Der AfD-Ehrenvorsitzende und Parteigrande Alexander Gauland

profil-Morgenpost: Seelenwanderungen

Was die AfD, die SPD, Ursula Stenzel und den Schamanen von Heinz-Christian Strache miteinander verbindet.

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Guten Morgen!

Die menschliche Seele wiegt durchschnittlich 21 Gramm – das glaubte zumindest der US-amerikanische Arzt Duncan MacDougall Anfang des 20. Jahrhunderts anhand von Messungen herausgefunden zu haben, die er mittels einer Präzisionswaage an sechs seiner Patienten vor und nach ihrem Tode durchführte. Dabei stellte er im Moment des Ablebens einen rätselhaften Gewichtsverlust zwischen acht und 35 Gramm fest, den er dem Entweichen eben jener Seele zuschrieb.

Das Verfahren wird mittlerweile zwar nicht ganz überraschend als unwissenschaftlich angesehen; trotzdem fiel mir MacDougall ein, als ich die ersten Sätze der Reportage las, die Robert Treichler für das aktuelle profil über den Parteitag der AfD (Alternative für Deutschland) geschrieben hat: „Zwei Tage inmitten von 566 Delegierten geben Einblick in die dunkle Seele einer Rechtspartei, die immer mächtiger wird“, heißt es dort.

Die Seele einer Partei

Die Frage, viel die Seele einer Partei wiegt, hat sich meines Wissens nämlich noch niemand gestellt. Dass Parteien ohne ein gewisses Etwas, das sich am ehesten mit dem Begriff „Seele“ beschreiben lässt (Austin Powers würde vermutlich „Mojo“ dazu sagen), ein echtes Problem haben, liegt aber auf der Hand. Die AfD hat ihre noch nicht wirklich gefunden, die Sozialdemokratie hatte mal eine, hat sie aber irgendwo verloren. Diesen Eindruck lässt nicht nur die Lektüre von Christa Zöchlings Reportage über den Parteitag der SPD am vergangenen Wochenende zurück; man wird ihn auch angesichts der Querelen innerhalb der SPÖ nicht los, die meine Kollegen aus dem Österreich-Ressort in den vergangenen Wochen hinreichend beschrieben und analysiert haben; und an der Krise der sozialdemokratischen Parteien in ganz Europa (aufschlussreiche Grafiken dazu hat nach der EU-Wahl im vergangenen Mai die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung zusammengestellt).

Was Gläubige als Seele bezeichnen, heißt bei Neurowissenschaftlern schlicht Bewusstsein und gilt als Produkt eines Gehirns, mit dem es entsteht und vergeht. Für das Christentum trennt sich die Seele nach dem Tod vom Körper und landet im Himmel oder in der Hölle. Egal, wer recht hat: beide Konzepte verheißen der Sozialdemokratie nichts Gutes.

Reinkarnation als Trost

Da ist die hinduistische Idee der Reinkarnation schon tröstlicher. Sollte sie auch für politische Parteien gelten, könnte die Seele der SPÖ ja in die Grünen gefahren sein. Die Frage, was die AfD war, bevor sie wiedergeboren wurde, möchte man sich dann allerdings nicht stellen und schon gar nicht beantwortet wissen.

Bei der FPÖ sind für spirituelle Grundsatzfragen übrigens der Schamane von Heinz-Christian Strache und Ursula Stenzel zuständig. Sollte letztere irgendwann ausrechnen wollen, was die Seele der Freiheitlichen wiegt, ein kleiner Tipp: Die Gewichtseinheit dafür ist nicht das Gigabyte.

Ihnen inzwischen viel Seelenfrieden und einen stressfreien Tag!

Martin Staudinger

Was sich sonst noch tut:

In den USA haben die Demokraten zwei Anklagepunkte für ein Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump präsentiert: Amtsmissbrauch und Behinderung der Ermittlungsarbeit des Kongresses. Wissenswertes dazu gibt es in unserem Podcast „Super-Tuesday“, der sich jede Woche mit den bevorstehenden US-Wahlen auseinandersetzt.

In Österreich sind die Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP und den Grünen zuletzt ins Stocken geraten. Dafür liefern sich die SPÖ und die Grünen eine recht giftige Auseinandersetzung, bei der es letztlich um die Marktanteile im linken Wählersegment geht.

Was ich gerade höre:

„Didl-Dudl“, die neue CD der bayerischen Band Wellbappn, die aus den legendären Biermösl Blosn hervorgegangen ist: Böse Texte zu lieblicher Volksmusik, ein ideales Kontrastprogramm für Adventverweigerer.

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