Jüdische Community

Rechtsruck aus Angst und Verunsicherung

Politisch homogen ist die jüdische Community in Österreich nur nach außen. Immer mehr Jüdinnen und Juden wenden sich von linken Parteien ab - und wählen konservativ oder rechts. profil ist den Gründen für diese ideologische Verschiebung nachgegangen.

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Vor der Zwi-Perez-Chajes-Schule in der Leopoldstadt stehen zwei Sicherheitskräfte. Sie kontrollieren die Lichtbildausweise der Gäste. Ein weiterer behält über Sicherheitskameras die Ein- und Ausgänge der jüdischen Schule im Blick. Das 40-jährige Jubiläum der Schule wird gefeiert. Rund 300 jüdische Gäste sind zu diesem Festakt erschienen. Das bedeutet höchste Sicherheitsstufe.

Seit dem 7. Oktober sind die Sicherheitsvorkehrungen von der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) erhöht worden. Im Jahr 2023 wurden bei der israelitischen Kultusgemeinde insgesamt 1.147 antisemitische Vorfälle gemeldet. Besonders seit vergangenem Oktober stieg die Anzahl der Meldungen stark an – die Zahl der täglichen Vorfälle hat sich verfünffacht. Die Angst vor Radikalisierung, vor Übergriffen und Terror wirkt sich auch auf die Wahlentscheidung der jüdischen Community aus.

Angst als entscheidender Faktor

„Als Jude bekommt man die Integrationskrise sehr zu spüren. Ich kann in mehreren Bezirken nicht mehr mit Kippa herumlaufen, und das ist ein Problem“, erklärt Michael, ein Mann Ende 20. Er habe überlegt, die FPÖ zu wählen, doch letztendlich habe er sich für die ÖVP entschieden. „Auch wenn die FPÖ in ihrem Wahlprogramm gegen Islamisten ist, bin ich sicher, dass sie, wenn es hart auf hart kommt, auch Juden über einen Kamm scheren“, erklärt er.

Die Angst vor Radikalisierung, vor allem in muslimischen Communities, scheint unter den Befragten ein entscheidendes Thema für den Rechtsruck in der jüdischen Community zu sein. Laut der IKG gingen 25% der antisemitischen Vorfälle im Jahr 2023 von Muslim:innen aus, 34% von rechten Personen und 18% von linken.

„Ich glaube schon, dass sich seit dem 7. Oktober etwas geändert hat. Viele Juden und Jüdinnen stehen jetzt anders zur Migrationspolitik.“, erzählt der Mitte 40-jährige Darian. Er kenne einige aus seinem jüdischen Umfeld, die dieses Jahr die FPÖ wählen wollen. Für ihn habe sich in Hinblick auf innenpolitische Angelegenheiten nichts geändert. Darian hat schon alle Parteien bis auf die FPÖ gewählt. Dieses Jahr wählt er die Neos. Trotzdem möchte er betonen: „Es hat mich geschockt, was auf den Straßen abgeht,“ meint er mit Blick auf die Pro-Palästina-Demos in Wien.

Zwischen Unsicherheit und Frust

Louis ist Ende 20. Üblicherweise wählt er die SPÖ. Dieses Jahr will er gar nicht wählen gehen. „Ich habe Angst, eine falsche Wahl zu treffen“, erklärt er. Es gebe nicht genug politische Aufklärung. Eine Frau, Mitte 40, klinkt sich in das Gespräch ein. Sie will dieses Jahr auch nicht wählen. „Es ist alles das Gleiche, nichts ändert sich. Für mich ist die Politik mittlerweile nur noch Show.“

Für Samuel, einen  20-jährigen Absolventen der ZPC, ist klar: „Die Asylkrise muss in den Griff bekommen werden. Es braucht eine bessere Integrationspolitik.“ Er sei sich nicht sicher, ob die FPÖ oder SPÖ die bessere Entscheidung sei. Normalerweise wählt er bei den Nationalratswahlen das, was sein jüdisches Umfeld ihm empfiehlt. Dieses Jahr fällt es ihm schwerer als sonst: „Viele Juden und Jüdinnen wählen entweder die FPÖ oder die SPÖ,” berichtet er.

Spaltung innerhalb der Community

Mit der Integrations- und Migrationspolitik gehen alle befragten Gäste unterschiedlich um. Auch innerhalb von Familie und Freundeskreisen kämen politische Konflikte auf. Die Mitte 40-jährige Clara war und ist immer noch überzeugte SPÖ-Wählerin. Ihre ursprünglich rote Familie möchte aber jetzt die FPÖ wählen. Sie könne nur Vermutungen für diesen Rechtsruck innerhalb der Familie und der Community anstellen: „Viele haben Kinder oder Familie in Israel oder das eine oder andere Trauma in Israel erlebt. Seit dem 7. Oktober ist die Angst vor dem Islam stark gestiegen, die aus israelischer Sicht berechtigt ist. Wir leben aber nicht in Israel, sondern in Österreich.“ Sie ist schockiert und frustriert darüber, dass sie von jüdischen Personen in ihrem Umkreis und innerhalb ihrer Familie mitbekomme, die FPÖ wählen: „Sie haben vergessen, was passiert ist.“ Der Mensch stehe, so ihre Analyse, nicht mehr im Vordergrund, sondern Hautfarbe und Religion. „Es gibt kein Miteinander mehr“, sagt sie enttäuscht.

Alle acht befragten Gäste kennen mehrere jüdische Personen in ihrem Umfeld, die bei der kommenden Wahl FPÖ wählen wollen. Innerhalb der jüdischen Community ist dieser Rechtsruck also  bekannt. Nach außen wirkt die jüdische Community durch den jungen Aktivismus entschlossen links.

Mahnwache Jüdische Hochschülerschaft

Vom 22. bis zum 28. September, eine Woche vor den Nationalratswahlen, organisiert die Jüdische österreichische Hochschülerschaft (JöH) eine Mahnwache „Gegen Volkskanzler und Kellernazis“. Die 7-tätige Mahnwache soll gegen den Antisemitismus und die rechtsextreme Politik der FPÖ gehalten werden. Profil hat die Jüdische Hochschülerschaft zu der politischen Spaltung in der jüdischen Community angefragt, sie wollen sich „in dieser Woche ausschließlich auf die Mahnwache fokussieren und dementsprechend alle Ressourcen darin investieren“.

Mit diesem politischen Rechtsruck ist die österreichische jüdische Community nicht allein. In Frankreich gewann Marine Le Pen, Politikerin der rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN), etliche Stimmen aus der jüdischen Wählerschaft durch ihre proisraelische Haltung. Im November demonstrierte die französische Politikerin mit Zehntausenden gegen Judenfeindlichkeit, die Linke fehlte. Die Rechtspopulisten in Frankreich scheinen die Angst vor Terror innerhalb der jüdischen Gemeinde aufzugreifen, um sie als Wählerschaft zu gewinnen. Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis die FPÖ ähnlich taktisch auf eine jüdische Wählerschaft zugehen wird. 

 

*Die Namen von Michael, Samuel, Clara, Darian wurden zu ihrem Schutz verändert. 

Celeste Ilkanaev