Mittel ohne Zweck

Mittel ohne Zweck: Österreich entgehen EU-Förderungen

Österreich entgehen Millionen Euro an EU-Regionalförderungen.

Drucken

Schriftgröße

Erich Unterwurzacher war happy. Am 10. Mai reiste der Direktor der EU-Generaldirektion für Regionalpolitik von Brüssel nach Weiden am Neusiedlersee. Dort ließ er sich mit Kollegen aus der EU-Kommission in das "Projekt Fritz" einweisen. Direkt am Seeufer entsteht derzeit ein hippes Restaurant mit Lounge-Bereich und Räumen für Hochzeiten und Konzerte. Geplante Eröffnung des "Fritz": Sommer 2017. Geschätzte Investitionen: fünf Millionen Euro. Die Europäische Union fördert das Projekt mit immerhin 1,4 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Nach der Besichtigung der Baustelle war der EU-Spitzenbeamte aus dem Pinzgau zufrieden. Unterwurzacher: "Ich habe heute ein vorbildliches EFRE-Projekt gesehen. Mit seiner Architektur und Ausrichtung spiegelt das, Fritz‘ diese Region, die besonders von der EU-Politik profitiert hat."

Von der EU-Politik würden landesweit auch andere Unternehmer, Forschungseinrichtungen und Regionen gern profitieren. Geld wäre genug vorhanden: In der aktuellen EU-Finanzperiode (2014 bis 2020) stehen Österreich 536 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung zu. Allerdings sind bisher kaum Mittel aus Brüssel geflossen. Nun droht ein Zwist zwischen dem Bundeskanzleramt (das EFRE koordiniert) und dem Landwirtschaftsministerium (das die Koordination übernehmen will).

Dass es die Republik Österreich bei der Ausschöpfung der Fördergelder gemächlich angeht, belegt eine Statistik der EU-Kommission (siehe Grafik). So hat Schweden bereits 62 Prozent der ihm zustehenden Mittel beantragt, Belgien 53 Prozent und Deutschland 28 Prozent. Österreich ist mit einem Wert von acht Prozent Viertletzter unter den 28 Mitgliedsstaaten. Noch negativer fällt die Bestandsaufnahme bei den faktisch ausgezahlten Fördermitteln aus. Nur 0,1 Prozent der für die Periode 2014 bis 2020 fälligen Gelder sind bisher geflossen. Österreich ist damit Drittletzter.

Operativ verwaltet werden die EFRE-Programme von der Österreichischen Raumordnungskonferenz (ÖROK). Für die nationale Steuerung ist die Sektion IV in Christian Kerns Bundeskanzleramt verantwortlich. Obwohl die Statistik der EU-Kommission auf Daten der Bundesregierung beruht, bezweifelt man im Kanzleramt deren Aussagekraft: Die Aufstellung liefere ein verzerrtes Bild, weil die 28 EU-Länder unterschiedliche Förderverfahren anwendeten. Die Angaben für Österreich seien überdies nicht aktuell.

Gelingt hier kein Turnaround, drohen Mittelkürzungen

Die heimische Wirtschaft sieht allerdings Verbesserungsbedarf. Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer: "EFRE ermöglicht Förderung von Forschung und Innovation, Energieeffizienz sowie Investitionen in Wachstum und Beschäftigung am Standort Österreich. Im Vergleich zu anderen Ländern hinken wir jedoch gegenwärtig mit der Nutzung des EFRE-Budgets hinten nach. Gelingt hier kein Turnaround, drohen Mittelkürzungen, und Österreich vergibt die Chance, EFRE-Mittel erfolgreich im Land zu investieren."

Hinweise darauf, dass die EFRE-Abwicklung hierzulande nicht optimal läuft, gibt es zur Genüge. So wurden die nationalen Förderfähigkeitsregeln für die involvierten Behörden im Juli 2016, zwei Jahre nach dem Start der Finanzperiode, vom Kanzleramt genehmigt. Und erst vor zwei Wochen, am 16. Mai, beschloss der Nationalrat eine Bund-Länder-Vereinbarung zur effizienteren Verwaltung des EFRE-Programms. Die dazugehörige Erläuterung der Parlamentsdirektion belegt die Schwächen des heimischen Fördersystems: "Österreich hat bisher keine eigene Stelle oder Institution zur Abwicklung der umfangreichen EU-Förderprogramme. Zudem gibt es weder eine umfassende Kompetenz des Bundes noch der Länder für Regionalpolitik." Ein weiteres Indiz für Verzögerungen: Bisher verabsäumte es das Kanzleramt, der EU-Kommission die zuständigen nationalen EFRE-Behörden, also ÖROK und Kanzleramt selbst, offiziell zu melden. Ohne diese Designierung können Mittel aus Brüssel im großen Stil gar nicht fließen. Etwa 30 Millionen Euro, die Österreich aus der EFRE-Tranche für 2014 zustehen, könnten demnächst verfallen.

Alles halb so wild, heißt es aus dem Kanzleramt. Die Designierung der Behörfen werde alsbald erfolgen, und Förderanträge könnten auch jetzt schon eingebracht werden. Überdies werde EFRE in vielen Mitgliedsländern mit einer Verzögerung von zwei Jahren abgewickelt. Auch die Vorperiode von 2007 bis 2013 sei in der Praxis bis 2015 verlängert worden.

Die seinerzeitige Vergabe der EFRE-Mittel verlief freilich auch fehlerhaft. So kritisierte der Rechnungshof im Vorjahr, dass "eine vollständige Mittelausschöpfung im Bereich des EFRE" für die Periode 2007 bis 2013 "aufgrund anhaltender Aussetzung der Zahlungen durch die Europäische Kommission nicht möglich" war. Die Gründe dafür lagen laut Rechnungshof in "von der Kommission wiederholt festgestellten Mängeln des österreichischen Verwaltungs- und Kontrollsystems". Dem Kanzleramt zufolge habe der Rechnungshof die nach 2013 abgewickelten Projekte nicht berücksichtigt und Österreich sein Fördervolumen fast vollständig ausgeschöpft. Auch seien Reformen erfolgt: So wurden die neun Länderprogramme zu einem österreichweiten Programm verschmolzen und die Zahl der Förderstellen von 36 auf 16 reduziert. Trotz dieser Reformen gilt EFRE unter den Fördernehmern im Vergleich zu anderen Programmen als überbürokratisiert.

Wir können das einfach besser

Geht es um die Verteilung von Hunderten Millionen Euro, werden politische Begehrlichkeiten geweckt. Im März forderte ÖVP-Agrarminister Andrä Rupprechter, die EFRE-Gelder künftig - statt im Kanzleramt - im Landwirtschaftsministerium gemeinsam mit den Agrarförderungen abzuwickeln. Seine Begründung: "Wir können das einfach besser."

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.