prekären Lage. Somit liegt eine Schlechterstellung von Älteren und sehr bildungsschwachen Asylberechtigten samt deren Kindern vor. Gerade älteren Menschen ist es im Sinne der Menschenwürde schwerer zuzumuten, im neuen Land mit 560 Euro zu leben als Jüngeren. Die Frage ist, inwieweit Einzelne von den Ländern als Härtefälle behandelt werden können.

Natürlich: Die Masse, die 2015 kam, waren junge Männer. Deswegen argumentiert Bundeskanzler Sebastian Kurz mit deren Untätigkeit für die neue Reform. Er beklagt, dass 10.000 Flüchtlinge unter 25 Jahren aktuell Mindestsicherung beziehen, anstatt eine Lehre zu beginnen. Das unterstellt eine fehlende Bereitschaft, zu arbeiten. Und es übersieht, dass viele dieser jungen Menschen, die 2015 oder erst 2016 kamen, Monate bis Jahre auf ihren Asylbescheid warteten. Das heißt: Ein Teil steckt noch immer in den Deutschkursen und das bis zu fünf Tage pro Woche (siehe den Alltag beim BFI).

Unter dem Niveau von B1 ist eine Weiterbildung sinnlos, weiß das AMS. Deswegen verordnet das Arbeitsamt solche Intensivkurse. Natürlich würde es die Mindestsicherungsstatistik schönen, wenn sie stattdessen Tellerwaschen. Den Fachkräftemangel von morgen behebt das aber sicher nicht.

Wer arbeiten geht, darf nicht der Dumme sein, trommeln ÖVP und FPÖ. Wer lernt, um sich möglichst rasch zu integrieren, auch nicht.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.